Johanneum „Warum haben wir geschwiegen?“

Homburg · Mit einem Stationen-Gottesdienst wurde an dem Gymnasium an die Opfer des Missbrauchsskandals gedacht.

 Am Gedenkort für die Missbrauchsopfer setzten Schulleiter Oliver Schales (links) und Bernd Held, selbst Betroffener, symbolisch ein durch den Missbrauch zerstörtes Haus zusammen.

Am Gedenkort für die Missbrauchsopfer setzten Schulleiter Oliver Schales (links) und Bernd Held, selbst Betroffener, symbolisch ein durch den Missbrauch zerstörtes Haus zusammen.

Foto: Thorsten Wolf

„Herr, wir klagen vor Dir über die Gewalt, die Täter ihren Opfern an Leib und Seele angetan haben, über zerstörtes Leben.“ Nein, leicht machten es sich die Vertreter des Homburger Gymnasiums Johanneum am vergangenen Freitag nicht, als in einem Stationen-Gottesdienst an die Opfer des Missbrauchskandals am früheren Internat der Herz-Jesu-Missionare gedacht wurde. Vor nunmehr neun Jahren wurden die sexuellen Übergriffen von Patres gegen ehemalige Internatsschüler bekannt. Das liegt Jahrzehnte zurück, das Internat ist längst geschlossen. Zwei Täter hatten die Untaten gestanden, die Gespräche zwischen Orden und Opfern gestalten sich bis heute schwierig. So wie der katholische Schulseelsorge,r Pfarrer Jens Henning, sparte am Freitag niemand vor allem an den ersten beiden Orten dieses Gottesdienstes, der Johannes-Kapelle und dem Gedenkort für die Missbrauchsopfer, an deutlichen, harten Worten.

„Viel zu oft sind in unserer Kirche, unserer Schule, in Vereinen und Familien Grenzen verletzt worden. Viel zu oft sind Machtstrukturen und Abhängigkeiten ausgenutzt worden. Viel zu oft haben Kinder und Jugendliche leiden müssen“, spannte Henning in der Johanneskapelle den Bogen vom Missbrauch im Homburger Ordensinternat weiter zu den Missbräuchen in der gesamten Kirche und in der Gesellschaft. Thomas Mann, der heutige Präventionsbeauftragte des Bistums Speyer und selber früherer Johanneumsschüler, führte das Verbrechen in Homburg und seine Folgen für die Betroffenen ganz persönlich in einer Meditation den Teilnehmens des Gottesdienstes vor Augen. Dabei nahm er sich selbst in die Verantwortung. „1983. Ein ganz normaler Morgen, Bio bei Nickel. Wie immer kommen die Internatsschüler kurz vor knapp oder sogar zu spät. ‚Eh, Michel, wo ist denn der Markus?‘, heißt es in der Klasse. ‚Der kommt nicht, der ist krank. Er musste gestern Nacht Sportschau mit Hasi schauen‘.“ Manche, so Mann aus seiner Erinnerung, hätten da gestutzt, manche verlegen geschaut. „Alle wussten, dass es nachts keine Sportschau gab.“ Keiner habe nachgefragt, was Markus in der Nacht im Zimmer von Pater W. erlebt habe, „niemand, niemand wollte es genau wissen“. Am Ende sei Markus von seiner Eltern von der Schule abgemeldet worden, nachdem seine Leistungen nachgelassen hätten. Und auch dann habe niemand nachgefragt und niemand darüber geredet, so Mann.

Diese Sprachlosigkeit nahm Thomas Mann zum Anlass, sich sein eigenes Schweigen als Last anzurechnen. „Eine Frage, neben der Scham und der Trauer, beschäftigt mich seit vielen Jahren und vermutlich auch für den Rest meines Lebens: Warum haben wir damals geschwiegen und nicht nachgefragt?“. Und es sei ihm keine Ausrede, gestand er ein, dass er damals selbst ein Jugendlicher war.

An der zweiten Station, dem Gedenkort für die Missbrauchsopfer, wurde es nicht leichter. Denn: Neben Pfarrer Jens Henning, seinem protestantischen Pendant Franz Raquet und Vertretern des Gymnasiums ergriff hier Michael Hackert vom „Initiativkreis Gedenkort Johanneum“ für die Missbrauchsopfer das Wort. Auch er rief das Schicksal der Betroffenen in Erinnerung, erinnerte daran, dass Erwachsene ihre erwachsenen Bedürfnisse nach Lust und Sexualität auf gewaltvolle Weise an Kindern und Jugendlichen erfüllt hätten. Und er beklagte, dass diesen missbrauchten Jugendlichen und Kinder, wenn sie sich Erwachsenen anvertraut hätten, keine Hilfe widerfahren sei. „Und das die Erwachsenen, wenn sie es geschafft haben, darüber zu reden, bis heute ganz viel kämpfen müssen, um Unterstützung zu bekommen, um mindestens die Therapiekosten-Übernahme zu erhalten – um das Leid, das ihnen hier angetan wurde, bearbeiten zu können.“

Der Gedenkgottesdienst sollte aber nicht nur eben ein Moment des Gedenkens und der berechtigten Klage sein, sondern auch eine österliche Botschaft der Aussöhnung und des Aufeinander-Zugehens. Symbolisch hier: eine in Scherben zerbrochene Plastik eines gemeinsamen Hauses – Sinnbild für ein zerstörtes Leben und ein zerstörtes Vertrauensverhältnis – wurde wieder zusammengesetzt, mit all ihren Brüchen und auch einem fehlenden Teil: dies als Mahnung, die Missbrauchsfälle nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

An der dritten Station, der Aula des Johanneums, waren es dann in erste Linie ein nach vorne blickendender Oliver Schales, Schulleiter des Johanneums, und Bernd Held, eines der Opfer des Missbrauchs, die dem Gedenkgottesdienst Stimme und Gesicht gaben. Erneut symbolträchtig übergab Schales da an seinen früheren Kommilitonen und Mit-Staffelläufer Held einem Staffelstab – und damit die Möglichkeit zum letzten Wort.

„Der Staffellauf ist eine Disziplin, bei der man nur gemeinsam ans Ziel kommt“, so Held. „Jeder Staffelläufer muss sein bestes geben, damit das Ziel erreicht wird. Für uns sollte das Ziel sein, eine Atmosphäre zu schaffen, von der nie wieder die Gefahr ausgehen darf, dass Dinge passieren, wie man sie uns angetan hat.“ Arbeite man daran gemeinsam, war sich Bernd Held sicher, dann werde man dieses Ziel auch erreichen. „Und dann wird das Johanneum, so wie es heute ist, eine Schule, auf die man stolz sein kann.“

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