Interview Missionsarbeit im Schatten des Terrors

Bischof Bruno Ateba aus Kamerun besuchte die Pfarrei St. Peter. Der SZ erzählt er, wie die Terrormiliz Boko Haram sein Land geißelt.

 Bischof Bruno Ateba und Pfarrer Bernd Schneider feiern die Heilige Messe in der Pfarrkirche St. Peter in Merzig.

Bischof Bruno Ateba und Pfarrer Bernd Schneider feiern die Heilige Messe in der Pfarrkirche St. Peter in Merzig.

Foto: Martin Trappen

Bischof Bruno, Ihr Bistum liegt im Norden Kameruns. Wie sieht Ihr Alltag dort aus?

Bruno Ateba: Ich wohne in einem kleinen Bischofshaus in Maroua, der Hauptstadt der Region. Das Priesterseminar ist gleich in der Nähe von meinem Zuhause. Im Norden Kameruns gibt es nicht viel mehr als Steppe und Savanne, müssen Sie wissen. Wir haben keine richtige Kirche, wenn ich einen Gottesdienst feiere, dann höchstens an einer kleinen Kapelle. Sogar in Maroua kann ich die heilige Messer nur unter einem Baum abhalten. Ich nenne das gerne meine eigene „Bio-Kathedrale“.

Haben Sie immer schon solche Messen gefeiert?

Ateba: Nein, ich stamme aus dem südlichen Kamerun und der Umzug in den Norden war auch für mich eine große Umstellung. Zum Beispiel regnet es dort nur drei Monate im Jahr, der Rest ist Trockenzeit. Und dann haben wir Temperaturen von bis zu 42 Grad Celsius. Und mein Haus ist wirklich sehr klein, da mein Vorgänger beinahe wie ein Mönch gelebt hat. Das Haus teile ich mir mit zwei Ordensfrauen. Und um auf die Toilette zu gehen, muss ich nach draußen, auch nachts. Bedenken Sie, bei uns gibt es Schlangen. Aber ich bin Missionar, ich gehe dorthin, wohin ich geschickt werde. Wir haben gerade im Süden Kameruns sehr viele Priester, aber auch im Norden sind die Priesterseminare gut besucht. Hier leben aber auch viele Muslime.

Wie viele Christen leben denn in Ihrer Diözese?

Ateba: 18 Prozent der Menschen in meinem Bistum sind Christen, 35 Prozent sind Muslime und der Rest sind Anhänger von Natur-Religionen. Dabei haben wir einen guten Dialog mit den Muslimen. Es ist beruhigend zu wissen, dass alle vernünftigen Muslime die Ziele und Methoden der Boko Haram ablehnen. Wir arbeiten mit den Muslimen in meinem Bistum zusammen und ihre Kinder gehen auf unsere katholischen Schulen. Und die jungen Muslime haben dabei immer gute Noten in Religion.

Sind denn die Muslime in ganz Kamerun in der Überzahl?

Ateba: Nein, im Süden sind die Christen in der Überzahl und das Leben ist deutlich sicherer. Aber im Norden gibt es immer wieder Anschläge, und das trotz der starken Militärpräsenz. Das Gleiche gilt auch für Nigeria: Im Süden des Landes leben sehr viele Christen und es gibt kaum Probleme. Im Norden sind jedoch die Muslime in der Überzahl.

Welchen Gefahren sind Sie persönlich ausgesetzt?

Ateba: Ich bin immer gut beschützt. Gerade in der Hauptstadt Maroua. Das ist eine Stadt mit 700 000 Einwohnern und drei Universitäten. Gefährlich wird es erst, wenn ich zur Visitation oder für einen Gottesdienst nahe an die Grenze zu Nigeria fahre. Im Norden Nigerias, in meinem Nachbar-Bistum, liegt das Hauptquartier der Boko Haram. Darum werde ich auf dem Weg dorthin und während einer Messe von einem guten Dutzend schwer bewaffneter Soldaten begleitet. Auch muss jeder Besucher einer Messe zu Beginn kontrolliert werden, Frauen dürfen zum Beispiel keine Taschen mit in den Gottesdienst nehmen. Die Situation an der Grenze ist auch immer wieder absurd. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass sich die Kapelle in Kamerun befindet, aber die Toilette jenseits der Grenze in Nigeria.

Welche Auswirkungen hat der Terror der Boko Haram auf Ihr Bistum?

Ateba: Da ist zum Beispiel der Tourismus. Nord-Kamerun ist eine sehr schöne, wenn auch arme Region, und früher hatten wir auch viele Touristen. Besonders gerne besuchten sie zum Beispiel unseren Waza-Nationalpark. Und mein Bistum ist auch Missionsgebiet und wir hatten sehr viele europäische Missionare. Aber seitdem die Boko Haram ihren Terror verbreitet, kommen keine Europäer oder Amerikaner mehr hierher. Sie haben einfach zu große Angst.

Diese Angst scheint nicht ganz unbegründet.

Ateba: Ja, Nord-Kamerun ist eine „rote Zone“, wie die Franzosen immer sagen, besonders gefährlich für weiße Leute. Gerade Europäer sind beliebte Entführungsopfer der Boko Haram. Denn für deren Freilassung können sie besonders hohe Lösegelder fordern. Auch Missionare aus meinem Bistum – darunter zwei Franzosen – sind entführt worden, und nur durch Zahlung eines Lösegeldes konnten sie wieder freikommen. Daraufhin musste ich sie auf Drängen des französischen Botschafters in Kamerun wieder nach Hause schicken. Ich habe sie in Paris noch einmal getroffen, und sie waren nach wie vor nicht froh über meine Entscheidung. Aber ich hatte keine Wahl. Denn speziell für sie ist es bei uns einfach zu gefährlich, da es die Boko Haram besonders auf Franzosen abgesehen hat. Das liegt daran, dass Frankreich immer wieder Militär nach Afrika schickt, um gegen die terroristischen Gruppen vorzugehen. Und die Boko Haram sind davon überzeugt, dass es Nicolas Sarkozy war, der Gaddafi umgebracht hat.

Die Gefahr durch die Boko Haram ist also noch nicht vorbei?

Ateba: Noch lange nicht. Denn die Boko Haram entführt immer wieder Europäer und mit den Lösegeldern finanzieren sie ihren Terror. Die Lage ist also nach wie vor bedrohlich: Zwar wurde die Gruppe durch einen Militärschlag geschwächt, doch die Attentate nehmen wieder zu, gerade auch in meinem Bistum. Bevorzugt schlagen die Boko Haram auf einem vollen Marktplatz zu oder an einem Feld, wo die Kinder Fußball spielen.

Wie leben Sie in Nord-Kamerun mit dieser ständigen Gefahr?

Ateba: Die islamistische Terror-Organisation prägt das Leben bei uns im Norden Kameruns erheblich. Die Boko Haram lehnt jegliche westliche Bildung ab. Das bedeutet keine Schule, besonders für Mädchen. Auch kommen zehntausende Flüchtlinge nach Maroua-Mokolo. Viele dieser Menschen wurden aus ihrer Heimat in Nigeria vertrieben, viele sind aber auch Kameruner, die nahe der Grenze leben, und jederzeit mit einem Attentat der Boko Haram rechnen müssen. Bedenken Sie, die Grenzen zwischen Ländern sind in Afrika weniger befestigt als etwa in Europa. Es finden sich zwar immer wieder militärische Grenzposten, die die Terroristen jedoch nicht abschrecken.

Welche Folgen hat der Terror der Boko Haram konkret auf den Alltag in Ihrer Diözese?

Ateba: Eine der schlimmen Folgen der Anschläge ist die große Anzahl Straßenkinder, ohne Eltern, ohne Zuhause. Gerade für sie setzen wir uns in meiner Diözese ein. Wir bauen Heime, um den Kindern ein Dach über dem Kopf zu bieten. Dabei sind solche Kinder, wenn sie erwachsen sind, bevorzugte Rekruten der Boko Haram. Junge Leute ohne Beruf und ohne Ausbildung nimmt die Terror-Organisation in großer Zahl auf. Denn sie haben Geld. Und schon bald danach glauben die jungen Leute auch der Ideologie der Extremisten.

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Arbeit mit den Straßenkindern gemacht?

Ateba: Diese Kinder sind sehr aggressiv. Sie haben keine Eltern, kein Zuhause, keine Perspektive. Sie brauchen Orientierung, Unterstützung und Liebe. Aber es ist immer wieder erstaunlich, welche einfachen Vorstellungen diese Kinder haben. Eines Tages sagte ein Kind zu mir: „Weißt du, Bischof Bruno, was ich mir zum Geburtstag wünsche?“ Ich sagte, nein, das wisse ich nicht. Das Kind antwortete: „Ich wünsche mir, dass ich zur Schule gehen kann, sauberes Wasser trinken und eine warme Mahlzeit bekommen kann.“

Bekommen die Straßenkinder auch eine Schuldbildung?

Ateba: Wir tun unser Möglichstes. Aber es ist kompliziert. Einige Kinder besuchen inzwischen die Grundschule. Sie müssen wissen, Schule ist auch in Kamerun Pflicht, man muss sie aber auch bezahlen können. Dazu kommt, dass die Kinder oft jeden Tag einen Schulweg von zwei Kilometern zu Fuß zurücklegen müssen. Das Geld aus Merzig hilft natürlich dabei, die Schule zu bezahlen. Aber damit ist es längst nicht getan. Die Kinder brauchen auch noch Bücher, Hefte, Stifte, Kleidung und noch viel mehr.

Haben denn Jungen und Mädchen gleiche Chancen auf Bildung?

Ateba: Leider nicht. Gerade bei den Muslimen werden die Mädchen sehr früh verheiratet, oft schon mit 13, 14 oder 15 Jahren. Es ist ein regelrechter Vertrag zwischen den beiden Familien. Die Mädchen können ihre Schuldbildung anfangen, sie besuchen ganz normal die Grundschule, aber nach zwei Jahren auf dem Gymnasium werden sie verheiratet.

Wer ist hauptsächlich für die Kinder zuständig?

Ateba: Ich kümmere mich um die Kinder, so gut ich kann, aber drei Erzieher und ein Priester sind ausschließlich für die Betreuung der Kinder zuständig. Wir nehmen übrigens nicht nur Christen auf, sondern auch Muslime. Die Glaubenszugehörigkeit spielt keine Rolle, die Nächstenliebe ist uns vor allem wichtig. Wir bringen sie unter, so gut wir können, manchmal bedeutet das, dass sie nur in ein Zelt kommen. Wenn wir eine Unterkunft für sie haben, ist es nicht zu vermeiden, dass sehr viele Kinder auf engstem Raum leben müssen.

Wie kommen die Kinder zu Ihnen?

Ateba: Wir sammeln sie regelrecht von der Straße auf. Oft kommen auch Leute und bringen die Kinder zu uns. Oft sind es Waisen. Viele Kinder sind aber auch einfach auf der Flucht zurückgelassen worden. Etwa 45 000 Menschen sind aus Nigeria zu uns geflüchtet, rund 30 000 Flüchtlinge sind aber auch Kameruner, die nahe der Grenze leben. Und bedenken Sie, dass die Familien bei uns sehr groß sind. Zehn bis zwölf Kinder sind eher die Norm. Bei uns gibt es viele Geburten, ganz einfach, weil es kein Fernsehen und kein Internet gibt.

Haben Sie noch ein Wort zum Schluss?

 Bischof Bruno Ateba nimmt im Beisein weiterer Gruppen-Mitglieder eine erneute Spende von der Verantwortlichen der Uganda-Gruppe, Gisela Hoffmann, entgegen.

Bischof Bruno Ateba nimmt im Beisein weiterer Gruppen-Mitglieder eine erneute Spende von der Verantwortlichen der Uganda-Gruppe, Gisela Hoffmann, entgegen.

Foto: Martin Trappen
 Bischof Bruno Ateba mit einem der Straßenkinder, denen seine besondere seelsorgerische Fürsorge in Nord-Kamerun gilt.

Bischof Bruno Ateba mit einem der Straßenkinder, denen seine besondere seelsorgerische Fürsorge in Nord-Kamerun gilt.

Foto: Bruno Ateba

Ateba: Wir dürfen nicht vergessen, dass Gottesdienst bedeutet, Gott zu danken. Mir fällt da immer die Geschichte der zehn Aussätzigen aus dem Lukas-Evangelium ein. Hier in Deutschland gibt es dazu ja die Kollekte. Wenn ich in kleinen Ortschaften eine Messe feiere, bringen die Leute kein Geld, um Gott zu danken, denn sie haben keins. Stattdessen bringen sie das, was sie eben haben: Ziegen, Schafe, Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln oder auch Saft. Aber jeder bringt etwas mit. So ein Gottesdienst unter freiem Himmel dauert auch sehr lange: Es gibt Tanz und Gesang und lange Predigten.

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