Rappweiler Wo die Ärmsten der Armen Hilfe erfahren

Rappweiler-zwalbach · Vier Wochen lang hielt sich kurz vor dem Jahreswechsel die 24-jährige Leonie Solander aus Rappweiler-Zwalbach in Südindien auf. Die junge Physiotherapeutin arbeitete dort auf freiwilliger Basis im St. John’s, einem Hospital mit angegliedertem Kinderheim beim Ort Manikkal. Über den Aktionskreis Indienhilfe im Hochwald war der Kontakt zu der Einrichtung zustande gekommen. In der SZ schildert die junge Hochwälderin ihre Eindrücke aus dieser Zeit.

 Leonie Solander aus Rappweiler-Zwalbach bei einer physiotherapeutischen Behandlung im St. Jon‘s in Indien.

Leonie Solander aus Rappweiler-Zwalbach bei einer physiotherapeutischen Behandlung im St. Jon‘s in Indien.

Foto: Leonie Solander

Kurz vor Weihnachten bin ich von einem vierwöchigen Aufenthalt in Südindien zurückgekehrt. Ich habe dort als Physiotherapeutin im St. John`s Hospital gearbeitet. Viele Begegnungen mit den Menschen dort haben mich berührt. Nach Ablegen meines Staatsexamens zur Physiotherapeutin im September muss ich jetzt nur noch in Blöcken zur Hochschule, um mein Studium komplett mit einem Bachelor abzuschließen. Bevor ich vollständig in die Arbeitswelt einsteige, hatte ich mir überlegt, die Zeit zu nutzen, ins Ausland zu gehen und Berufserfahrungen zu sammeln. Ich wollte dies auf freiwilliger Basis tun und in einem Land, dessen medizinischer Standard erheblich vom deutschen abweicht. Durch meine Kontakte zum „Aktionskreis Indienhilfe“ fiel mir die Entscheidung nicht schwer, mich für Indien zu entscheiden. Der Aktionskreis war von meiner Idee begeistert und stellte den Kontakt zu Father Jose her, der das St. John`s Hospital und ein angegliedertes Heim für Kinder betreut.

Die Kinder sind alle HIV-infiziert, kommen aus sehr armen Verhältnissen und sind größtenteils Halbwaisen oder Waisen. Der Aktionskreis Indienhilfe unterhält schon seit rund 30 Jahren eine Partnerschaft zum St. John`s und unterstützt mit seinen Spenden (bisher 83 000 Euro) die Ärmsten der Armen. Hier kann man sicher sein, dass das Geld wirklich an Ort und Stelle ankommt. Zu Beginn standen hier zwei Häuser, mittlerweile sind es sechs. Vor kurzem wurde ein Supermarkt gebaut, in dem man alles für den täglichen Bedarf kaufen kann. Die Jugendlichen können hier nach ihrem Schulabschluss arbeiten. Somit ist ein Arbeitsplatz für sie gesichert. Auf dem Gelände des St. John`s gibt es Obstplantagen wie zum Beispiel mit Bananen und Papayas. Diese werden für den Eigenbedarf, aber auch für den Verkauf gepflanzt.

Anfang November startete ich von Frankfurt zu meinem Abenteuer und flog über Dubai nach Trivandrum, der Hauptstadt Keralas in Südindien. Am Flughafen dort holte mich ein Mitarbeiter des St. John`s ab und brachte mich zu meiner Arbeitsstelle für die nächsten vier Wochen, die bei dem Ort Manikkal liegt. Da es Sonntagvormittag war, wurde ich zu der Kirche gefahren. Der Gottesdienst war fast zu Ende, und so wurde ich gleich der Gemeinschaft vorgestellt. Mit großen neugierigen Augen sahen mich alle an und begrüßten mich. Durch die herzliche Aufnahme habe ich mich sofort willkommen gefühlt. Danach zeigte mir Father Jose das Gelände, mein Zimmer und meinen Arbeitsbereich. Den Rest des Tages verbrachte ich mit den Kindern, die mich mit Fragen bombardierten. Mein Tagesablauf sah die nächsten Wochen folgendermaßen aus: 7 Uhr: Yoga mit der Lehrerin und den Kindern, anschließend Frühstück. Danach folgte meine Arbeit als Physiotherapeutin. Nachmittags habe ich Kinder im Alter von fünf bis zehn Jahren in Englisch unterrichtet, und am Abend zeigte ich ihnen, wie man am Computer arbeitet.

Father Jose leitet das St. John`s seit 2007 und hat es durch sein Engagement und sehr harte Arbeit zu dem gemacht, was es heute ist. Ohne die vielen Spenden wäre das allerdings nicht möglich gewesen. Die Patienten haben durch die Hilfe von Father Jose die Möglichkeit, für wenig Geld eine Behandlung zu bekommen. Im Unterschied zu Deutschland können Patienten ohne Terminvergabe vorbeikommen. Außerdem ist keine Zeit für die Behandlungsdauer vorgegeben. Eine Therapie kann bis zu 90 Minuten dauern. Teilweise brauchen Patienten zwei Stunden, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum St. John`s zu kommen. Es stehen zwei Behandlungsräume und vier Fitnessgeräte zur Verfügung.

Ich arbeitete dort mit zwei Kollegen zusammen. Patienten werden oftmals zu zweit in einem Raum behandelt. Hauptsächlich wird mit Elektro- und Ultraschallgeräten behandelt. Zusätzlich hierzu habe ich den Patienten manuelle Techniken und Übungen gezeigt, die sie mit Freude wahrgenommen haben. Die hygienischen Bedingungen waren in den ersten Tagen etwas gewöhnungsbedürftig, aber schon bald hatte ich mich an die Gegebenheiten angepasst. Die Kommunikation mit den Patienten war zum Teil sehr schwierig. Deshalb habe ich mir vereinzelte Wörter in der Landessprache Malayalam angeeignet und mich „mit Händen und Füßen“ verständigt. Was ich festgestellt habe: Das theoretische Wissen der indischen Physiotherapeuten ist gut, aber oft fehlen die Möglichkeiten, dieses Wissen in die Praxis umzusetzen. Father Jose ist sehr großzügig und behandelt die Kinder und Patienten sehr liebevoll und einfühlsam. Er unterstützt die Hilfsbedürftigen so gut er kann. So werden zum Beispiel vom St. John`s die Kosten für einen 14-jährigen Patienten übernommen, der einen Schlaganfall erlitt. Die Familie hat sehr wenig Geld, eine tägliche Therapie ist hier sinnvoll und notwendig, um schnell gute Erfolge zu erzielen. Diese Therapie ermöglicht das St. John`s.

Solche Krankheitsgeschichten sind nicht selten. Des Weiteren gibt es „Medical Camps“. Hier fahren Ärzte und Krankenschwestern zweimal wöchentlich in unterschiedliche Orte, um Patienten auf dem Land zu betreuen, die kaum Geld haben, um den langen Weg ins Krankenhaus zu bewältigen. Die Patienten werden untersucht,gegebenenfalls Medikamente umgestellt oder neue verordnet. Medikamente sind teilweise kostenlos. Ich konnte das Team als Physiotherapeutin unterstützen und habe versucht, durch Anleitung unterschiedlicher Übungen die Problematik zu lindern. Die Patienten sind für jede Hilfe dankbar.

Im St. John`s sind zurzeit 38 Kinder und Jugendliche. Bis auf die älteren Kinder werden alle dort in einem Klassenraum unterrichtet. Sie haben ähnliche Fächer wie in Deutschland. Nach der Yogastunde und dem Frühstück beginnt der Unterricht. Es ist ein sehr langer Tag für die Kinder. Die letzte Unterrichtsstunde endet um 21.30 Uhr abends. Aufgrund des großen Lernpensums bin ich mir sicher, dass es Father Jose gelingt, den Kindern eine sehr gute Schulausbildung zu ermöglichen und sie für das Leben als Erwachsene fit macht. Meine Arbeit mit den Kindern hat mir sehr viel Freude bereitet. Es hat mir viel Spaß gemacht, ihnen etwas beizubringen und ihre Dankbarkeit hat mich immer wieder motiviert. Durch den engen Kontakt mit ihnen habe ich viele Hintergründe aus ihren Familien erfahren, was nicht immer leicht für mich war.

Ich hatte auch noch die Chance, an einer Hindu-Hochzeit und einer christlichen Hochzeit teilzunehmen. Dazu begleitete mich meine Arbeitskollegin beim Kauf eines traditionellen Sarees. Die beiden Feste waren eine tolle Erfahrung und ihre Durchführung komplett unterschiedlich.

Ab dem ersten Advent bis Weihnachten gehen die Kinder als Sternsinger jedes Wochenende zu kirchlichen Einrichtungen und privaten Häusern, um Geld zu sammeln. Ich war natürlich mit dabei. An jeweils einem Tag des Wochenendes haben wir in 15 bis 20 Haushalten gesungen und Instrumente gespielt. Die jüngeren Kinder haben getanzt. Durch das feucht-heiße Klima haben wir ganz schön geschwitzt in den Kostümen und für mich war das eine eigentümliche Weihnachtsstimmung bei dem Wetter.

Alles in allem war mein Aufenthalt in Indien eine wunderbare Erfahrung für mich. Ich habe mich vom ersten Moment an sehr wohl gefühlt und wurde direkt in die„St. John‘s Family“ (so bezeichnen sie selbst ihre Gemeinschaft) integriert. Alle Menschen in der Einrichtung sind zuvorkommend, hilfsbereit und positiv eingestellt. Wenn ich die Probleme dort vor Ort betrachte, ist mir wieder klar geworden, wie gut wir es hier in Deutschland haben und dass wir oft über Probleme jammern oder mit Dingen unzufrieden sind, die es eigentlich nicht wert sind, dass man sie erwähnt. Ich habe meinen Aufenthalt in Indien sehr genossen, meine gestellten Ziele haben sich erfüllt und für mich ist klar: Ich war nicht das letzte Mal dort.

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