Familien mit Fluchthintergrund Wenn ein schlechtes Gewissen miterzieht

Neunkirchen · Projekt der Lebensberatung Neunkirchen unterstützt geflüchtete Familien. Blick auf traumatisierte Kinder.

 Martin Ludwig und Katrin Jakobs von der Lebensberatung Neunkirchen beim Redaktionsbesuch.

Martin Ludwig und Katrin Jakobs von der Lebensberatung Neunkirchen beim Redaktionsbesuch.

Foto: Claudia Emmerich

Kindererziehung ist sowieso eine große Aufgabe. Wenn Flucht aus der Heimat, traumatische Erlebnisse von Eltern und Nachwuchs die Familie belasten, mag es zu einer ganz besonderen Herausforderung werden. Die Lebensberatung Neunkirchen (siehe „Info“) unterstützt mit einem neuen Angebot: Erziehenden Verhaltensauffälligkeiten erklären und Lösungen suchen. Die Informationen auf Deutsch und Arabisch anbieten. Die Inhalte „kultursensibel“ prüfen. Damit auch ein Angebot zur Integration machen. Martin Ludwig (62) und Katrin Jakobs (23) von der Lebensberatung Neunkirchen haben jetzt beim Redaktionsbesuch ihr Projekt „Wie gelingt Erziehung?“ näher vorgestellt. Ein erprobtes Programm, jetzt angepasst auf die neue Zielgruppe.

Zwei Vortragsveranstaltungen hat es bereits in Sulzbach und Quierschied gegeben. „Wir brauchen Kooperationspartner mit Kontakten zu arabischen Frauen und Familien, mit einem guten Netzwerk“, sagt Beratungsstellenleiter Ludwig. In Sulzbach war es die Gemeinwesenarbeit der Caritas für Saarbrücken und Umgebung, in Quierschied der Verein „Frauen für Frauen“. Bei Bedarf und Nachfrage und mit weiteren Kooperationspartnern lasse sich das Angebot auch landesweit machen. Hintergrund: Die Lebensberatung Neunkirchen ist Schwerpunktstelle Flüchtlingsarbeit für das gesamte Saarland, wie es dazu auch im Projekt-Antrag heißt. Die Neunkircher Einrichtung sieht ihre Erfahrung als großes Plus: Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund sei von jeher in der Kreis­stadt Neunkirchen sehr hoch, ebenso der Anteil von Menschen mit Fluchterfahrung. Mit ihnen arbeiten sie schon lange.

„Wir haben uns schon gefragt, wie viele zu unserem Vortrag kommen“, sagt Ludwig. „Und ob es Frauen sind oder Männer. Und wer was sagt.“ Rund 30 sind gekommen. „In Quierschied waren es mehr Frauen, in Sulzbach dafür mehr Männer“, ergänzt Jakobs. Bei den Frauen reichte das Spektrum von kopftuchfrei bis vollverschleiert.

Die Lebensberatungsstelle Neunkirchen orientiert sich am Erziehungsprogramm Triple P, das praktische Erziehungsfertigkeiten vermitteln will. Erziehende sollen sicher mit ihrem Nachwuchs umgehen, auch wenn der trotzt, nicht hört, mit Wutanfällen reagiert. Aber die Verantwortlichen haben es angepasst auf geflüchtete Familien. Die vielleicht miterlebt haben, wie Familienangehörige bei einem Anschlag ums Leben gekommen sind. Die über das Schicksal von Angehörigen im Ungewissen sind. Die Gewalt konkret erlebt haben. Ins Arabische übersetzt Sprachmittler Shady Albashity, der Dritte im Projekt-Team. Er schaut auch „kultursensibel“ prüfend auf inhaltliche Aussagen im Erziehungsprogramm.

Gefördert wird das Projekt „Wie gelingt Erziehung?“ aus dem Flüchtlingsfonds des Bistums Trier für Integration vor Ort. Für das Neunkircher Projekt werden so Zusatzaufwand der Mitarbeiter, Sachleistungen, Dometscher-Einsatz übernommen.

Traumatisierte Kinder zeigen vielfältige Verhaltensauffälligkeiten, sagt Ludwig: „Sich verweigern, fordernd werden, ängstlich oder aggressiv sein, Schlaf- oder Essstörungen.“ Auch ihre Eltern stünden unter Leidensdruck, hätten ein schlechtes Gewissen. Die ganze Familie sei in einer erhöhten Stressituation gefangen. Das „schlechte Gewissen“ wolle dann oft miterziehen: Mütter, Väter, Eltern möchten ihre Kinder vor weiterer Frustration bewahren. Sie zögern mit Regeln. Sie scheuen  Verbote. Sie wollen ihnen alles bieten. So ein miterziehende „schlechtes Gewissen“, sagen Ludwig und Jakobs, kennen etwa auch  Alleinerziehende.

 Erziehungsberatung für geflüchtete Familien versteht sich auch als ein Projekt zur Integration.

Erziehungsberatung für geflüchtete Familien versteht sich auch als ein Projekt zur Integration.

Foto: Claudia Emmerich
 Familie macht Spaß. Erziehung ist aber auch Arbeit.

Familie macht Spaß. Erziehung ist aber auch Arbeit.

Foto: dpa/A2585 Frank Leonhardt

Die Lebensberatung Neunkirchen bastelt bereits am nächsten integrativen Angebot: „Wie gelingt Partnerschaft?“

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