Markus Igel kämpft um Selbstbestimmung SPD und CDU streiten um Menschenrecht

Saarbrücken · Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben des Behinderten Markus Igel sorgt für Zündstoff in der Saar-Groko. Am Mittwoch ist es Thema im Landtag.

 Der schwerstbehinderte Markus Igel (vorne) bei der Demonstration für seine Rechte am 24. Januar 2019 vor dem Landessozialamt.

Der schwerstbehinderte Markus Igel (vorne) bei der Demonstration für seine Rechte am 24. Januar 2019 vor dem Landessozialamt.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Der an Armen und Beinen gelähmte Tetraspastiker Markus Igel, 31, aus Bad Kreuznach steht unter starkem Stress. Kann er weiter ein selbstbestimmtes Leben in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung führen, rund um die Uhr unterstützt von Assistenten, oder nicht? Trotz einer Solidaritätsdemonstration vor dem Landesamt für Soziales in Saarbrücken, an der gut 100 Behinderte und Nicht-Behinderte sich für Igel einsetzten (die SZ berichtete), muss Igel weiterhin die Lücke zwischen den Kosten für seine Assistenten (monatlich 12 900 Euro) und dem Satz, den das Landessozialgericht Mainz per Eilentscheidung im Dezember 2018 verfügte (7221 Euro) mit Hilfe von Spendern selbst schließen. Die Proteste von 77 000, die im Internet für Igel unterschrieben, und der 100, darunter der bundesweit nach seinem Unfall bei „Wetten, dass...?“ 2010 zu großer Bekanntheit gelangte, querschnittsgelähmte Schauspieler Samuel Koch, die beiden Landesbehindertenbeauftragten Christa Maria Rupp (Saarland) und Matthias Rösch (Rheinland-Pfalz), der an der Glasknochenkrankheit leidende Berliner Aktivist von Ability-Watch Raul Krauthausen, die im Rollstuhl sitzenden Nancy Poser (Trierer Amtsrichterin, Forum behinderter Juristinnen und Juristen) und Michel Arriens, Campaigner von change.org aus Hamburg, blieben bisher bei Saar-Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) ohne Widerhall.

SPD-Landtagsvizepräsidentin Isolde Ries hatte an der Demonstration für Igel teilgenommen und danach gesagt: „Ich schäme mich für dieses Land.“ Die CDU hatte daraufhin allein den Saar-Junge-Union-Chef Alexander Zeyer vorgeschickt, um Ries’ Kritik schärfstens zurückzuweisen.

Doch Ries startete am 25. Januar, einen Tag nach der Demonstration für Igel, einen Appell an die Große-Koalitions-Kollegin Bachmann. „Wir beide vertreten sicherlich die gleichen abendländisch-humanistischen Grundwerte – am Geld für die Behinderten in unserer Gesellschaft sollten wir nicht scheitern“, schrieb Ries an Bachmann. Ries betonte in dem Schreiben, dass sie sich sehr stark gegen den Gedanken wehre, „dass hier an Herrn Igel ein Exempel statuiert werden soll, um anderen Behinderten ihre Grenzen aufzuzeigen“. Ries schrieb Bachmann, die nicht bei der Demo vor dem Landessozialamt anwesend war, dass sie teilgenommen habe, da es ihr „mit unseren gemeinsamen Bekundungen, Behinderten eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, unvereinbar erschien, einen Behinderten in letzter Konsequenz ins Heim zu zwingen“. Die Pflege von Igel koste täglich 433 Euro, monatlich knapp 13 000 Euro, was „nicht unerheblich“ sei. Durch „unlautere Winkelzüge“ ließen sich diese Kosten offensichtlich auf 7300 Euro drücken, so Ries. „Der meines Erachtens durchaus berechtigte und durch internationale Vereinbarungen abgesicherte Wunsch von Herrn Igel ist, trotz seiner schweren Behinderungen weiterhin ein selbstbestimmtes Leben führen zu können“, schrieb Ries. „Ein verständlicher und berechtigter Wunsch“, worüber sie sich mit Bachmann „sicherlich einig“ sei.

 Die saarländische Sozialministerin Monika Bachmann (CDU)	  Foto: Oliver Dietze/dpa

Die saarländische Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) Foto: Oliver Dietze/dpa

Foto: dpa/Oliver Dietze

Als „unmöglich“ bezeichnete Ries den Vorschlag der Sozialdezernentin des Landkreises Neunkirchen, Birgit Mohns-Welsch (SPD), Igel möge sich Pflegekräfte aus Osteuropa holen. Es gebe auch dort Behinderte und man könne daher die östlichen Länder nicht personell „bedenkenlos ausplündern“. Zudem propagiere Mohns-Welsch „Lohndumping“ zu Lasten deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. „Ich bitte sie, den Rechtsstreit zu beenden und Herrn Igel das nötige Geld zu bewilligen“, appellierte Ries an Bachmann.

 Die saarländische Landtagsvizepräsidentin Isolde Ries (SPD) 	 Foto: Tom Gundelwein

Die saarländische Landtagsvizepräsidentin Isolde Ries (SPD) Foto: Tom Gundelwein

Foto: SPD-Landtagsfraktion/Tom Gundelwein

Bachmann zieht sich in ihrem Antwortschreiben, das der SZ vorliegt, auf das Urteil des Landessozialgerichts Mainz zurück. Zudem dürfe die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten einer gleichartigen Sachleistung (stationär wie auch ambulant) nicht übersteigen. Immerhin: Nächste Woche wolle sich Landessozialamtschef Stefan Funck erneut mit Igel und dessen Anwalt zu einem Gespräch treffen. Heute bereits ist das Schicksal Igels ab 13 Uhr Thema im Sozialausschuss des Landtags. Auf Antrag von CDU- und SPD-Landtagsfraktionen soll Neunkirchens Landrat Sören Meng (SPD) Farbe bekennen. Auch die Linksfraktion fordert Aufklärung.

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