Hier wackeln (fast) die Wände Enthusiasmus im Rechtsschutzsaal

Friedrichsthal-Bildstock · In Bildstock blüht der Gesang. Ein Besuch im Proberaum.

 Die Sängerin Sue Lehmann unterrichtet im Rechtsschutzsaal in Bildstock. Hier singt sie mit ihrer Schülerin Karin Linn (68).

Die Sängerin Sue Lehmann unterrichtet im Rechtsschutzsaal in Bildstock. Hier singt sie mit ihrer Schülerin Karin Linn (68).

Foto: Iris Maria Maurer

Das Haus ist stabil. Von daher wackeln keine Wände. Doch viel fehlt dazu nicht. Als wir die obere Etage des Rechtsschutzsaals ansteuern, liegen Enthusiasmus und Leidenschaft in der Luft. „Ich will nicht gehorsam, gezähmt und gezogen sein. Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein. Ich bin nicht das Eigentum von dir. Denn ich gehör’ nur mir.“ Es erklingt eine Passage aus dem Musical „Elisabeth“. Sue Lehmann holt alles aus ihrer Schülerin heraus. An diesem Morgen ist es Karin Linn. Die 68-Jährige aus Bous liebt den Gesang, nimmt seit Jahren Unterricht bei Sue Lehmann.

Letzt genannte Persönlichkeit muss man wohl nicht mehr groß vorstellen, in der Region und weit darüber hinaus hat sie sich einen Namen gemacht durch die unterschiedlichsten Engagements. Mit 17 klassischer Gesangsunterricht, mit 20 gründete sie die Band „The Swinging Serenades“, es folgte das Duo „Tom und Sue“, Solistin in der Formation „Chorwurm“ und so weiter und so fort. Kein Genre ist ihr fremd. Und nun hat sie eben den Rechtsschutzsaal „erobert“. Sehenswert im Obergeschoss ist der große Saal neben den Proberäumen, den sie künftig für Konzerte mit ihren Schülerinnen und Schülern nutzen möchte. „Faszination Singen“ nennt sie ihre Gesangsschule, die kleine und große Talente hervorbringen und fördern möchte.

Sue Lehmann ist nun voll in ihrem Element. Ihre warme, wuchtige Stimme gibt die Passagen vor, auch die, die noch der Korrektur bedürfen. „Das Crescendo hätte ich gerne noch mal“, sagt sie zu Karin Linn, und die kleine, zierliche Seniorin legt sich mächtig ins Zeug. Und was fällt einem ein, wenn man die stimmgewaltige Lehrerin erlebt? Wenn man hört und sieht, mit welcher Leidenschaft und Hingabe sie den Unterricht gestaltet? Musikalischer Kugelblitz – das dürfte es gut und gern umschreiben. Energiegeladen ist sie allemal, mitreißend sowieso. „Edith Piaf ist ihr Genre, aber Zarah Leander liegt ihr besonders“, sagt sie über ihre Schülerin, die sie unterweist. Und schon geht’s wieder weiter im Takt: „Denn ich gehör’ nur mir.“ „Das ,miiiiir’ muss strahlen“, erklärt die Frau im roten Kleid.

Bevor sie den schmucken Rechtsschutzsaal entdeckte, war sie als Gesangslehrerin in Heusweiler tätig. Dort ist ihr Zuhause. Und als die Warteliste mit Schülern in spe immer länger wurde, nahm sie noch den Kollegen David Conrad mit ins Boot. Dass sie in Bildstock nun ihre Sangeskünste vermittelt, gefällt ihr im Übrigen besonders gut. „Ich bin ein Bergarbeiterkind“ – schon von daher habe sie einen Bezug zum ältesten Gewerkschaftshaus Deutschlands.

Ihre jüngste Schülerin ist neun Jahre alt und Karin Linn mit 68 die älteste. Ihrer Klientel bringt sie bei, dass Musik sehr viel mehr ist als das Aneinanderreihen von (richtigen) Tönen. Manchmal lässt sie Herzen höher schlagen, sie macht das Leben noch lebenswerter, und gelegentlich steht mit ihr die Welt auch mal still. Emotionen weiß sie ebenfalls zu wecken, und so hat Sue Lehmann auch schon mal Tränen der überwältigenden Freude gesehen. Als etwa ein singender Mann vor ihr stand und mit Lehmanns Hilfe entdeckte, was künstlerisch in ihm steckt. „Boah, dass ich das kann....“ – solche Aha-Erlebnisse hinterlassen wunderbare Spuren.

Als wir uns aus dem Rechtsschutzsaal verabschieden, erfahren wir noch en passant, dass die Gesangsschule in Bildstock am Samstag, 18. August, zum Tag der offenen Tür einlädt. Dass es da fröhlich zugehen wird, steht außer Frage.

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