Freejazz Könner-Ensembles begeistern mit Improvisierfreude

Saarbrücken · Prolog zum fünften Freejazz-Festival Saarbrücken war ebenso mitreißend wie schweißtreibend. Inklusive Film mit Diskussion.

 An wechselnden Saxofonen und Klarinetten spielten (v. l.): Nils Fischer, Andreas Krennerich, Frank Paul Schubert, Hartmut Oßwald. 

An wechselnden Saxofonen und Klarinetten spielten (v. l.): Nils Fischer, Andreas Krennerich, Frank Paul Schubert, Hartmut Oßwald. 

Foto: Kerstin Krämer

Echt heiß, diese Performance. Ob sie deswegen „Degrees above“ hieß? Der insgesamt hervorragende Prolog des fünften Freejazz-Festivals Saarbrücken startete derart schweißtreibend, dass danach der Duft rechtschaffen in harter Arbeit freigesetzten Testosterons durchs Kino achteinhalb waberte. Nils Fischer, Hartmut Oßwald, Frank Paul Schubert und Andreas Krennerich verausgabten sich am Mittwoch völlig bei ihrer expressiven Demonstration der Kunst der freien Improvisation.

Auf vielen Holzblasinstrumenten, vom Sopranino- bis zum Baritonsaxofon plus Bass- und Kontrabassklarinette loteten die vier in fabelhaft organischer Symbiose alle klanglichen und dynamischen Möglichkeiten der Besetzung aus: von tonlosen Flüstersounds bis zum brachialen Tutti, von kammermusikalischer Finesse bis zu ohrenbetäubend wilden Ausbrüchen.

Mittels unterschiedlichster Spieltechniken förderten die vier dabei auch bizarrste tierische Sounds zutage: Mal klang’s nach liebeskrank röhrenden Elchen, mal nach quakenden Fröschen; mal fiepte und winselte es oder spuckte fiebrig, um röchelnd zu verenden – großartig.

Auf diese zünftige Blasmusik folgte ein nicht minder skurriles Kinokonzert nach einer Idee von Posaunist Christof Thewes: Festivalleiter Stefan Winkler hatte Szenen aus 30 Godzilla-Filmen zusammengeschnitten, die sechs Musiker in einer Live-Improvisation vertonten.

Thewes und Baritonsaxofonist Luciano Pagliarini hatten zur Verstärkung alle Mitglieder der amerikanischen „Nu-Band“ mitgebracht, die im Rahmen des Festivals am Donnerstagabend erneut in der Stiftung Demokratie Saarland zu hören war: Dort umrahmte sie den Vortrag des Autors und Fotografen Arne Reimer über „American Freejazz Heroes“. Drei 80-jährige Saxofonisten sind für die beiden Haupttage des Festivals angekündigt – der Flötist und Saxer der Nu-Band ist sogar noch älter und höchst vital: Mit seinen 83 Jahren brauchte sich Mark Whitecage in keiner Beziehung hinter seinen Kollegen Thomas Heberer (Trompete), Joe Fonda (Kontrabass) und Lou Grassi (Schlagzeug) zu verstecken.

Was das Sextett hier leistete, war schlicht fulminant und trieb die unfreiwillige Komik der trashigen Bilder auf die Spitze. Man sah Godzilla, wie er im Lauf der Filmgeschichte immer wieder die menschliche Zivilisation bedroht: zornig in Strommasten beißend, mit dem Schwanz Häuser zerpeitschend und ganze Brücken durch die Gegend werfend.

Flammendes Inferno, dazu Kampf der Giganten: Godzilla, der Unbesiegbare, im Clinch mit King Kong, Monstermotten und Meeresungeheuern; mit Tarantula, dreiköpfigen Drachen und geifernden Erdwürmern. Mittendrin immer wieder Großaufnahmen des kulleräugig dreinblickenden Schauspielers Raymond Burr, schwer würgend an dem Kloß, der ihm angesichts dieses B-Movie-Mülls und der japanischen Burgschauspieler um ihn herum im Hals saß.

Es muss diese Erfahrung gewesen sein, die Burr dazu bewog, doch lieber unter Alfred Hitchcocks Regie Frauen zu zerstückeln („Fenster zum Hof“) und im US-Fernsehen eine Anwaltskarriere als „Der Chef“ zu starten.

Die cineastische Apokalypse wurde von den Freejazzern furios und wie aus einem Guss illustriert – unfassbar, mit welcher Energie und welchem Erfindungsreichtum sie immer noch eins drauflegten. Man wunderte sich nur, dass sie bei diesem abenteuerlichen Kraftakt nicht sämtlich kollabierten.

Vor allem, als sich hinterher herausstellte, dass der Film aus Versehen in Slowmotion gezeigt worden war: Aus den ursprünglich geplanten 50 Minuten wurden so mal eben locker 100.

Das war bezeichnend für die herrlich rustikale und unbekümmerte Atmosphäre des Festivals, aber insofern schade, als mittlerweile auch das Publikum etwas in den Seilen hing. Forderte doch ein weiterer Programmpunkt Aufmerksamkeit: Zum Abschluss lief der Dokumentarfilm „Inside out in the open“ (USA 2001) des Regisseurs Alan Roth.

In seinem Streifen erkundet der politische Aktivist und Filmemacher, der anwesend war und sich noch einem Gespräch stellte, die Entstehungsgeschichte des Free Jazz in den 1960er-Jahren: Mit einer expressionistischen Mischung aus zahlreichen Künstlerinterviews und Konzertaufnahmen liefert Roth nicht nur eine Einführung in die Philosophie des Free Jazz, sondern auch eine detaillierte Geschichte des Genres und eine aufschlussreiche Diskussion der Kunst der Improvisation. Fazit: Dieser Prolog war im wahrsten Sinne des Wortes ganz großes Kino. Am Samstag geht’s ab 19.30 Uhr im Gemeindezentrum Alte Kirche weiter.

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