Landesbehindertenbeirat „Barrierefreiheit“ in den Köpfen gefordert

Saarbrücken · Die Behinderten spüren in der Gesellschaft eine rückläufige Hilfsbereitschaft ihnen gegenüber. Die Landespolitik will ihnen mehr Teilhabe ermöglichen – und macht die Landesbehindertenbeauftragte wieder zum Hauptamt.

 Die Landesbehindertenbeauftragte Christa Rupp

Die Landesbehindertenbeauftragte Christa Rupp

Foto: BeckerBredel

Mit  zunehmendem Alter wächst im Saarland auch die Zahl der Behinderten – und die müssen nicht nur gegen bauliche Barrieren, sondern auch gegen Barrieren in den Köpfen anderer ankämpfen. Auf der konstituierenden Sitzung des neuen  Landesbehindertenbeirates im Saarbrücker Landtag kündigte deshalb Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) gestern eine Verbesserung und Neufassung des knapp eineinhalb Jahrzehnte alten Landesgleichstellungsgesetzes für Menschen mit Behinderung an. Es soll nach eingehenden Expertenanhörungen im Sommer 2018 vom Parlament verabschiedet werden. Laut einem Eckpunktepapier des Landesbehindertenbeirates hat etwa jeder fünfte Saarländer eine Behinderung, meist körperlicher, aber auch geistiger oder seelischer Art.

 Ob der seit vielen Jahren nur über einen untertunnelten Treppenaufgang in Saarbrücken-Güdingen zu erreichende Saarbahnhof oder andere Bahnhöfe im Land, ob fahrstuhllose Arztpraxen, Apotheken oder Schwierigkeiten in vielen anderen Gebäuden: Auf Rollator oder Rollstuhl angewiesenen Menschen stehen im Saarland nach wie vor viele Hindernisse im Weg. „Auch in Hotels und Gaststätten ist die Barrieresituation für Behinderte oft ein Trauerspiel“, klagt die nach einem Unfall seit Jahrzehnten auf den Rollstuhl angewiesene Annette Pauli aus Mandelbachtal. Sie ist Sprecherin der kommunalen Beauftragten für Menschen mit Behinderung im Saarland und eines der 30 Mitglieder im neuen Landesbehindertenbeirat.

 Angeführt wird das Gremium qua Amt von der blinden Landesbehindertenbeautragten Christa Maria Rupp, die seit etwa einem halben Jahr in dieser Tätigkeit ehrenamtlich mit Aufwandsentschädigung – wie auch der Landespflegebeauftragte Jürgen Bender – arbeitet. Bestellt wurde sie für sechs Jahre, wie Ministerin Bachmann in Erinnerung rief. Sie will nun per Gesetzesänderung den Landesbehindertenbeauftragten künftig als unabhängige, hauptamtliche Stabsstelle vom Landtag wählen lassen und ihn dort auch angliedern.

Damit wird eine umstrittene Entscheidung aus dem Jahr 2016 rückgängig gemacht, als der Posten des Landesbehindertenbeauftragten zum Ehrenamt herabgestuft wurde. In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD vereinbart, wieder eine hauptamtliche Stelle zu schaffen.

Außerdem soll das novellierte Behindertengleichstellungsgesetz mehr Barrierefreiheit in allen Bereichen und mehr Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsplatz und im gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Dazu, so Bachmann, zähle auch die bei den Landesbehörden angeordnete Erstellung von Texten in leichterer Sprache. So werde die Broschüre „Behindert – was nun?“ des Landesamtes für Soziales gerade in einfachere Sprache „barrierefrei“ übersetzt.

Beklagt wurde von der Ministerin, dass sich trotz Halbierung der Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten im Saarland seit dem Jahr 2000 noch immer 442 heimische Betriebe (26,6 Prozent) trotz gesetzlicher Vorgabe weigern, Schwerbehinderte einzustellen. „Hier besteht leider weiterhin aktueller Handlungsbedarf“, sagte die Ministerin.  Andere Programme waren nach ihren Worten erfolgreicher. So würden in diesem Jahr für knapp 12 400 einkommensschwächere der insgesamt 158 500 Saarländer mit Schwerbehindertenausweis 259 Millionen Euro Eingliederungshilfen gezahlt. „Einer der größten Posten im Landeshaushalt“, so Bachmann. Zur finanziellen Förderung barrierefreien Wohnraums im Eigenheim könne es für gehbehinderte oder pflegebedürftige über 60-Jährige Zuschüsse zwischen 5000 und 10 000 Euro geben.

„Der Umgang mit behinderten Menschen ist etwas lockerer geworden“, freut sich die Landesbehindertenbeauftragte Rupp. Sie beklagt aber zugleich unisono mit Rollstuhlfahrerin Pauli: „Die Hilfsbereitschaft gegenüber behinderten Menschen ist eher rückläufig. Wir sind leider immer mehr auf dem Weg, absolute Individualisten und Egomanen zu werden.“ Die Barriefreiheit in den Köpfen der Menschen brauche sicher noch einige Jahre.

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