Diskussion um Bruchwiesenschule Commerçons Zahlen sorgen für Verwunderung

Saarbrücken · Der Bildungsminister hat den hohen Migrantenanteil an der Bruchwiesenschule bestritten. Jetzt gibt sein Haus den Fehler zu.

 Die Gemeinschaftsschule Bruchwiese ist bundesweit im Gespräch.

Die Gemeinschaftsschule Bruchwiese ist bundesweit im Gespräch.

Foto: SZ

Kennen Lehrer nicht den Unterschied zwischen Prozentzahlen und absoluten Zahlen oder ist ihnen eine Panne unterlaufen? Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man dem Bildungsminister am Donnerstag zugehört hat, als es um die Frage ging, wie viele Kinder mit Migrationshintergrund die Gemeinschaftsschule Bruchwiese in Saarbrücken besuchen. In einem Schreiben vom Juni klagt das Kollegium über verheerende Zustände und sagt, dass der Anteil der Kinder „nicht-deutscher Herkunft“ bei 86 Prozent liege. Minister Ulrich Commerçon (SPD) rückte diese Zahl im SR gerade: „Wir haben uns das ganz genau angeschaut. Es sind 20,5 Prozent mit Migrationshintergrund. Es sind 76 Kinder, womöglich 86 im letzten Jahr. Da sind die Prozente offenbar mit den absoluten Zahlen verwechselt worden.“

Wie das Ministerium auf die Zahlen kommt, ist der Schule ein Rätsel: „Ich habe keine Erklärung dafür und war auch überrascht“, sagt Schulleiterin Pia Götten auf SZ-Anfrage. Die Schule habe daraufhin am Freitag erneut die komplette Schülerdatei durchgeschaut. Sie komme bei derzeit 340 Schülern auf einen Migrationsanteil von zirka 75 Prozent. Die genannten 86 Prozent bezögen sich auf das letzte Schuljahr. Die Schule zähle für die Quote alle Kinder dazu, die mindestens ein Elternteil mit Migrationshintergrund haben.

Diese Zählweise benutzt auch das Statistische Bundesamt: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“, teilt die Behörde mit. Die Definition umfasse Ausländer und Eingebürgerte unabhängig davon, ob sie zugewandert oder hier geboren sind sowie Spätaussiedler und Kinder dieser drei Gruppen.

Migrationshintergrund bedeute nicht automatisch Probleme und Sprachbarrieren, betont Götten. Sie rechnet daher die Schüler heraus, mit denen die Kommunikation – auch mit den Eltern – funktioniere. Es blieben aber 166 Schüler, die selbst oder deren Eltern über schlechte Deutschkenntnisse verfügten. Die Zahl der Flüchtlingskinder liege zwischen 60 und 70.

Auf Nachfrage räumt das Ministerium ein, einen Fehler gemacht zu haben. Man erfasse nicht, welche Migrationsrate die einzelne Schule hätte. Die 76 Schüler seien diejenigen mit Flucht- und Zuwanderungshintergrund gewesen, für die die Schule beim Ministerium Sprachförderbedarf angemeldet habe. Hochgerechnet auf die damalige Schülerzahl von 370 ergebe sich der Anteil 20,5 Prozent. Diese Zahl sei irrtümlicherweise als die Migrationsrate kommuniziert worden. Dass es weitere Schüler mit Sprachdefiziten gibt, bekomme das Ministerium nicht mitgeteilt.

Der Brandbrief war am Donnerstag auch Thema bei „RTL aktuell“. Darin wird der Minister zitiert, er glaube, dass einige Lehrer generell gegen die Inklusion seien und der Brief deswegen verfasst wurde. „Wir sind absolut offen der Inklusion gegenüber, wir sehen hier auch wunderbare Erfolge“, sagt Götten. Probleme bereiteten die Schüler mit sozial-emotionalem Förderbedarf, die vorhandenen Ressourcen reichten dafür nicht aus. Auch die Schulleitung habe den Brief vom Juni unterschrieben. „Ich weiß von keinem Kollegen, der nicht unterzeichnet hat“, so Götten.

Der bei RTL geäußerte Vorwurf des Ministers ärgert die Gewerkschaft Verband Reale Bildung (VRB): „Der VRB kritisiert scharf die Aussagen von Minister Commerçon, dass die Zustände an der GemS Bruchwiese der Haltung der Kollegen bezüglich der Inklusion geschuldet seien“, so die Vorsitzende Karen Claassen. Angesichts mehrerer Brandbriefe und Überlastungsanzeigen, die in den letzten Monaten an das Ministerium gesendet wurden, „lässt die Aussage Commerçons wenig Vertrauen zu, dass die nun öffentlich gewordene Situation wirklich ernst genommen wird“. Der VRB appelliert an alle Verantwortlichen, trotz Schuldenbremse Lösungen zu erarbeiten, die ein gezieltes Unterrichten ermöglichten.

Weiteren Handlungsbedarf sieht auch die CDU im Landtag. Im neuen Jahr müssten zwei Themen vorrangig angepackt werden, so der bildungspolitische Sprecher Frank Wagner. Neben dem „Kollegium der Zukunft“, bei dem Lehrer durch Sozialarbeiter, Psychologen, Ergotherapeuten und IT-Fachpersonal unterstützt werden, müsse das „Kompetenzzentrum Inklusion“ eingerichtet werden. Hier sollen die Bereiche Eingliederungshilfen, Beratung, sonderpädagogische Begutachtung und Ressourcenverteilung gebündelt werden.

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