Gesundheit Auf dem Land droht ein Zahnarzt-Mangel

Saarbrücken · In zehn Jahren wird mehr als ein Drittel der Zahnärzte im Saarland das Rentenalter erreichen. Der Nachwuchs hat wenig Lust, auf dem Land zu arbeiten.

  Bundesweit sind Versorgungszentren auf dem Vormarsch, hinter denen internationale Kapitalgeber stehen – im Saarland gibt es sie (noch) nicht.

Bundesweit sind Versorgungszentren auf dem Vormarsch, hinter denen internationale Kapitalgeber stehen – im Saarland gibt es sie (noch) nicht.

Foto: pa/obs/proDente e.V./Prodente E.v.

Im ländlichen Raum des Saarlandes scheint ein Mangel an Zahnärzten heraufzuziehen. „Praxen im ländlichen Raum werden trotz der durchaus vorhandenen ordentlichen Verdienstmöglichkeiten von jungen Kolleginnen und Kollegen als wenig attraktiv wahrgenommen“, sagte jetzt der Präsident der Kassenzahnärztlichen Vereinigung des Saarlandes (KZVS), Dr. Ulrich Hell, der SZ auf Anfrage. Die Niederlassungsbereitschaft steige bei den jungen Zahnärzten mit zunehmendem Alter wieder an. „Aber damit reduziert sich natürlich die Zeit, die verbleibt, um die Anfangsinvestition, sprich den Bankkredit, über eigene Leistungen refinanzieren zu können“, erklärte Hell.

Nach Angaben der KZVS ist das Investitionsvolumen für die Übernahme einer Einzelpraxis in den Jahren 2014 bis 2016 von 265 000 Euro auf 284 000 Euro bundesweit gestiegen. Der durchschnittliche Übernahmepreis für eine Einzelpraxis liege bei 170 000 Euro. Bei der Neugründung einer Zahnarztpraxis müssen die jungen Zahnärzte demnnach jedoch etwa eine halbe Million Euro in die Hand nehmen. „Diese hohe Verschuldung steht am Beginn der Berufstätigkeit als Zahnarzt, noch bevor der erste Euro an Umsatz verdient wurde“, betonte Hell. Hinzu kämen für die jungen Kollegen private Verpflichtungen wie Eigenheim oder Auto. Angesichts der enormen finanziellen Aufwendungen und der damit verbundenen engen Bindung an die übernommene Praxis scheuten viele junge Kolleginnen und Kollegen vor der Niederlassung im Anschluss an das Studium zurück, meinte der KZVS-Präsident. Vor allem junge Zahnärztinnen seien wegen Schwangerschafts- und Kindererziehungsauszeiten weniger bereit, das Risiko einer eigenen Praxis zu wagen. Deshalb sei es „durchaus verständlich“, dass die Frauen das Angestelltenverhältnis vorzögen.

Dabei liegt das Durchschnittsalter der Saar-Zahnärzte bereits jetzt bei etwa 50 Jahren, das der niedergelassenen Zahnärzte sogar schon bei 53 Jahren, während die angestellten Zahnärzte auf durchschnittlich 47 Jahre kommen, die Assistenten auf 31 Jahre und die Praxisvertreter im Durchschnitt schon 63 Jahre alt sind. Derzeit arbeiten im Saarland 68 Zahnärzte, die älter als 65 Jahre alt sind. „In den nächsten zehn Jahren werden weitere 279 Zahnärztinnen und Zahnärzte das 65. Lebensjahr vollenden“, so Hell. Damit könnten in zehn Jahren mehr als ein Drittel der derzeit 657 vertragszahnärztlich tätigen Zahnärzte im gesetzlichen Rentenalter sein, das jedoch bei den Vertragszahnärzten aufgehoben wurde. Von den 657 Zahnärztinnen und Zahnärzten sind nach KZVS-Angaben 100 angestellt, 40 als Assistenten tätig und vier als Praxisvertreter. Die übrigen 513 Zahnärztinnen und Zahnärzte arbeiteten entweder in Einzelpraxen oder in Berufsausübungsgemeinschaften als Freiberufler.

Von den niedergelassen Kollegen seien 341 Zahnärzte und 172 Zahnärztinnen. Bei den Angestellten ist das Zahlenverhältnis umgekeht: 61 sind weiblich und 39 männlich.

Der durchschnittliche Brutto-Jahresverdienst eines Zahnarztes im Saarland beträgt laut KZVS 326 000 Euro. Davon stamme etwa die Hälfte aus Privatabrechnungen, wenn man Berechnungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zu Rate ziehe.

Hell warnt davor, dass die Zahl der Zahnärzte, die in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand gehen würden, voraussichtlich nicht durch die Studienabsolventen der Homburger Universität ausgeglichen werden könne. Zumal ein Teil der Homburger Studienabgänger das Saarland verlassen werde, um sich in anderen Bundesländern als Zahnärzte zu etablieren. „Vor diesem Hintergrund wäre es langfristig gesehen wünschenswert, die Zahl der Studienplätze in Homburg auszubauen“, forderte KZVS-Präsident Hell.

Zudem werde von Nicht-Saarländern das Saarland als Lebens- und Arbeitsstandort in der Regel nicht favorisiert. „Vor diesem Hintergrund ist es generell schwierig, Zahnärzte aus anderen Bundesländern von den Vorzügen des Saarlandes zu überzeugen und diese für eine langfristige Tätigkeit im Saarland zu gewinnen“, betonte Hell. Ob die Bemühungen der Landesregierung, mit Imagekampagnen den Zahnärzten die Attraktivität des Saarlandes näher zu bringen, Erfolg hätten, werde man wohl erst in den kommenden Jahren beurteilen können, meinte Hell.

Mit Sorge sehen die Saar-Kassenzahnärzte auf die sich im Bundesgebiet ausbreitenden zahnmedizinischen Versorgungszentren (ZMVZ). Mehr als 600 dieser ZMVZ sieht nach Angaben der Bundeszentrale der Kassenzahnärzte in wirtschaftlich prosperierenden Städten binnen kurzer Zeit  aus dem Boden geschossen, meist finanziert mit Fremdkapital von international aktiven Private-Equity-Firmen oder reicher Scheichs aus der Golfregion. Es gehe diesen ZMVZ-Eignern nicht um „einen vernünftigen Versorgungsbeitrag“, sondern darum, dass die Rendite für die Anleger stimme, erklärte Hell. Den Namen „Versorgungszentrum“ trügen diese Einrichtungen, in den mehrere Zahnärzte angestellt sind, zu Unrecht. Es gehe dabei um Verdrängung, Wachstum und Monopolbildung. Da im Saarland jedoch ein „traditionell weniger hohes Einkommensniveau“ herrsche, sind diese ZMVZ auf dem hiesigen Zahnarztmarkt noch nicht aktiv. Diese zielen vor allem auf zahlungskräftige Privatpatienten ab. Hell bezweifelte, ob in ZMVZ angestellte Kollegen unrentable, aber medizinisch sinnvolle Entscheidungen treffen könnten.

Die St. Wendeler Zahnärztin Dr. Jeannine Bonaventura, Landesvorsitzende des Vereins Freier Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ), der 200 Zahnärzte vertritt, sagte der SZ, es habe bereits Anfragen verschiedener ZMVZ-Träger zur Etablierung von Versorgungszentren im Saarland an die KZVS gegeben. „Die KZVS hat das dann immer so ein bisschen auf die lange Bank geschoben“, sagte Bonaventura, die solche ZMVZ ablehnt. Die ZMVZ zögen den Nachwuchs von den Unis ab, der zu 70 Prozent weiblich sei. Auch Bonaventura befürchtet Zahnarzt-Versorgungsengpässe im ländlichen Raum. Sie forderte, dass auch junge Zahnmedizin-Studenten, die im Saarland nach dem Examen bleiben wollen, von der Landesregierung finanziell so unterstützt werden, wie das bei den zukünftigen Hausärzten der Fall sei.

Der Schwalbacher Zahnarzt Dr. Stefan Wilhelm, Chef des Vereins Verband der Zahnärzte im Saarland (VdZiS) mit 220 Mitgliedern, sagte: „Das Saarland kann sich glücklich schätzen, dass es noch keine ZMVZ gibt.“ Diese ZMVZ seien nicht patientenfreundlich und nicht rund um die Uhr geöffnet.

Die Fachschaftsvorsitzende des Zahnmedizin-Studiengangs an der  Homburger Uni, Marie-Louise Blaß, sagte der SZ, dass sie sich als Saarländerin nach Studienende 2021 schon hier niederlassen wolle. Der Kredit mache ihr wenig Angst, das sei ja wie beim Hauskauf, so Blaß. Doch von den 180 Zahnmedizinstudenten seien nur 30 Prozent aus dem Saarland. „Die Kommilitonen von außerhalb sind geschockt, wenn sie nach Homburg kommen“, sagte Blaß. Es gebe keine Disko, keinen Club, kaum Kulturangebote. Man brauche mit dem Zug 30 Minuten bis nach Saarbrücken. „Das ist zu wenig, um das Saarland richtig lieben zu lernen“, sagte Blaß zur Begründung, warum die meisten auswärtigen Zahnmedizin-Studenten nach dem Examen das Saarland wieder verließen.

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