Interview mit Professor für Arbeitsrecht „Ein neuer Gang nach Karlsruhe soll Klarheit bringen“

Saarbrücken/Bonn · Darf in kirchlichen Einrichtungen gestreikt werden? Professor Gregor Thüsing, Spezialist für kirchliches Arbeitsrecht, erklärt die Rechtslage.

 Professor Gregor Thüsing, Universität Bonn

Professor Gregor Thüsing, Universität Bonn

Foto: Thüsing

Professor Gregor Thüsing leitet das Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Er gilt als Spezialist für kirchliches Arbeitsrecht und ist Autor eines juristischen Lehrbuchs zu dem Thema.

Herr Professor Thüsing, dürfen Mitarbeiter eines katholischen Krankenhauses streiken?

THÜSING Das kommt drauf an. Wenn die Kirche sich an ihre eigenen Regeln hält, darf nicht gestreikt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat gesagt, dass die kircheneigenen Regelungsmechanismen einen Streik in kirchlichen Einrichtungen ausschließen, wenn die Gewerkschaften die Möglichkeit haben, in den kirchlichen Kommissionen auf angemessene Arbeitsbedingungen mit hinzuwirken.

Wenn die Rechtslage nach Ihrer Auffassung so eindeutig ist, warum streikt die Gewerkschaft dann trotzdem?

THÜSING Weil sie diese Rechtsprechung noch einmal zum Bundesverfassungsgericht bringen will. Die letzte Verfassungsbeschwerde ist aus Zulässigkeitsgründen gescheitert. Ein neuer Gang nach Karlsruhe soll Klarheit bringen. Die Gewerkschaften sind auch daran interessiert, das große Reservoir möglicher Mitglieder im kirchlichen Bereich zu nutzen. Bislang sind Gewerkschaften im kirchlichen Dienst traditionell nur schwach organisiert. Wenn sie hier wirklich Tarifverhandlungen führen würden, wäre das vielleicht anders.

Verdi Saar stellt sich auf den Standpunkt, auch unterstützt von einem Bremer Fachanwalt, dass bis heute kein einziges Gericht den Kirchen Recht gegeben habe und dass es kein Streikverbot gebe.

THÜSING Das ist nicht richtig. Das Bundesarbeitsgericht hat gesagt: Die Gewerkschaften dürfen nicht streiken, wenn ihnen die Möglichkeit zur angemessenen Mitwirkung in den Gremien des Dritten Weges gegeben wird. Das heißt konkret: Die Gewerkschaften müssen die Möglichkeit haben, in den paritätisch besetzten Kommissionen beteiligt zu sein. Dieses Angebot lehnen sie ab, weil sie die Gefahr sehen, überstimmt zu werden und keinen hinreichenden Einfluss zu haben.

Die Marienhausklinik Ottweiler hat den Streikenden arbeitsrechtliche Schritte angedroht. Ist sie damit im Recht?

THÜSING Ja. Die Frage ist, wie gut sie damit beraten ist. Wenn sich ohnehin nur wenige Mitarbeiter an dem Streik beteiligt haben, dürfte der Arbeitgeber kein Interesse an einer Eskalation haben. Grundsätzlich zulässig wären Abmahnungen und gegebenenfalls Schadenersatzforderungen gegenüber der Gewerkschaft, wenn ein Schaden entstanden ist.

Ist der Ausschluss vom Streikrecht heutzutage noch zu rechtfertigen?

THÜSING Er ist nicht so ungewöhnlich. Auch Beamte dürfen nicht streiken, das wird aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Grundgesetz hergeleitet. Den Kirchen wird im Grundgesetz das kirchliche Selbststimmungsrecht garantiert. Dazu gehören nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts auch die Arbeitsvertragsbeziehungen, und deshalb dürfen die Kirchen besondere Loyalitätsanforderungen an die Mitarbeiter formulieren. Es ist die Überzeugung der Kirche, dass das antagonistische Modell von Streik und Aussperrung, von Druck und Gegendruck der kirchlichen Dienstgemeinschaft nicht adäquat ist. Deshalb hat sie über die Gremien des Dritten Weges konsensuale  Wege zur angemessenen Festlegung der Arbeitsbedingungen – Arbeitsbedingungen übrigens, die sicher nicht unter dem Durchschnitt der vergleichbaren weltlichen Arbeitgeber liegen.

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