Porträt eines Richters Ihm ist kein Verbrechen fremd

Saarbrücken · Thorsten Tanto ist Ermittlungsrichter am Amtsgericht Saarbrücken – und glaubt trotzdem noch an das Gute im Menschen.

 Eine Robe trägt Thorsten Tanto als Ermittlungsrichter am Amtsgericht Saarbrücken so gut wie nie, für den Fotografen macht er eine Ausnahme.

Eine Robe trägt Thorsten Tanto als Ermittlungsrichter am Amtsgericht Saarbrücken so gut wie nie, für den Fotografen macht er eine Ausnahme.

Foto: Oliver Dietze

Ein Fall aus seiner Anfangszeit als Ermittlungsrichter ist Thorsten Tanto besonders in Erinnerung geblieben: als eine bekannte Rotlichtgröße vor ihm zusammenbrach und weinte – der Mann hatte gerade erfahren, dass derjenige, den er für einen Freund gehalten und der ihn zu einem Raub angestiftet hatte, ein V-Mann der Polizei war. „Das lässt einen nicht kalt“, erinnert sich Tanto, der darüber entscheiden musste, ob der Mann in U-Haft kam oder nicht. Der Fall ging ihm auch deshalb nicht aus dem Kopf, weil er aus juristischer Sicht spannend war und zeigte, wie widersprüchlich Rechtsprechung manchmal sein kann. Während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte es als Unrecht ansah, einen Verdächtigen zu einer Straftat anzustiften, um ihn zu überführen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) lange anders. Erst 2016 schloss sich der BGH der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs an.

Seit drei Jahren arbeitet Tanto als Ermittlungsrichter am Amtsgericht Saarbrücken: 1500 Fälle landen im Schnitt jedes Jahr auf seinem Schreibtisch. 1500 Entscheidungen, die er treffen muss und die oft schwerwiegende Eingriffe in das Leben eines Menschen darstellen. Urteile fällt der 47-Jährige als Ermittlungsrichter nicht, er befasst sich mit den Fällen, bevor überhaupt Anklage erhoben wird. Wenn die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft beantragt oder einen Durchsuchungsbeschluss, wenn die Polizei eine Genehmigung braucht, um einen Terrorverdächtigen abzuhören oder das Handy eines Selbstmordgefährdeten zu orten – dann ist Tanto gefragt. In den gravierendsten Fällen geht es darum, ob ein Verdächtiger in U-Haft muss oder nicht. Der Ermittlungsrichter hört den mutmaßlichen Täter an und prüft genau, ob die rechtlichen Grundlagen vorliegen, um ihn ins Gefängnis zu schicken: Besteht die Gefahr, dass er flieht, erneut kriminell wird oder die Tat verdunkelt? Nicht immer fällt seine Entscheidung im Sinne von Polizei und Staatsanwaltschaft aus: „Die wollen natürlich jeden, den sie zu mir bringen, in Haft sehen. Die Ermittlungsrichter sind eine neutrale Instanz, wir gucken genau, ob es gerechtfertigt ist.“

Dass selbst ein Richter nie ganz objektiv sein kann, ist Tanto bewusst: „Die eigenen Ansichten schwingen immer mit.“ Aber man müsse bestrebt sein, eine gerechte Entscheidung im Sinne des Gesetzes zu treffen. „Schlecht ist es, wenn einem Richter der Fall egal ist.“ Auch solche Kollegen sind ihm in seiner Laufbahn schon begegnet. „Ich finde unsere Gesetze ganz überwiegend gut und sinnvoll. Das erleichtert es, hinter der eigenen Entscheidung zu stehen.“ Dennoch – auch Richter machen Fehler. Bis heute bereut der 47-Jährige, dass er einen Mann einen Monat lang in U-Haft schickte, der verdächtigt wurde, ein Kind sexuell missbraucht zu haben. Tanto hegte Zweifel: „Die Aussage des Kindes war relativ dürftig, eher oberflächlich.“ Dennoch genehmigte er die U-Haft. Wie sich herausstellte, war der Mann unschuldig. „So etwas hängt einem schon nach.“

Tanto ist ein freundlicher Mann, gar nicht der Typ „strenger Richter“, er lacht gerne, wägt seine Antworten sorgfältig ab und hört genau zu. Dass er Richter werden wollte, wusste er schon zu Schulzeiten, schon damals wollte er für Gerechtigkeit sorgen. „Ich habe es bei Schulhofschlägereien als sehr ungerecht empfunden, wenn es die Schwächeren traf.“ Nach dem Jura-Studium in Bielefeld kam er für sein Referendariat ins Saarland, „um dem schlechten Wetter zu entkommen“, scherzt er. Nach dem Staatsexamen arbeitete er anderthalb Jahre als Anwalt, ein Jahr lang als Staatsanwalt, bevor er schließlich zum Familienrichter berufen wurde. Zwölf Jahre lang urteilte er in Streitigkeiten um Sorgerecht, Unterhalt und Scheidungen.

Seit 2015 ist er Ermittlungsrichter und sitzt Tag für Tag Kriminellen, teilweise Schwerverbrechern, gegenüber. Ist der Beruf des Richters gefährlich? Tantos Antwort kommt schnell: „Nein.“ Die Verdächtigen seien ja in der Regel gefesselt, wenn sie ihm vorgeführt werden. Der Job des Familienrichters sei da schon gefährlicher, sagt er und erzählt mit einer überraschenden Gelassenheit, wie ein psychisch kranker Mann, gegen den ein Kontaktverbot für seine Ex-Freundin verhängt worden war, einen Molotow-Cocktail in sein Geschäftszimmer warf. Tanto und eine Kollegin konnten sich retten, das Büro ging in Flammen auf. Das Bizarre daran: Nicht Tanto hatte das Verbot angeordnet, sondern ein Kollege. „Aber so etwas ist die Ausnahme“, beteuert der 47-Jährige.

Als Ermittlungsrichter ist ihm wohl kein menschlicher Abgrund fremd. Immerhin landet fast jeder Mord, der im Saarland begangen wird, bei ihm auf dem Tisch. Trotzdem glaubt er noch an das Gute im Menschen. Eine Auswirkung auf sein Privatleben hat seine Arbeit aber doch: „Ich habe größere Angst als früher, dass bei mir eingebrochen wird.“ Und das obwohl er weiß, dass die Zahl der Straftaten zurückgeht. Aber wer sich Tag für Tag mit Einbrüchen beschäftigt, lässt „am Abend doch lieber die Jalousien herunter“.

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