Verkehr Immer mehr Wildunfälle im Saarland

Saarbrücken/Eppelborn · Allein in diesem Jahr registrierte die Polizei rund 3400 Zusammenstöße. Dabei wurden 44 Menschen verletzt.

 Vor allem in den frühen Morgenstunden und ab Einsetzen der Dunkelheit queren Rehe und anderes Wild die Straßen. Häufig kommt es dabei zu Zusammenstößen mit Autos.

Vor allem in den frühen Morgenstunden und ab Einsetzen der Dunkelheit queren Rehe und anderes Wild die Straßen. Häufig kommt es dabei zu Zusammenstößen mit Autos.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Ein nebliger November-Morgen im vergangenen Jahr. Charlotte Holz (Name von der Redaktion geändert) aus Wiesbach packt um kurz vor acht Uhr ihre zweijährige Tochter Marie ins Auto, um sie in die Kita zu fahren. Wie immer geht es aus dem Tal über die L 141, in den hoch gelegenen Ortsteil Humes der Gemeinde Eppelborn. Wälder, Felder, Halbdunkel und schlechte Sicht. Charlotte Holz fährt keine 30 km/h, obwohl 70 erlaubt sind. Sie erkennt gerade so die Konturen der Straße.

Plötzlich ein Riesenknall. Und eine Erschütterung. Ein Reh. Es donnert in die Fahrertür. Und noch zwei. Genau vor dem Auto. Ein Bruchteil von Sekunden, dann sind sie weg. Die junge Frau bremst und versucht nur noch das Lenkrad ihres Neuwagens unter Kontrolle zu halten, um nicht von der Straße abzukommen. „Ich habe geschrien und meine Tochter auch, sie ließ sich gar nicht mehr beruhigen“, erinnert sich die 39-Jährige. Marie sitzt im Kindersitz auf der Rückbank und wird wie ihre Mutter nicht verletzt. Auf der nebligen Straße anzuhalten, empfindet Charlotte Holz in diesem Moment als zu gefährlich. Sie fährt zu einer nahe gelegenen Tankstelle, beruhigt Marie, begutachtet ihre komplett verbeulte Fahrertür und alarmiert die Polizei.Der Unfall der jungen Wiesbacherin ist laut Verkehrsministerium einer von rund 15 000 Wildunfällen saarlandweit in den vergangenen vier Jahren. Die Gesamtsumme der Kosten für die medizinische Versorgung verletzter Insassen und der Regulierung von Sachschäden belief sich hierzulande demnach zwischen 2014 und 2017 auf 102 Millionen Euro. 4573 Unfälle ereigneten sich nach Angaben der Polizei allein 2017. Ein Jahr zuvor waren es noch 3842. Ein Anstieg um fast 20 Prozent innerhalb eines Jahres. In diesem Jahr registrierte die Polizei bis Ende Oktober insgesamt 3395 Wildunfälle.Hauptsächlich in den frühen Morgenstunden und ab Einsetzen der Dunkelheit überqueren Rehe und Wildschweine auf Bundes- und Landstraßen die Fahrbahn. Die meisten Unfälle geschehen zwischen fünf und acht Uhr und ab etwa 17 Uhr bis nach Mitternacht. Und nicht immer gehen diese so glimpflich aus wie im Fall der Wiesbacherin: In diesem Jahr wurden bisher bei 41 Wildunfällen insgesamt 44 Menschen verletzt, fünf davon schwer.

Allein im Landkreis St. Wendel (ohne die Gemeinden Nohfelden und Nonnweiler) gab es im vergangenen Jahr 783 Zusammenstöße mit Wild. Schadenssumme nach Angaben eines Sprechers der St. Wendeler Wache: 1,83 Millionen Euro. Kein Zufall also, dass ausgerechnet an der L 131 bei St. Wendel seit April dieses Jahres ein Pilotprojekt des Verkehrsministeriums läuft: Zwei LED-Monitore warnen dort nun Autofahrer vor Wildwechsel. Kosten: 7000 Euro. Es sind die ersten beiden Schilder dieser Art im Saarland. Es ist das erklärte Ziel von Ministerin Anke Rehlinger (SPD), die Zahl der Wildunfälle zu senken.

Zunächst hatten Experten dies über blaue Reflektoren an den Straßenrändern bekannter Wildwechsel-Strecken probiert. Doch der Erfolg war bescheiden. Die Tiere ließen sich von dem blauen Licht nicht beeindrucken. Nun soll sich stattdessen das Verhalten der Menschen mithilfe animierter Schilder ändern. Sobald sich ein Auto nähert, blinkt das bekannte rote Dreieck mit Hirsch samt dem Schriftzug „Achtung“. Noch gibt es keine Erkenntnisse zur Effektivität der Schilder, heißt es aus dem Ministerium.

Doch wer zahlt überhaupt, wenn ein Wildunfall geschehen ist? Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungsindustrie reguliert bei Zusammenstößen mit Haarwild (zum Beispiel nicht mit Vögeln) die Teilkasko. Aber manche Versicherer zahlen nicht, wenn der Autofahrer kleineren Tieren (zum Beispiel Hasen) ausgewichen ist.

Das saarländische Jagdgesetz schreibt vor, „dass der Unfallverursacher den Wildunfall unverzüglich dem Jagdausübungsberechtigten, der nächsten Gemeindebehörde oder Polizei- oder Forstdienststelle melden muss“. Sofern der Jagdausübungsberechtigte nicht vor Ort ist, stellt die Polizei eine Bescheinigung für die Versicherung aus. Die Vereinigung der Jäger des Saarlandes (VJS) hält für diese Bescheinigung eine Vergütung von höchstens 15 Euro für angemessen, um „Schaden für das Ansehen der Jägerschaft in der Bevölkerung zu vermeiden“. Eine gesonderte Entschädigung für die Beseitigung des Wildkörpers hingegen dürfe vom Autofahrer nicht verlangt werden, heißt es weiter auf der Internetseite der VJS.

Der Fahrer sollte die Unfallstelle sichern, erklärt Förster Ingo Piechotta aus Illingen. Der alarmierte Jagdausübungsberechtigte sorge – falls das Tier noch lebt – dafür, dass „es von seinen Qualen erlöst wird, so wie das vor Ort am sichersten möglich ist“. Piechotta: „Zu versuchen, das Tier beim Tierarzt zu versorgen, ist meistens nur Tierquälerei, nicht erfolgreich und teuer.“

Im Fall von Charlotte Holz aus Wiesbach konnte der Förster keines der drei Rehe finden, die in den Unfall verwickelt waren. Die Teilkasko-Versicherung hat den Schaden übernommen. „Der Unfall war trotzdem emotionaler Stress“, sagt Holz. Ihre kleine Tochter Marie erzählt heute noch von dem „Reh, das da einfach ins Auto gelaufen ist – weil es wohl vergessen hat, vorher nach links und rechts zu schauen“.

Informationen zum richtigen Verhalten nach einem Wildunfall unter www.saarjaeger.de.

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