Treffen der Marx-Nachfahren in Trier Klassenunterschiede im Hause Marx

St.Wendel/Trier · Karl Marx wurde von drei ehelichen Töchtern und einem unehelichen Sohn mit seiner Haushälterin überlebt. Zum Familientreffen zum 200. Geburtstag werden Nachkommen der Töchter, aber auch Verwandte der Haushälterin Lenchen Demuth erwartet.

 Karl Marx im Porträt von 1875.

Karl Marx im Porträt von 1875.

Foto: dpa/Friedrich-Ebert-Stiftung

Zum 200. Geburtstag am 5. Mai wird es in Trier ein Karl-Marx-Familienfest geben. Zu diesem Tag haben sich etliche seiner Nachfahren angesagt, etwa die beiden Ururenkelinnen Frédérique und Anne Longuet-Marx. Zu der Geburtstagszeremonie werden auch Nachfahren von einem Bruder der Haushälterin der Familie Marx, Helene („Lenchen“) Demuth, aus dem Saarland anreisen. Aus der Beziehung mit Demuth entstammte Marxens einziger ihn überlebender Sohn.

1837 ging die 17-jährige Helene Demuth als Dienstmädchen in das Haus des Regierungsrates Johann Ludwig von Westphalen nach Trier. Sie stammte aus St. Wendel und hatte zuvor in Metz eine Haushaltsausbildung gemacht und Französisch gelernt. Sie war das fünfte von sieben Kindern einer armen Tagelöhnerfamilie. Die Tochter des Regierungsrates, Jenny von Westphalen (1814-1881), heiratete 1843 Karl Marx, der sich später als Philosoph des Kommunismus zum Ziel setzte, die Klassengesellschaft zu überwinden.

Da Jenny offensichtlich nie gelernt hatte, einen Haushalt zu führen, beklagte sie sich bei ihrer Mutter über die schreckliche Überforderung durch die zusätzliche Hausarbeit und die im Jahrestakt ankommenden Kinder. Ihre Mutter, Caroline von Westphalen, schickte ihr „das treue liebe Lenchen, als das Beste, was ich dir schicken kann“. Seit 1845 war Helene Demuth bei der Familie Marx und folgte ihr 1848 nach Paris, Köln, Brüssel und London ins Exil. Mit „hausfraulichem Geschick“ und Sparsamkeit teilte sie auch das wenige Geld ein und verhandelte mit den Pfandverleihern. Freuden und Leiden, Erfolge und Niederlagen und die permanente Armut teilte sie mit der Familie Marx.

Helene Demuth war nicht nur Haushälterin und Köchin, sondern auch Erzieherin der Kinder der Familie, die sie Nimmy nannten. Gelegentlich spielte sie auch Schach mit Karl Marx und führte lange Gespräche mit ihm. 1851 gebar Demuth einen Sohn, Frederick Demuth, benannt nach Marxens Freund Friedrich Engels. Karl Marx war damals 46 Jahre alt und lebte mit seiner Frau Jenny von Westphalen in London. Wegen massiver Geldnot der Familie war Jenny jedoch öfters auf Reisen, um Geld zu besorgen. Aus der Ehe mit Jenny waren sieben Kinder hervorgegangen, von denen nur die drei Töchter Jenny, Laura und Eleanor die Kindheit überlebten.

Obwohl Frederick Demuth Karl Marx „lächerlich ähnlich“ sah – wie eine Freundin der Familie an August Bebel schrieb –, kümmerte sich Marx nicht um Frederick. Frederick Demuth (genannt Freddy) wurde in eine Londoner Pflegefamilie gegeben. Manche Behauptungen in der Literatur, wonach Friedrich Engels die Vaterschaft von Frederick übernommen haben soll, erwiesen sich als falsch. Der sowjetische Diktator Stalin hatte 1934 alle Dokumente, die über die persönlichen Beziehungen von Karl Marx Auskunft geben konnten, der Forschung entziehen lassen. Der Grund: Kein Schatten sollte auf die Lichtgestalt des Kommunismus fallen.

Helene Demuth zog nach dem Tod von Karl Marx 1883 zu Friedrich Engels, dessen zweite Ehefrau bereits 1876 verstorben war und der keine Kinder hatte. Sie führte nun ihm den Haushalt. Erst jetzt durfte ihr erwachsener Sohn sie ab und zu in der Küche besuchen. 1890 erkrankte sie an Krebs und starb am 4. November in London. In ihrem Testament vermachte sie ihrem Sohn Frederick 95 Pfund. Auf Wunsch der Töchter Eleanor und Laura Lafargue wurde sie im Familiengrab der Familie Marx beigesetzt. Friedrich Engels hielt eine Trauerrede, in der er ihre Bedeutung für das Werk und die Familie von Karl Marx herausstellte.

In kommunistischen Kreisen war es ein offenes Geheimnis, dass nicht der „General“, sondern der „Mohr“ (Familien-Kosenamen von Friedrich Engels und Karl Marx) Fredericks leiblicher Vater war, doch führte erst 1962 Werner Blumenberg, Abteilungsleiter im Amsterdamer Internationalen Institut für Sozialgeschichte, den Nachweis, dass Frederick von dem Dienstherrn seiner Mutter gezeugt worden war. Friedrich Engels hatte dies auf seinem Sterbebett auf eine Schiefertafel geschrieben, Kehlkopf-Krebs hatte ihm die Stimme geraubt. Erst rund 60 Jahre später wurde diese letzte Botschaft Engels bekannt; Henry Frederick Demuth, am 23. Juni 1851 im Londoner Stadtteil Soho geboren, war ein unehelicher Sohn von Karl Marx, gezeugt mit der Haushälterin Helene Demuth.

Freilich, was aus dem illegitimen Marx-Sohn geworden war, blieb weiterhin im Dunkeln. Frederick Demuth galt lange Zeit als verschollen. Seine Spuren wurden sorgfältig auch von Stalin verwischt. 1972 entdeckte der englische Journalist David Heisler die Spuren des Marx-Abkömmlings wieder. Heisler fand heraus, dass Freddy bei einer armen Fuhrmannsfamilie namens Lewis aufwuchs und das Büchsenmacher-Handwerk erlernte, vermutlich bezahlte Engels die Ausbildung. Im Jahre 1873 heiratete Demuth die irische Gärtnerstochter Ellen Murphy. Als seinen Vater gab er einen „William Demuth“ an, Beruf: Fuhrmann. Trotz der vielen Details, die Heisler über das Leben Demuths ausfindig machen konnte, gelang es ihm nicht, aufzuklären, ob Freddy Demuth wusste, wer wirklich sein Vater war. Gegenüber seinem Adoptiv-Sohn hatte Freddy Demuth, der 1929 gestorben ist, immer behauptet, dass auch er adoptiert worden sei.

Kleinbürgerliche Prüderie herrschte auch im Hause der Weltrevolutionäre Marx und Engels, die eigentlich angetreten waren, die Klassengegensätze weltweit aufzulösen. Das Kind, das der nicht standesgemäßen Beziehung zwischen dem großen Sozialismustheoretiker und seiner Haushälterin entsprungen ist, wurde nicht in die Klasse des Vaters aufgenommen, sondern musste, in Unkenntnis seiner Herkunft, bei Pflegeeltern im Elend der englischen Arbeitermilieus sein Leben fristen. Das eifrige Bemühen, den Propheten des Klassenkampfes als in jeder Beziehung unfehlbar darzustellen, hatte bereits den Geschmack des späteren Personenkultes sowjetischer und chinesischer Prägung. Karl Marx hat den Klassengrenzen in seinem eigenem Hause seinen einzigen – die Kinderjahre überlebenden – Sohn geopfert und der Anonymität preisgegeben.

 Klaus Bouillon (l., CDU)), damals Bürgermeister von St. Wendel, und der Künstler Kurt Tassetti vor dem Denkmal für Lenchen Demuth.

Klaus Bouillon (l., CDU)), damals Bürgermeister von St. Wendel, und der Künstler Kurt Tassetti vor dem Denkmal für Lenchen Demuth.

Foto: Bodo Bost

Das Denkmal seiner (von Marx) schwangeren Haushälterin in deren Geburtsstadt St. Wendel von Kurt Tassotti, das vor zehn Jahren von dem damaligen Bürgermeister Klaus Bouillon (CDU) in Auftrag gegeben wurde, möchte einen Beitrag dazu leisten, die Lichtgestalt der Weltrevolution wieder auf die Erde zurückzuholen.

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