Saar-Gespenter enttarnt Oxford-Professor erforscht Saar-Gespenster

Saarbrücken/Oxford · Johannes Dillinger beweist: Spuk-Sagen haben einen wahren Kern. Darüber hält er heute einen Vortrag in Saarlouis.

 Der Maldixbrunnen in Köllerbach erzählt vom Gespenst des „wilden Jägers“.

Der Maldixbrunnen in Köllerbach erzählt vom Gespenst des „wilden Jägers“.

Foto: Johannes Dillinger

Der wilde Jäger Maldix, der in stürmischen Nächten auftaucht, der Ratzehans von Ottweiler, der mit Steinen wirft, oder der Lonkes, der Wanderern auf den Rücken springt – verwegene Gestalten, hübsch ausgedacht als Entertainment für die Ururahnen, kurz: Humbug? Zumindest haben es Spuk-Geschichten dieser Art 1928 in ein angesehenes Buch geschafft, in das Standardwerk Karl Lohmeyers „Die Sagen der Saar“. Schon damals enthüllte der Autor mitunter den historischen Kern der Volks-Fantasie.

Johannes Dillinger (49) konzentriert sich ausschließlich auf die historische Verankerung – und stößt neue Türen auf für die Mentalitätsgeschichte. Der gebürtige Lebacher lehrt in Oxford Geschichte. Just dort erreichen wir ihn telefonisch und erfahren, dass ihm zwei Elite-Stipendien den Weg ebneten an die wohl berühmteste Uni Großbritanniens. Doch immer noch ist Dillinger Mitglied im Historischen Verein Lebach und regelmäßig vor Ort, im Hoxberger Elternhaus, und hat eine 600-seitige Lebacher Stadtgeschichte herausgebracht. Dillingers Fachgebiet ist die frühe Neuzeit (1500-1800), Schwerpunkt Hexenverfolgungen.

„Magie hat mich schon immer fasziniert“, sagt Dillinger: Zauberer, Selbstmörder, Schatzsucher, so der Titel eines seiner Bücher. Saarländische Sagen bedeuten heute allerdings Arbeit für ihn: landesgeschichtliche Forschung. „Die Chancen, die in der Vermittlung der Landesgeschichte stecken, werden allzu oft mit Füßen getreten“, hält er fest. Die Menschen seien auf der regionalen und lokalen Ebene viel leichter abzuholen und zu interessieren. Heute Abend tritt Dillinger auf Einladung des Historischen Vereins für die Saargegend mit einem Vortrag in Saarlouis den Beweis an. Es könnte unterhaltsam werden. Denn die Geschichten rund um die Gespenster beziehungsweise die historischen Figuren, die Dillinger vorstellen wird, bergen viel anekdotisches Potenzial. Insbesondere die, die Normen transportieren und eine „Moral“ verkünden. Etwa die von der Niederlinxweiler Wäschgret, die aus Geldgier sonntags arbeitete oder die vom Rodener Sumpfgeist, der davor warnt, aus dem Nachteil eines anderen Profit zu schlagen. Wie einst die Mutter, die auf der Landstraße zwischen Roden und Saarlouis eine Tasche fand und sie mitnehmen wollte. Diese Ursprungs-Szene erzählt Dillinger auf Mundart, höchst amüsant.

Wer als Gespenst umgehe, erklärt er, habe im Leben etwas falsch gemacht: „Die Gespenster-Sagen definieren also indirekt, was ein gutes Leben ist und erzählen viel über den Alltag.“ Dass spukende Ehebrecher so selten sind, verrate etwa viel über die Ehe-Auffassung der frühen Neuzeit. Und durch den Püttlinger Hohberger erfahre man, wie hoch angesehen Kameradschaft war. Wer sich asozial verhielt, wurde mit der Weiter­existenz als Gespenst bestraft. Dillinger: „Für Egomanen und Choleriker, für jeden, auf den man sich nicht verlassen konnte, war kein Platz im Bergwerk.“ Auf diese Art funktionierten Sagen als volkspä-
dagogisches Instrument.

Aber was ist mit Dillingers Behauptung, sie seien Teil der regionalgeschichtlichen Überlieferung? Was ist mit den historisch verbürgten Gestalten? Sie gehörten laut Dillinger oft der Oberschicht an, waren „böse“ hohe Beamte wie Georg Wilhelm von Maltitz, ein Förster des Saarbrücker Fürsten, der eine Jagdreform durchsetzte. Und der Lebacher Lonkes geht auf zwei Personen zurück, auf einen korrupten Gutsverwalter namens Lonckig aus dem frühen 18. Jahrhundert und auf dessen streitsüchtigen Sohn, der die Partei Loth­ringens ergriff. Der Lonkes wurde zur Spuk-Gestalt des „Aufhockers“, der sich an Wanderer klammert und sich tragen lässt. Dillinger vermutet, dass man sich die Erfahrung von plötzlicher Herzschwäche mit dem Angriff eines Geistes zu erklären versuchte.

Manches klingt ziemlich märchenhaft, doch Johannes Dillinger trifft eine scharfe Unterscheidung. Märchen würden als Märchen erzählt, Sagen jedoch seien von Erwachsenen für Erwachsene gemacht. Mehr noch: Sie dienten der politischen Identitätsfindung. Deshalb blühe im föderalen Deutschland die Sagen-Welt. Im jungen, artifiziellen Gebilde Saarland habe man rund 100 Jahre später als andernorts mit der Pflege des – auch politischen – Schatzes begonnen. Dillinger ist sich sicher: „Hierzulande kommt man um Landesgeschichte noch viel weniger herum als in anderen Bundesländern.“

 Professor Johannes Dillinger

Professor Johannes Dillinger

Foto: Johannes Dillinger

„Gespenster und Geschichte. Was Spuk-Sagen über die Vergangenheit des Saarlandes verraten“: Stadtmuseum Saarlouis, Vaubansaal, Alte Brauerei Straße, heute, 18 Uhr.

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