Wurden die Eltern überhört?

Saarbrücken · Lehrer und Elternsprecher kritisieren einen Erlass zur Leistungsbewertung in der Schule.

 Nicht nur die Lehrer sprechen vor der Klasse – auch Schüler sollen im Saarland vermehrt selbst referieren und werden dafür bewertet. Foto: Kalaene/dpa

Nicht nur die Lehrer sprechen vor der Klasse – auch Schüler sollen im Saarland vermehrt selbst referieren und werden dafür bewertet. Foto: Kalaene/dpa

Foto: Kalaene/dpa

Gymnasiallehrer und Eltern werfen dem saarländischen Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) vor, dass er ihre Kritik am im vergangenen Jahr vorgestellten Leistungsbewertungserlass, der unter anderem Referate den schriftlichen Klassenarbeiten gleichstellt, nicht berücksichtigt hat. Die neue Fassung vom 8. März enthalte nur minimale Veränderungen. Auch dem Wunsch nach einem eigenen Erlass für Gymnasien sei nicht entsprochen worden.

Die vom Minister Commerçon angekündigten schulformspezifischen Gespräche mit Eltern- und Schülervertretern sowie dem Hauptpersonalrat der Gymnasien habe es nie gegeben, kritisiert die stellvertretende Schulleiterin des Otto-Hahn-Gymnasiums in Saarbrücken, Karin Staab, die auch im Vorstand des Saarländischen Philologenverbands (SPhV) ist.

Für die Grundschulen gilt der Erlass seit dem laufenden Schuljahr. Für die weiterführenden Schulen soll die Anordnung nach den Sommerferien in Kraft treten. Statt bisher nur schriftlicher Klassenarbeiten, sollen Schüler pro Fach und Schuljahr zwei bis vier große Leistungsnachweise als schriftliche Arbeit ablegen, ein bis drei weitere große Leistungsnachweise können auch alternative Prüfungsformen wie Referate oder Lerntagebücher sein.

"Der Erlass ist super für Gemeinschaftsschulen mit einer sehr heterogenen Schülerschaft, aber für Gymnasien mit einer homogenen Schülerschaft, die zielgleich unterrichtet wird, eignet er sich nicht", sagt Claudia Rentmeister, Schulelternsprecherin am Otto-Hahn-Gymnasium. Sie sieht durch den Erlass die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung gefährdet. Denn welchen alternativen Leistungsnachweis ein Schüler erbringt, müssten die Lehrer mit ihm individuell absprechen. "Gerecht wäre, wenn alle ein Referat halten oder ein Portfolio erstellen", findet die Elternsprecherin. Sie sieht außerdem eine Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen und sozial schwächeren Familien. Sie könnten oft - anders als Kinder aus Akademikerfamilien - keine Hilfe ihrer Eltern erhalten. Auch wenn die Referate offiziell in der Schulzeit angefertigt werden sollten, sei es doch in der Realität meistens so, dass zuhause Eltern mitanpackten. "Aus meiner Sicht sind auch Formen, die vorwiegend Mitschriftcharakter haben wie Portfolios oder Protokolle keine wirklichen Leistungsnachweise und können nicht mit anderen Formen der Überprüfung auf eine Stufe gestellt werden", sagt Rentmeister. Die Elternsprecherin befürchtet weiterhin, dass durch die hohe Zahl der Leistungsnachweise von im Schnitt 2,1 pro Woche pro Schüler der Druck auf die Schüler steige. Der Erlass passt ihrer Ansicht nach nicht zum Konzept von Halbtagsschulen wie es Gymnasien seien.

Karin Staab moniert, dass durch die umfangreiche Dokumentationspflicht den Lehrern viel Zeit für die pädagogische Arbeit fehlen werde und durch die "Prüferitis" mit teilweise bis zu 66 großen und kleinen Leistungsnachweisen im Schuljahr, Zeit für die eigentliche Wissensvermittlung fehle. Durch den Erlass dürfen Lehrer auch keine Notenspiegel mehr veröffentlichen. Ein Schüler habe so also keinen Anhaltspunkt mehr, wo er im Vergleich zum Rest der Klasse stehe. "Es macht doch einen Unterschied, wenn man eine 3 hat und es sonst nur 4er, 5er und 6er gibt, oder ob alle anderen 1er und 2er haben", betont Claudia Rentmeister.

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