Hohe Abbruchquote Zahlreiche Freiwillige quittieren ihren Dienst

Koblenz · 30 Prozent der Helfer des Bundesfreiwilligendienstes brechen in Rheinland-Pfalz ihre Arbeit ab. Dahinter steckt mehr als mangelnde Selbstdisziplin.

 In einem Seniorenheim betreut ein junger Mann im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienstes einen älteren Herrn, doch viele Helfer brechen ihren Dienst mittlerweile ab.

In einem Seniorenheim betreut ein junger Mann im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienstes einen älteren Herrn, doch viele Helfer brechen ihren Dienst mittlerweile ab.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Beim Essenausfahren für die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Koblenz hat Marisa Dehe im Rahmen ihres Bundesfreiwilligendienstes (BFD) so manche schockierende Erfahrung gemacht. „Die Frau, die mir die Tür öffnete, war sehr dement und hatte untenrum gar nichts an“, sagt die 22-Jährige. Aus der Ruhe hat sie das nicht gebracht, abgebrochen hat sie ihren Dienst aber trotzdem.

Rund 30 Prozent aller Bundesfreiwilligen in Rheinland-Pfalz haben 2017 ihren Dienst vorzeitig beendet – rund 375 von 1251 Freiwilligen. Im Jahr 2016 waren es nach Angaben des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben sogar 43 Prozent, rund 530 von 1236 sogenannten „Bufdis“.

Die Gründe für den Abbruch würden statistisch nicht erfasst, heißt es von dem Bundesamt. Die praktische Erfahrung lasse aber den Schluss zu, dass Freiwillige ihren Dienst meist dann vorzeitig beenden, wenn sie schneller als erwartet einen Studien- oder Ausbildungsplatz erhalten, sagt der Sprecher des Bundesamtes, Peter Schloßmacher.

So war es auch bei Marisa Dehe: Für sie war der BFD von vornherein eine Übergangslösung: „Ich habe direkt mit offenen Karten gespielt und gesagt: Wenn ich einen Platz bekomme an der Uni, dann mache ich nur ein halbes Jahr“, sagt sie. Ursprünglich hatte sie mit der Arbeiterwohlfahrt AWO einen zwölfmonatigen Dienst vereinbart.

Doch lassen sich derart hohe Abbruch-Quoten zwischen 30 und 43 Prozent allein mit einem vorzeitigem Beginn von Ausbildung oder Studium erklären? Ganz klar stehe bei den Gründen für ein vorzeitiges Ende des Dienstes ein Ausbildungs- oder Studienbeginn im Vordergrund, sagt Jürgen Thor vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe. Aktuell leisteten in seiner Einrichtung 36 Prozent der Freiwilligen nicht die vollen zwölf Monate ab. Eine kleine Gruppe scheide aus gesundheitlichen Gründen aus, weniger als einem Prozent werde wegen Fehlverhaltens gekündigt.

Der AWO-Bundesverband sieht im Ausbildungs- und Studiumsbeginn zwar einen möglichen Beendigungsgrund: Unter zehn Prozent brächen den Dienst deswegen bereits kurz nach Beginn ab, sagt eine Sprecherin. Der größte Teil treffe diese Entscheidung aber erst nach sechs bis elf Monaten, meist aus individuellen Gründen: länger verreisen, ein Praktikum absolvieren oder einen anderen Bereich kennenlernen. Das bestätigt auch Jürgen Thor von der Diakonie: In den vergangenen Jahren habe sich die Zahl derer vergrößert, die ihren Dienst ein bis zwei Monate früher beendeten, um zum Beispiel Geld zu verdienen oder zu verreisen.

Marisa Dehe war mit ihrem Dienst zufrieden, wie sie sagt. Morgens Essen ausliefern, mittags Verwaltungsaufgaben und nachmittags Schülern bei den Hausaufgaben helfen – das habe ihr Spaß gemacht. Von Gesprächen mit anderen „Bufdis“ habe sie erfahren, dass dies nicht immer der Fall sei. Manche Freiwillige, die im Altenheim arbeiteten, hätten sich wie eine billige Arbeitskraft gefühlt: „Die mussten das Gleiche machen wie Altenpfleger, nur schlechter bezahlt.“

Das Ziel des Bundesfreiwilligendienstes ist ein anderes: „Er soll eine neue Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland schaffen und möglichst vielen Menschen ein Engagement für die Allgemeinheit möglich machen“, heißt es auf der Webseite des Bundesamtes für Familie. Eingeführt wurde der Dienst 2011, als mit der Aussetzung der Wehrpflicht auch der Zivildienst wegfiel. Laut Bundesamt sind rund 50 Prozent der „Bufdis“ im sozialen Bereich tätig. Für ihren Dienst erhalten sie monatlich maximal 390 Euro.

Die Sprecherin der AWO sagt, nur eine Minderheit von Freiwilligen beende den Dienst wegen Unzufriedenheit mit den Einsatzbedingungen oder weil er nicht den Vorstellungen entspreche. 15 Prozent verlängerten den Dienst sogar. Grundsätzlich gebe es aber eine veränderte Einstellung gegenüber Verbindlichkeiten: „Möglicherweise aufgrund der Optionsvielfalt empfinden junge Menschen einen zum Beispiel für zwölf Monate abgeschlossenen Vertrag heute im geringeren Maße als Selbstverpflichtung als dies noch vor zehn Jahren der Fall war.“

Über einen Kamm scheren könne man junge Leute nicht, sagt Elisabeth Geurts vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Rheinland-Pfalz. Doch spiele das Thema Flexibilität heute eine größere Rolle als früher. Gleichwohl sei der Hauptgrund für ein vorzeitiges Ende auch beim Roten Kreuz ein vorzeitiger Ausbildungsbeginn.

Bei Marisa Dehe gab es allerdings auch schöne Erlebnisse. Ein alter Mann habe sich jeden Tag auf ihren Besuch gefreut. 

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