Traditionsgasthaus schließt Die Flotte schließt nach über 100 Jahren

Dillingen · Mit der Schließung der Gaststätte „Zur Flotte“ Ende April geht auch ein Stück Dillinger Geschichte zu Ende. Nach über 100 Jahren Gastronomie mit Höhen, Tiefen und Legenden ist nun endgültig Schluss mit dem Traditionsgasthaus.

 So sieht das Dillinger Traditionsgasthaus heute aus.

So sieht das Dillinger Traditionsgasthaus heute aus.

Foto: Jörg Laux

„Das ist das älteste Bild, das wir von der Flotte haben.“ Walter Engel zeigt eine Postkarte aus dem Jahr 1900. Damals hieß die Flotte noch „Gasthaus Paul Merder“ und der daran angeschlossene Saal „Zur Deutschen Flotte“. Damit ist das Haus älter als der gegenüberliegende Saardom, dessen Spatenstich im August 1910 erfolgte. Was heute viele nicht mehr wissen, ist, dass damals die Flotte quasi am Stadtrand lag.

Wann genau hier zum ersten Mal Getränke ausgeschenkt wurden, liegt im Dunkeln. Sicher ist nur, dass der Saal Tagungsstätte eines Dillinger Ablegers des Deutschen Flottenvereins war. Der Verein war 1898 in Berlin gegründet worden und sollte die Bevölkerung für die Kaiserliche Marine begeistern. Der Name „Zur Flotte“ stammt aus jener Anfangszeit.

Die Nebel der Geschichte lichten sich zur Mitte der 1920er Jahre. Damals kaufte Mathias Engel, Großvater der heutigen Hausbesitzer Walter und Toni Engel, das Anwesen nebst Saal. Dort, wo heute das Elektrogeschäft Bosch ist, wollte der Großvater, in Dillingen bekannt als „Engel Matz“, eine Tankstelle bauen, die aber nicht genehmigt wurde, erzählen die beiden Enkel. Nebenher hatte ihr Großvater noch ein Baugeschäft, mit dem er auch nach dem Zweiten Weltkrieg mithalf, den zerbombten Saardom zu sanieren. Die Flotte hatte nicht so viel abbekommen.

Ab 1954 übernahm mit Anton und Katharina Engel die nächste Generation das Gasthaus „Zur Flotte“ und den berühmten Saal. Bis 1962 war der Saal quasi die Kulturhalle Dillingens: Hier tagten Vereine aus Sport und Kultur, hier fanden Konzerte statt und Theateraufführungen, Boxkämpfe, Turnveranstaltungen, Tischtennisturniere und Versammlungen aller Art. Auch die GroDiKa, die Große Dillinger Karnevalsgesellschaft, hatte hier ihre Heimstatt gefunden und lud zu ihren berühmten Faschingsbällen.

Die Zäsur kam 1962. Ein Jahr, das vielen Saarländern im Gedächtnis geblieben ist, als das Jahr des großen Grubenunglücks in Luisenthal. Das Land lag in tiefer Trauer und die Fastnacht wurde abgesagt. Gleichzeitig stand mit der neu gebauten Dillinger Stadthalle nun eine Kulturhalle zur Verfügung, sodass der Saal der Flotte geschlossen wurde. Übrigens läutete das Ende des Flotte-Saals auch das Ende der GroDiKa ein, erinnert sich Walter Engel: „Ein Jahr tagte die GroDiKa in der Stadthalle, dann zerstritt man sich und der Verein wurde aufgelöst.“

Ihrer Flotte blieben die Vereine aber treu – bis heute. Anfangs war die Flotte ein reines Bierlokal, ab Mitte der 1960er kam dann auch Essen dazu. Die Flotte wurde zur Institution, zur Stammkneipe für viele Gäste, die bis heute ihre festen Plätze an den Tischen oder am Tresen hatten. Wo man saß, war damals nicht egal. Denn damals wurde an den Tischen üblicherweise mehr gezahlt, für den Service. Außerdem war die Flotte die erste Wirtschaft Dillingens ohne Musikbox. Hier wurde von Hand aufgelegt. Vor allem an den legendären Freitagabenden, erinnert sich Walter Engel. Dabei gab es nicht nur „flotte Musik aus der Dose“, sondern auch spontan Live-Musik. Für alle, die kein Instrument spielten, wurden flugs aus dem gegenüberliegenden Musikhaus Landt ein paar Kazoos besorgt – so konnten alle fröhlich mittröten. Die Sperrstunde kümmerte an diesen legendären Abenden niemand. „Da kam auch mal die Polizei von außerhalb, weil die Dillinger Polizei hier am Tresen saß“, erinnert sich Walter Engel.

Lokale Bandgrößen wie „Sunset“ spielten hier spontan auf. Und so kam es dann auch, dass der Musiker und damalige Bandleader von Sunset Horst Friedrich gemeinsam mit seiner Frau Katharina 1984 die Flotte übernahm. 1987 folgten Yves und Margarete Duhamel – ersterer vielen Dillinger Pennälern noch als Wirt des ebenfalls legendären „Quartier Latin“ in der Heiligenbergstraße bekannt.

1988 folgten Werner und Olga Hoffmann, die die Flotte 1995 an Birgit Conrad übergaben. Ihr folgte 1999 die neue Betreiberin Irmgard „Irmschen“ Kohn. Robert Bies hatte von 2011 bis 2012 das Kommando in der Flotte, bis schließlich 2012 Carla und Jörg Barra übernahmen.

Das Publikum der Flotte war immer „etwas gehoben“, meint Carla Barra, die nunmehr wohl letzte Wirtin der Flotte. Bis zum Schluss hätten viele Vereine und Stammgäste der Traditionskneipe die Treue gehalten, freut sie sich. Barra bedauert allerdings, dass die klassischen Eckkneipen langsam aussterben.

 So sah die Flotte im Jahr 1900 aus. Damals hieß sie noch „Gasthaus Paul Merder“, der angeschlossene Saal „Zur Deutschen Flotte“.

So sah die Flotte im Jahr 1900 aus. Damals hieß sie noch „Gasthaus Paul Merder“, der angeschlossene Saal „Zur Deutschen Flotte“.

Foto: Jörg Laux

Für Besitzer Engel war klar, dass nach Barra niemand mehr nachkommen würde – ein Entschluss, der nicht leicht fiel. Denn in der Flotte ist auch eine gehörige Portion Wehmut darüber spürbar, dass mit dem Traditionshaus nun auch ein Stück Dillingen verschwindet.

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