Transplantation „312 Nadelstiche im Jahr“

Saarlouis · Die Berichte von Nierentransplantierten sind ein einziges Argument für die Bereitschaft, Organe zu spenden. Ein Treffen am Weltnierentag in einer Saarlouiser Dialyse-Praxis machte das eindrücklich klar.

 Die Zahlen zeigen an, vor wie vielen Jahren die Patienten eine neue Niere bekamen. Etwa 30 von ihnen trafen sich in einer Praxis im Saarlouiser Gesundheits-Zentrum Vauban. Am Fenster rechts mit „20“: Gerhard Koch, vorne links mit „2“ Sophie Riem-Acquaviva.

Die Zahlen zeigen an, vor wie vielen Jahren die Patienten eine neue Niere bekamen. Etwa 30 von ihnen trafen sich in einer Praxis im Saarlouiser Gesundheits-Zentrum Vauban. Am Fenster rechts mit „20“: Gerhard Koch, vorne links mit „2“ Sophie Riem-Acquaviva.

Foto: Thomas Seeber

Ja wer ist nun wer bei den Brüdern Koch? Welcher hat welchem vor 20 Jahren eine Niere gespendet, und welcher hat sie bekommen? Man sieht es ihnen nicht an, als sie zu einer Veranstaltung am Weltnierentag in die nephrologishe Praxis von Dr. Carsten Schürfeld in Saarlouis kommen. 33 Nierentransplantierte sind da. Manche haben erst seit einem Jahr eine neue Niere, anderen seit einem oder zwei Jahrzehnten, einer seit 25 Jahren.

Fünf bis sechs Jahre werde er mit der neuen Niere leben können, habe man ihm damals gesagt, berichtet Gerhard Koch, 62. Damals war er 42. Sein Bruder Alfons, damals 49, spendete ihm eine seiner beiden Nieren. Seit 20 Jahren nun für Gerhard Koch „ein anderes Leben. Ohne die Transplantation wäre ich heute nicht mehr da.“ So aber konnte er sogar weiterarbeiten bei Ford.

Aber eines ist noch geblieben. Das Erlebnis Dialyse, die ihm bis zur Organspende das Leben rettete, ist ihm buchstäblich in Fleisch und Blut übergegangen. 5,5 Jahre lang war das, das ist unter Dialysepatienten ziemlich viel. Montag, Mittwoch, Freitag.

Montag, Mittwoch, Freitag.

Das sitzt bei Sophie Riem-Acquaviva noch viel tiefer. Das hört man, wenn sie ihre Geschichte erzählt. „52 Wochen im Jahr, mal drei Termine zu je fünf Stunden an der Nadel.“ Zwei Einstiche pro Termin, „312 Nadelstiche im Jahr“. Das sei „ein Stück Freiheit abgeben“ gewesen.

Im ersten Jahr ging das noch, das zweite und dritte sei schwierig gewesen, „ich war ungeduldig“. Ihr Nierenschaden war mit 38 diagnostiziert worden, mit 39 hing sie an der Dialyse. „Trotz aller Vorbereitung und man denkt, man ist vorbereitet - man ist es aber nicht“.

Dann eines Abends ein Anruf aus der Uniklinik Homburg: Wir haben eine Niere für sie. „Jubel, Umarmung, Glück. Tasche packen.“ Später: „Große Dankbarkeit für die unbekannte Spenderin.“

 Der Operationsroboter hilft den Homburger Chirurgen (links: Prof. Michael Stöckle) nicht nur, in der Vergrößerung besser zu sehen, sondern auch, komplizierte Nähte akkurat auszuführen. Seit zehn Jahren gibt es den daVinci-Roboter in der Homburger Urologie. Seit 2016 kann er auch Nieren transplantieren.  Fotos: pm/Maack

Der Operationsroboter hilft den Homburger Chirurgen (links: Prof. Michael Stöckle) nicht nur, in der Vergrößerung besser zu sehen, sondern auch, komplizierte Nähte akkurat auszuführen. Seit zehn Jahren gibt es den daVinci-Roboter in der Homburger Urologie. Seit 2016 kann er auch Nieren transplantieren. Fotos: pm/Maack

Foto: Christine Maack

DieTransplantation lief gut, sagt sie. „Die Dialyse ist vorbei.“ Aber monatelang habe sie jeden Tag gefragt: „Morgen keine Dialyse? Das war wirklich eine Erlösung. Es war ein neues Leben, die Freiheitsflügel wieder zu bekommen.“ Aber Rhythmus sitzt bei ihr noch drin. Montag, Mittwoch, Freitag.

Die drei Wörter fallen auch sofort, als Sozialminsterin Monika Bachmann von ihrer Betroffenheit des Themas berichtet. Jahrelang sei ihr Mann an diesen Tagen zur Dialyse gegangen, auch bei ihr blieb der Rhythmus eingegraben, auch jetzt noch, fast ein Jahrzehnt nach seinem Tod. Bachmann erzählte von zwei Frauen, die sofort zu entscheiden hatten, ob ein 14-jähriger Sohn und ein 31-jähriger Bruder nach Unfalltod als Organspender infrage kämen. „Eine unvorstellbare Belastung.“ Letztlich auch für die Ärzte, sagt sie. Darum arbeite sie politisch für die so genannte Widerspruchslösung: Nicht als Spender käme danach nur noch infrage, wer zu Lebzeiten ausdrücklich und förmlich widersprochen hat. „Eine solche Entscheidung ist auf jeden Fall zu akzeptieren. Jeder hat das Recht dazu. Aber wir wollen die Angehörigen vor solchen Entscheidungen schützen.“

Bachmann bedauerte, dass die Bereitschaft zur Organspende im Saarland sehr niedrig sei. „Man muss vor diesem Ausweis keine Angst haben, aber er kann wirklich helfen.“

Alfons Koch aus Felsberg hat damals nicht lange gezögert, seinem Bruder die Niere zu spenden; eine so genannte Lebendspende. Sein Leben habe das medizinisch nicht weiter beeinflusst, sagt er. Trotz eines „Riesenschnittes“ zur Organentnahme, den er mit der Hand andeutet.

Das war vor 20 Jahren. Heute geht das ganz anders, wie Prof. Urban Sester vom Universitätsklinikum Homburg berichtet. Homburg sei da bundesweit ganz vorne im Einsatz eines Roboterassistenten. 2016 habe es hier die erste robotische Nierentransplantation in Deutschland gegeben Der Roboter arbeitet minimalinvasiv.

„Wenn sich ein paar zusätzlich finden, die nach so einer Veranstaltung einen Organspendeausweis bei sich tragen, dann hat sich das alles schon gelohnt“, sagt Dr. Carsten Schürfeld, der viele Dialyse-Patienten hat.

Bei den Kochs in Beaumarais und Felsberg würde er auf taube Ohren stoßen, aus gutem Grund: „Vor einer Organspende muss man keine Angst haben“, sagt der 69-jährige Alfons Koch. „Bei uns in der Familie hat längst jeder diesen Ausweis.“

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