Kletter-Workshop der Aktion Mensch Dass es quasi keine Behinderung gibt . . .

Saarlouis · Behinderte an der Kletterwand? Ein Workshop der Aktion Mensch von Dunja Fuhrmann und Joachim Fries hat’s gezeigt.

Inklusiver Kletterworkshop der Aktion Mensch
29 Bilder

Inklusiver Kletterworkshop der Aktion Mensch

29 Bilder

„Unglaublich, faszinierend, beeindruckend!“ – Dunja Fuhrmann klettert gerade abgesichert von ihrem Partner Joachim Fries an einer Kletterwand. Warum das so beeindruckend ist? Dunja ist 37 Jahre alt und seit ihrem 15. Lebensjahr in Folge einer Borreliose-Erkrankung ab dem zwölften Brustwirbel abwärts gelähmt. Sie sitzt im Rollstuhl. Und dennoch klettert sie eine 16 Meter hohe Wand in wenigen Minuten ohne Hilfe bis ganz nach oben.

Dunja und Joachim hatten am Samstag zu einem inklusiven Kletterworkshop in die Rocklands Kletterhalle nach Saarlouis eingeladen. Die aktuelle Inklusionskampagne der Aktion Mensch gibt fünf Inklusionspaaren die Möglichkeit, ihr jeweiliges Projekt umzusetzen. Unter dem Motto „Wir haben mehr gemeinsam als wir denken“ haben die beiden den Zuschlag bekommen. Ihr Ziel: Menschen mit und ohne Behinderung den Spaß am Klettern vermitteln.

„Die Idee ist, dass es praktisch keine Behinderung gibt. Jeder kann teilnehmen. Wir müssen die Gemeinsamkeiten statt der Unterschiede betrachten.“ erklärt Joachim. Er ist Übungsleiter beim Verein für Förderung des Jugendsports.

Die Besucher sind von dieser Idee begeistert. Immer wieder klatscht die ganze Halle, wenn ein Rollstuhlfahrer oder ein Gehörloser die Kletterwand bezwingt. Eine Leistung, die bei Menschen ohne Behinderung Erstaunen und so manches „Wow“ auslöst.

Neben einer Gebärdendolmetscherin für Gehörlose – unverzichtbar wegen der vielen Kommandos, die beim Klettern nötig – sind zwölf Trainer vor Ort. Sie sichern die Kletterer mit und ohne Behinderung ab. Dunja und Joachim sind mit der Resonanz auf ihren Workshop glücklich. Gut wenn so etwas häufiger angeboten würde. Aber es gibt nur wenige Trainer, die auch Menschen mit Behinderung betreuen können. Kein geringes Problem, denn wie Dunja sagt, „braucht man je nach Behinderung und Anforderung bis zu drei Trainern pro Kletterer“.

Für die Zukunft hat Dunja viel vor: „Wir wollen, dass mehr Kletterhallen barrierefrei sind. Das nächste Projekt soll eine Kooperation mit dem Deutschen Alpenverein werden. Wir möchten inklusive Kletterhallen deutschlandweit anbieten und ausbauen. Dazu müssen mehr Trainer ausgebildet werden.“

Das Angebot in Saarlouis nehmen nicht nur körperlich und geistig Behinderte an. Zahlreiche Menschen ohne Behinderung kommen, um dieses einzigartige Projekt zu unterstützen. Sie nutzen die Chance, an der Kletterwand auszuprobieren, wie sich eine Teilblindheit oder eine halbseitige Lähmung anfühlt. Einer von ihnen ist Martin Schulte aus Saarlouis. Er hat seit einigen Jahren Klettererfahrung und ist beim Deutschen Alpenverein in Ensdorf tätig. „Klettern ist eine der Sportarten mit den meisten Anforderungen. Körperkoordination, Konzentration, Ausdauer und Geschicklichkeit – vieles wird beim Klettern trainiert. Man muss lernen mutig zu sein, ohne ein Risiko einzugehen. Gleichzeitig kann man seine eigene Geschwindigkeit testen und wird von niemandem zu etwas gedrängt.“, erklärt er.

Er selbst probiert viele Möglichkeiten aus, um sich dem Gefühl eines körperlich behinderten Menschen beim Klettern anzunähern und merkt schnell: „Das ist eine wahnsinnige Leistung, was Dunja und die anderen Menschen mit Behinderung hier leisten.“ Während Brillen eine Teilblindheit simulieren, werden Hand- und Beinschienen oder Manschetten mit Gewichten eingesetzt, um dem Gefühl einer halbseitigen Lähmung näher zu kommen. „Das ist ein unglaubliches Gefühl“, sagt Schulte. „Man muss Kniffe entwickeln, um klettern zu können. Durch die Gewichte ist es auch schwerer, das Gleichgewicht halten zu können. Die Gewichte ziehen den Körper bei jedem Griff nach unten.“

So wie es eigene Erfahrung gibt, erleben die begeisterten Besucher viele Gänsehautmomente. Die Leistungen, die Dunja und andere Kletterer mit Lähmungen oder geistigen Behinderungen vollbringen, sind enorm. „Wir möchten, dass jeder teilnehmen kann. Die Gemeinsamkeiten müssen in den Vordergrund gestellt werden – nicht die Unterschiede“, sagt Dunja. Sie will eben keine große Sache aus ihrer eigenen Spitzenleistung machen.

Die Aktion Mensch möchte auch das zweite Projekt der Kletterpartner Dunja und Joachim umsetzen. Dazu benötigen die beiden allerdings noch knapp 3000 Stimmen. Hier kann jeder mit einem Klick dabei helfen, dass mehr Menschen das Freiheitsgefühl beim Klettern erleben können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort