Streitschlichter Schiedlich friedlich statt verurteilt

St. Wendel · Kleinere Delikte müssen nicht zwangsläufig vor Gericht landen. Oft kann eine Schiedsperson Streithähne trennen, wie deren Vorsitzender erläutert.

 Redaktionsgespräch zwischen dem Vorsitzenden der Schiedspersonen-Bezirksvereinigung Saarland-Ost, Manfred Stein, und SZ-Redakteur Thorsten Grim.

Redaktionsgespräch zwischen dem Vorsitzenden der Schiedspersonen-Bezirksvereinigung Saarland-Ost, Manfred Stein, und SZ-Redakteur Thorsten Grim.

Foto: melanie mai

Des einen Freud, des anderen Leid: Als Max Schmidt eines Tages sein Grundstück mit einer Hecke umpflanzt, verärgert er damit seine Nachbarin Lieschen Müller. Für Müllers Geschmack pflanzt Schmidt den grünen Sichtschutz deutlich zu nah an ihrem Grund und Boden. Damit geht der Ärger los. Immer öfter kommt es zu Wortgefechten über die Hecke hinweg, die nach Ansicht Müllers auch nicht ordnungsgemäß geschnitten wird. Alsbald fliegen Beleidigungen über die Grundstücksgrenze. Das einstmals nachbarschaftliche Miteinander wird zur Gegnerschaft. Irgendwann eskaliert die Situation derart, dass Müller vor Gericht erwirken will, dass der Nachbar die ungeliebte Hecke wieder herausreißen muss. Doch da ist das Gesetz vor. Beziehungsweise eine Schiedsperson, die bei einem solchen Streit – der oben geschilderte Fall ist fiktiv – eingeschaltet werden muss. Um die Gerichte zu entlasten. Das gilt für bürgerlich-rechtliche Delikte wie Beleidigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung und oder der Verletzung des Briefgeheimnisses.

„Dabei ist es nicht unsere Aufgabe zu urteilen“, betont Manfred Stein, Vorsitzender der Bezirksvereinigung Saarland-Ost, in der die Schiedspersonen der Landkreise St. Wendel und Neunkirchen organisiert sind. „Sondern für uns Schiedsmänner und -frauen gilt die Devise: Schlichten statt richten.“

In „zwölf bis 15 Fällen“, berichtet der 66-Jährige, habe er durchschnittlich im Jahr Frieden zu stiften in seinem Bereich, der Landsweiler-Reden und Schiffweiler umfasst. Das gelinge in mehr als der Hälfte der Fälle. Genau beziffern, wie oft Schiedspersonen in der Bezirksvereinigung Saarland-Ost angerufen werden, das kann Stein nicht. „Denn wir stellen erst jetzt auf eine digitale Erfassung um. Bislang wurde alles analog erfasst“, räumt der frühere Statistiker ein. „Aber ich schätze, dass die anderen Schiedspersonen im Bezirk ähnlich viele Verfahren bearbeiten.“ In diesem Zusammenhang weist Stein, der in seinem Arbeitsleben im Finanzministerium beziehungsweise dem dort angegliederten statistischen Landesamt beschäftigt war, darauf hin, dass es Schlichtungsverfahren heißt. Und nicht Verhandlung. „Verhandlungen gibt es vor Gericht, das ist durchaus als sprachliche Abgrenzung gedacht“. Zu den bis zu 15 Fällen kämen noch die „sogenannten Tür- und Angel-Verfahren“ hinzu. Davon sei die Rede, wenn beispielsweise jemand grille und dabei die gesamte Nachbarschaft mit Rauch zuqualme. „Dann kann man die zuständige Schiedsperson anrufen und sie bitten, sich umgehend der Sache anzunehmen“, sagte Stein, der seit 2016 stellvertretender Vorsitzender des saarländischen Landesverbandes des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen ist. Ein solcher Schnelleinsatz koste nichts. Weshalb Stein hier jedoch die Gefahr des Missbrauchs sieht. „Darum sollten für solche Fälle eine Verwaltungsgebühr von beispielsweise zehn Euro eingeführt werden, damit niemand zum Jux den Schiedsmann oder die Schiedsfrau einschaltet“, fordert der Vorsitzende der Bezirksvereinigung Ost.

Da Schiedspersonen ehrenamtlich arbeiten, haben rechtssuchende Bürger lediglich die Verfahrens- und Sachkosten zu zahlen. „Im Normalfall kostet ein Schlichtungsverfahren höchstens 50 Euro“, weiß Stein. Die hat gemeinhin der Antragsteller zu zahlen. „In der Regel ist es aber so, dass bei einem Vergleich die Kosten geteilt werden“, erläutert Stein. Zuständig ist immer die Schiedsperson, in dem der- oder diejenige wohnt, gegen den oder die der Antragsteller vorgehen möchte. Wer die zuständige Schiedsperson ist, kann bei der Polizei, der jeweiligen Gemeinde- oder Stadtverwaltung sowie beim örtlichen Amtsgericht in Erfahrung gebracht werden.

Das Verfahren beim Schiedsmann oder der Schiedsfrau ist recht unbürokratisch. Gehen wir zurück zu Lieschen Müller und der Hecke. Zunächst muss Lieschen bei der zuständigen Schiedsperson einen Antrag stellen, der den Namen und die Anschrift der zerstrittenen Parteien enthält. Außerdem muss sie beschreiben, um was genau es geht. Die Schiedsperson setzt dann einen Termin fest, zu dem beide Parteien – in unserem Fall also Müller und Schmidt – erscheinen müssen. Bleibt eine der Parteien dem Termin ohne ausreichende Erklärung fern, wird ein Ordnungsgeld fällig.

„Die Schiedsperson gibt dann beiden Parteien die Möglichkeit, sich auszusprechen. Dabei kommt es darauf an, beiden zuzuhören und die Spannungen zwischen ihnen abzubauen“, berichtet Stein. Oft seien beide Parteien an einer Deeskalation interessiert, „denn gerade in Nachbarschaftsstreitigkeiten geht es ja meist darum, eine Lösung zu finden. Die wenigsten wollen ja mit ihrem Nachbarn, mit dem man unter Umständen noch Jahrzehnte zusammenleben muss, im Streit liegen“, erzählt der Schiedsmann.

Haben Müller und Schmidt sich ausgesprochen und sind mit Hilfe des Schiedsmannes zu einem Kompromiss gelangt, wird ein Vergleich geschlossen. Den müssen beide Parteien unterschreiben, damit er rechtswirksam ist. „Dieser Vergleich ist dann 30 Jahre lang gültig hinsichtlich der Verpflichtungen, die darin übernommen werden.“ Wenn sich Schmidt darin beispielsweise verpflichtet, zwei Mal im Jahr – in Frühjahr und Herbst – die Hecke auf eine bestimmte Höhe zurück zu schneiden, muss er das auch tun. Sonst kann am Ende doch noch ein Richterspruch stehen. Was wiederum deutlich teurer werden würde, als der Einsatz eines Schiedsmannes oder einer Schiedsfrau.

Einen Mangel an Schiedspersonen beziehungsweise Interessenten für dieses Ehrenamt gibt es in Steins Beritt nicht, sagt er. In anderen Bezirken im Saarland sehe es da teilweise ganz anders aus. Auch würden Schiedspersonen „zumindest hier auf dem Land“ noch recht rege in Anspruch genommen. „Aber es ist ein Trend feststellbar, dass viele Leute gleich vor Gericht gehen wollen“, berichtet Stein. Das läge vermutlich daran, dass viele Menschen inzwischen eine Rechtsschutzversicherung hätten, die im Falle eines Falles die Anwaltskosten übernehmen würden. Dabei gebe es doch den günstigen und vor allem schnelleren Weg der Streitschlichtung – über die Schiedsperson.

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