„Kunst kann den Moment bewahren“

Seine „Heimat“-Saga, die er 1982 begann, ist ein Stück TV- und Kinogeschichte. Morgen zeigt Regisseur Edgar Reitz im ausverkauften Saarbrücker Filmhaus und in Saargemünd sein jüngstes Werk „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“. Der zweiteilige Film (insgesamt 230 Minuten lang) erzählt von der Auswanderungswelle aus dem Hunsrück im 19. Jahrhundert. SZ-Redakteur Tobias Kessler hat mit Reitz gesprochen – über Heimat, Erzählen und die Gefahr der Nostalgie.

 Regisseur Edgar Reitz (81) mit seinem Lieblingsmedium. Foto: Reitz Film

Regisseur Edgar Reitz (81) mit seinem Lieblingsmedium. Foto: Reitz Film

Foto: Reitz Film

Bei Ihrem ersten "Heimat"-Film waren Sie keine 50, den jüngsten haben Sie nun mit 80 Jahren gedreht. Hat sich Ihr Heimatbegriff im Laufe der Jahre verändert?

Reitz: Nein, mir ging es auch nie um eine Verfilmung des Begriffs Heimat. Ich wollte Geschichten erzählen. Das Erzählen ist für mich eine Kultur, die überhaupt erst eine Heimat schafft. Das hat sich für mich nicht verändert, auch wenn allgemein die Diskussionen um den Begriff Heimat immer mehr zunehmen.

Warum, glauben Sie, ist das so?

Reitz: Wahrscheinlich, weil die Menschen sich in einer mehr und mehr kommerzialisierten, globalisierten Welt nicht mehr verorten können. Da entsteht eine Sehnsucht, die aber nicht leicht erfüllbar ist. Denn eine Rückkehr in die verlorenen Kindheitsgefilde ist nicht realistisch.

Es gibt ja den Satz "Man kann nie mehr nach Hause zurückgehen". Sind Ihre Filme der Versuch, das dennoch zu tun?

Reitz: Nein, denn wenn wir Geschichten erzählen, kehren wir nicht zurück, sondern schaffen uns in der Erinnerung eine zweite Heimat, eine unanfechtbare und verfügbare Heimat der Geschichten. Darin fühlen sich viele Menschen kuschelig aufgehoben. Aber ich glaube, man täuscht sich, wenn man meint, dass man damit zurückkehrt. Man bekommt nur eine andere Sicht auf das, was man erlebt hat.

Erklärt diese Sehnsucht etwa auch den Erfolg eines romantisierenden Magazins wie "Landlust"?

Reitz: Es gibt eben alle möglichen Irrtümer und sicher auch Menschen, die deshalb versuchen, auf dem Land glücklicher zu werden. Das ist ein gefährliches Terrain der Täuschung. In meinen Filmen lasse ich mich nicht einfangen von den Idyllen und den Traumversprechungen, die in diesem Thema verborgen sind. Ich bleibe in einer kritischen Distanz, denn wir haben nur die Möglichkeit, in die Zukunft zu blicken und die Welt neu zu gestalten. Wir können nicht in ein Paradies zurückkehren, das wir glauben verloren zu haben. Das gibt es nur im Märchen.

Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie: "Die glückliche Stunde, nach der wir uns immer gesehnt haben, ist schon vorbei, wenn wir anfangen, sie zu erkennen." Das klingt sehr melancholisch.

Reitz: Da geht es mir um die Frage, warum sich Menschen künstlerisch betätigen. Die Künste haben diese melancholische Wurzel, denn alle Menschen spüren irgendwann, dass die Zeit ihnen in den Händen zerrinnt. Man wünscht sich etwas Haltbares, mit Sinn und Bestand. Die Kunst kann den Zauber eines Augenblicks für immer bewahren, in Musik, in einem Gedicht, in einem Bild, in einem Film. Dieses Verhältnis zur Vergänglichkeit ist die Wurzel aller Künste. Wir Menschen haben der Vergänglichkeit des Lebens nicht viel entgegen zu setzen. Die Kunst gehört zu den wenigen Mitteln.

Dachten sich das schon die Höhlenmaler der Steinzeit?

Reitz: Sicher, schon vor 20 000 Jahren haben die frühen Künstler ein Tier im Sprung oder eine Jagd festgehalten, vergangene Momente. Aber jetzt gerade sprechen wir von diesen Momenten - die Kunst besitzt also eine Kraft, der Vergänglichkeit zu entgehen.

Zu etwas Prosaischerem - der Finanzierung von "Die andere Heimat". Hat es Sie überrascht, dass Sie französische Partner gefunden haben für einen deutschen Film, der im Hunsrück spielt?

Reitz: Nein, das hat sich erstaunlich leicht gefügt. Frankreich und Deutschland haben ja eine gemeinsame Vergangenheit mit Perioden, in denen sich die Grenzen verschoben haben - das wissen Sie als Saarländer ja auch. In der kulturellen Tradition gibt es unglaublich viele Gemeinsamkeiten, was ich auch bei diesem Film gemerkt habe. Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, den französischen Partnern meinen Erzählstil zu erklären. Den lieben sie, vielleicht mehr als die deutschen Partner, denn zum Autorenfilm haben die Franzosen ein innigeres, vertrauteres Verhältnis.

Wohl auch mehr als das deutsche Fernsehen. Mit dem wollten Sie nach Unstimmigkeiten bei der Ausstrahlung von "Heimat 3", für die die ARD zweieinhalb Stunden Film herausgeschnitten hat, gar nicht mehr zusammenarbeiten.

Reitz: Das Fernsehen hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten, die niemals dieselben sind wie die des Kinos. Beim Fernsehen mischen sich unzählige Kontrollinstanzen in alle künstlerischen Fragen ein. Da habe ich entschieden, dass das für mein Leben einfach mal vorüber sein muss.

Wenn man Gehlweiler im Hunsrück besucht, den Drehort der "Anderen Heimat", dann kann man nur staunen über die Schönheit des Ortes - gleichzeitig liegt er weit vom Schuss, und die jungen Menschen ziehen fast alle weg, weil es keine Arbeit gibt.

Reitz: Die politischen Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten waren fatal. Man kann in allen ländlichen Regionen verfolgen, dass die Dörfer veröden und dass das Angebot an Arbeitsplätzen, an Versorgung, ob nun mit Lebensmitteln oder Kultur, so dürftig geworden ist, dass die Leute davonlaufen. Das ist eine tragische Fehlentwicklung der Kommunalpolitik.

Wäre das auch ein Thema für Sie, als Geschichte aus der Gegenwart?

Reitz: Das hat mich schon immer beschäftigt. Aber wenn Sie die Gegenwart ansprechen: Meine Filme, auch wenn sie in der Vergangenheit spielen, sind immer aus der Gegenwart heraus gedacht. "Die andere Heimat" erzählt eine Migrations-Geschichte, und dieses Thema ist heute ja weltbeherrschend. Jeder Zuschauer, der aus dem Kino kommt, begegnet den Menschen, die aus ihrer Heimat aus Not und Verzweiflung davongelaufen sind. Es gab fatale Irrtümer in der europäischen Einwanderungspolitik, zu denen man Stellung nehmen muss. Auch darum geht "Die andere Heimat". Ich bin ja kein Nostalgiker, der in die Vergangenheit zurückkehren will. Ich schaue auf die Welt von heute.

Die Vorstellung im Filmhaus ist ausverkauft. Man kann Edgar Reitz dennoch sehen: Das Saargemünder Cinéma Forum zeigt morgen ab 18.30 Uhr den ersten Teil von "Die andere Heimat", danach gibt es eine Diskussion mit dem Regisseur. Kontakt:

Tel. (00 33) 387 95 07 30 und www.lescinemasforum.com

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