Behindertensport Aus Lachen wird leidenschaftliches Mitfiebern

Homburg · Die deutsche Blindenfußball-Nationalmannschaft hat ihr Länderspiel in Homburg gegen England verloren, aber neue Fans gewonnen.

 Undurchsichtige Brillen und Kopfschutz gehören zur Standard-Ausstattung: Nationalspieler Lukas Smirek (li.) versucht in dieser Szene des Länderspiels in Homburg, sich gegen den Engländer Robin Williams zu behaupten. 

Undurchsichtige Brillen und Kopfschutz gehören zur Standard-Ausstattung: Nationalspieler Lukas Smirek (li.) versucht in dieser Szene des Länderspiels in Homburg, sich gegen den Engländer Robin Williams zu behaupten. 

Foto: Ruppenthal

Mit deutlich hörbarem Lachen reagiert so mancher der etwa 1600 Zuschauer am Samstag auf dem Kunstrasenplatz neben dem Homburger Waldstadion auf einen Zusammenprall zweier Fußballspieler. Auf einem Spielfeld von 40 mal 20 Meter (offizielle Maße) stehen sich im Blindenfußball die Nationalmannschaften von England und Deutschland gegenüber. Zusammenstöße sind völlig normal, bis auf den Torhüter müssen alle Spieler Kopfschutz tragen. Der Torhüter ist der einzige in der Mannschaft, der sehen kann, darf aber seinen Torraum nicht verlassen.

Zusammen mit dem Cheftrainer und einem Trainer hinter dem gegnerischen Tor gibt der Torhüter über die gesamte Spielzeit (2 mal 25 Minuten) seinen nichts sehenden Vorderleuten Anweisungen. „Das ist hochinteressant. Ich habe schon öfters Blindenfußball gesehen. Da geht es richtig zur Sache. Die Spieler haben meinen größten Respekt“, sagt Horst Eckel, der 85-jährige Weltmeister von 1954, der den Spielball übergibt und danach zu den Zuschauern gehört.

Etwa fünf Minuten dauert es, bis die Rekordkulisse für ein Blindenfußballspiel begreift, dass Zusammenstöße normal sind und die Spieler auf dem Platz mit unglaublicher Leidenschaft und Technik agieren. Die ersten zaghaften Anfeuerungsrufe sind zu hören.

Zum zweiten Mal lädt ein Team aus Vereinen und Verbänden zum Fußballfest der Inklusionen nach Homburg ein. Den ganzen Tag gibt es rund ums Waldstadion Mitmach-Aktionen. Behinderte und nichtbehinderte Menschen feiern und haben Spaß zusammen. „Irgendwann hat man genug über Inklusion geredet und sich Gedanken gemacht. Es ist Zeit, dass wir handeln“, sagt Thomas Höchst, Direktor einer Schule in Contwig und Ideengeber für das Fest der Inklusion.

Die Regeln beim Blindenfußball sind an die Futsal-Regeln angelehnt, an den Längsseiten gibt es Banden. Die Spieler führen den Ball mit den Innenseiten beider Füße – abwechselnd links und rechts bei jedem Schritt einen Kontakt. Die Besten der Welt kommen aus Brasilien, haben erstaunliche Tricks drauf und sind Stars in der Heimat mit einem beträchtlichen Einkommen von etwa 5000 Euro pro Monat.

Nach 17 Minuten ist es soweit. Brandon Coleman setzt sich über links durch und trifft unter dem Torhüter hindurch zum 1:0 für die Engländer, die beste Mannschaft Europas. Etwa 100 Blindenfußballer gibt es in Deutschland. Acht Mannschaften gibt es in der einzigen Liga, der Bundesliga. „Man braucht einen ärztlich nachgewiesenen Blindenstatus von B1, also völlige Blindheit, sonst darf man nicht mitspielen“, erklärt Rolf Hasmann, der Manager der Nationalmannschaft.

Bereits vor der Pause hat Deutschland Chancen zum Ausgleich, scheitert aber immer wieder an Torhüter Dan James. Aus dem anfänglichen Lachen ist bei den Zuschauern ein Mitfiebern geworden. Auch Jonas Fuhrmann, eines der größten deutschen Talente im Blindenfußball, leidet auf der Auswechselbank mit. Der 17-Jährige darf noch nicht mitspielen, da er erst B2-Status hat und noch Umrisse erkennt, hell und dunkel unterscheiden kann. „Mein Arzt hat mir vergangene Woche mitteilen müssen, dass ich leider noch nicht blind genug bin. Wann es soweit ist, weiß ich nicht. Ich kann es kaum erwarten, richtig blind zu sein, denn ich will unbedingt mitspielen“, sagt Fuhrmann.

Im Ball ist eine Rassel, so dass die Spieler zu jeder Zeit hören, wo sich der Ball befindet. Alle Spieler haben die Augen abgetapet und zudem noch eine undurchsichtige Brille auf. Nach dem Seitenwechsel macht Deutschland Dampf. Das Spiel wird umkämpfter. Deutschland scheitert immer wieder an James oder wie Ali Pektas mit einem Zehn-Meter-Hammer am Torpfosten. Die Zuschauer sitzen schon lange nicht mehr, Deutschland-Rufe ertönen. Doch es reicht nicht, England gewinnt 1:0.

„Wir waren gleichwertig und hätten den Ausgleich machen müssen. Ich bin genervt“, sagt Pektas und wird von seinem Trainer Ulrich Pfisterer getröstet. „Wir haben heute ein paar Dinge ausprobiert. Ich bin mit unserer Leistung sehr zufrieden, zumal wir ein paar Spieler geschont haben. Ende August müssen wir da sein. Da beginnt in Berlin die Europameisterschaft. Wir wollen ins Halbfinale“, sagt Pfisterer nach einem Spiel, bei dem die vielen Zuschauer in nur 50 Minuten den Weg der Inklusion am eigenen Leib spüren.

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