Radsport Der Dominator macht Jagd auf das Triple

Bergen · Chris Froome ist der Top-Favorit im Einzelzeitfahren der WM in Norwegen. Im Vorfeld spricht er über das Geheimnis seines Erfolgs.

Komplett entblößt sitzt Chris Froome auf einer roten Rennmaschine, ein völlig abgemagerter Körper ist auf dem Nacktfoto zu sehen. Knochen, Muskeln, Haut und ein paar Sturzwunden. Der beste Radrennfahrer der Welt hat in der englischen Zeitung „Sunday Times“ tiefe Einblicke gewährt – nicht nur optisch. Froome berichtet über sein Erfolgsgeheimnis, das ihn heute bei den Weltmeisterschaften in Bergen zu einem geschichtsträchtigen Triple führen soll (ab 13 Uhr bei Eurosport, ab 17.10 Uhr im ZDF). Froome kann nach dem legendären Belgier Eddy Merckx (1974) und dem Iren Stephen Roche (1987) zum elitären Kreis der Fahrer hinzustoßen, die zwei große Rundfahrten und den WM-Titel in einem Jahr gewannen.

Seinem vierten Triumph bei der Tour de France ließ er vor gut einer Woche den ersten Sieg bei der Spanien-Rundfahrt folgen. Nun trennen ihn noch 31 Kilometer vom WM-Gold im Einzelzeitfahren. Froome ist der große Favorit, auch weil der Kurs diesmal praktisch auf ihn zugeschnitten ist. Ein 3,4 Kilometer langer Schlussanstieg mit durchschnittlich 9,1 Prozent Steigung lässt seine Chancen erheblich steigen – und die von Titelverteidiger Tony Martin entsprechend sinken. Merckx und Roche hatten einst Giro, Tour und das WM-Straßenrennen in einem Jahr gewonnen.

„Ich bin immer noch sehr motiviert. Immer, wenn ich am Start stehe“, sagt Froome, der mit seinem Team Sky am Sonntag Platz drei im Mannschaftszeitfahren belegte. Eine Einzelmedaille fehlt dem 32-Jährigen in seiner beachtlichen Erfolgsbilanz noch. „Es gibt mir den Drive, etwas unbedingt zu wollen, so dass alles andere irrelevant ist“, beschreibt Froome seine mentale Stärke. Ein weiterer Pluspunkt ist, sich bis zu den Saisonhöhepunkten auf 68 Kilo bei einer Körpergröße von 1,86 Metern runterhungern zu können. Tagelang nimmt er dann keine Kohlenhydrate bei gleichzeitigen anstrengenden Trainingsfahrten zu sich, er fühle sich fast wie ein „Zombie“. Sein Körperfettanteil liegt bei weniger als zehn Prozent, ein Normalmensch weist in etwa das Doppelte auf. Aber normal ist bei Froome fast nichts.

Der Sky-Kapitän hat den Hang zur Perfektion, sogar was Stürze betrifft. „Ich glaube, dass ich die Gefahr erkennen kann. Ich verfalle nicht in Panik“, sagt Froome, der bisher nur kleinere Knochenbrüche erlitt. Viel schlimmer war da die Tropenkrankheit Bilharziose, die ihn 2010 außer Gefecht gesetzt hatte. Vermutlich hatte er sich den Virus in Afrika eingefangen, seiner alten Heimat.

Seine Kindheitsgeschichte hat Froome geprägt. Wohlhabend wuchs Froome in Kenia mit Swimming-Pool und Tennisplatz auf, ehe das Familiengeschäft zusammenbrach und sich seine Eltern scheiden ließen. Er musste aufs Internat nach Südafrika, wo das Rennrad zu seiner Leidenschaft wurde. Am Anfang seiner Profikarriere verdiente er 300 Pfund in der Woche, heute ist er Multimillionär und lebt in einer Villa in Monaco. Froome kann sich anpassen – auch auf dem Rad. „Ob Kopfsteinpflaster, Abfahrten, Berge – Froome kommt mit allen Gegebenheiten klar“, schwärmt sein Sportdirektor Nicolas Portal.

Durch seine Flexibilität macht Froome vieles möglich, was unmöglich erscheint. Ihm ist gar zuzutrauen, Historisches zu schaffen. Die drei großen Rundfahrten Giro d’Italia, Tour de France und Vuelta in einem Jahr zu gewinnen, das hält Froome für „machbar“, wenngleich es eine Riesen-Anstrengung wäre. Ob er es im nächsten Jahr versucht, lässt er offen. Denn sein oberstes Ziel ist der fünfte Triumph bei der Frankreich-Rundfahrt. Dann würde er auf einer Stufe mit den Rekordgewinnern Jacques Anquetil, Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain stehen. Das ist sein großer Traum. „Im Winter mache ich mir einen Plan“, sagt Froome.

Dann wird er wieder einige Kilos mehr auf den Rippen haben. „Ein dünner Oberkörper, massive Oberschenkel. Ich fühle mich ein wenig lächerlich, wenn ich mich im Spiegel betrachte“, gesteht Froome in der „Sunday Times“. Doch der Erfolg entlohnt für vieles – vielleicht heute bei den Straßen-Weltmeisterschaften in Bergen ein weiteres Mal.

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