Fußball-WM in Russland Der stille Dompteur ist auf Kurs

St. Petersburg · Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow scheint die Herkulesaufgabe meistern zu können. Heute wartet Ägypten.

 Der russische Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow gibt seinen Spielern vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Ägypten Anweisungen.

Der russische Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow gibt seinen Spielern vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Ägypten Anweisungen.

Foto: dpa/Dmitri Lovetsky

Er redet nicht viel. Aber wenn Stanislaw Salamowitsch Tschertschessow einmal spricht, hört sich die tiefe Stimme des Trainers oft an wie eine Bassorgel. „Ich will mit der Nationalmannschaft einen Fußball spielen wie Bayern München unter Jupp Heynckes: intensiv, vielfältig und doch einfach“, sagt der 54-Jährige vor der zweiten Partie der Sbornaja heute (20 Uhr) gegen Ägypten.

Ägypten mit Starstürmer Mohamed Salah vom FC Liverpool steht nach dem 0:1 gegen Uruguay schon unter Erfolgsdruck. Turniergastgeber Russland will das umjubelte 5:0 aus dem Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien bestätigen. Nach anfänglicher Skepsis sind die Erwartungen vieler Fans hoch. Tschertschessow, der frühere Bundesligatorwart von Dynamo Dresden, betont aber: „Das Spiel gegen Saudi-Arabien ist jetzt schon Geschichte. Es geht wieder bei Null los“. Und weiter: „Wir spielen zu Hause, das hilft uns natürlich. Und nach dem ersten Spiel unterstützen uns die Fans noch mehr.“

In der ehemaligen Zarenmetropole St. Petersburg ist die Bühne in Gruppe A bereitet. Funkelnd steht das neue Stadion im Licht der Junisonne. Wie eine gewaltige Lupe bündelt das Dach die Strahlen aus blau-weißem Himmel. Für viele ist die glanzvolle Arena auf der Krestowski-Insel aber ein Symbol für explodierende Kosten und Skandale bei „Putins WM“. Medien berichteten von sklavenähnlichen Bedingungen für Gastarbeiter aus Nordkorea. Und waren die Kosten bei Baubeginn 2007 auf rund 220 Millionen US-Dollar geschätzt worden, errechneten Experten inzwischen das Vierfache.

All das soll aber das Fußballfest nicht trüben, das die Sbornaja ihren Fans bereiten will. Tschertschessow soll Russland erstmals in ein WM-Achtelfinale führen. Als Spieler verpasste der Mann mit dem charakteristischen Schnauzbart dies bei der WM 2002. Nun, in neuer Rolle, will er den historischen Erfolg. Es ist eine Herkulesaufgabe unter der Beobachtung von Staatschef Wladimir Putin: Tschertschessow soll die verwöhnten Leistungsträger der russischen Spitzenclubs bändigen, er muss die Kluft zwischen oft verfeindeten Vereinen aus St. Petersburg und Moskau schließen und die Macht der Medien zähmen. Im russischen Staatszirkus namens Fußball ist der Mann aus dem Kaukasus längst zu einer Art Dompteur geworden.

Tschertschessows Freunde mögen seinen trockenen Humor. Auch die Spieler haben zu schätzen gelernt, dass er nicht mit fletschenden Zähnen in der Kabine herumrast, als wolle er ihre Köpfe abbeißen. Das Gebrüll eines Scharfmachers käme wohl auch nicht an. Trotzdem geht von ihm Autorität aus, die keinen Widerspruch duldet. „Er ist ein harter Trainer mit gutem Fußballverständnis. Eine Respekts-Person, zu dem Spieler aufschauen“, sagt Ex-Nationalspieler Kevin Kuranyi, der bei Dynamo Moskau einst von Tschertschessow trainiert wurde.

Dynamo Moskau, FC Tirol, Legia Warschau: Noch fehlt der Glanz in Tschertschessows Stationen. Mit einer Reise ins Achtelfinale – oder sogar weiter – würde er sich ein sportliches Denkmal setzen. Sich bei der Eishockey-Nation Russland als Fußballer bemerkbar zu machen, schaffen die wenigsten. Aber wenn es nicht klappt und vielleicht bereits heute gegen Ägypten schief geht? Bleibt er dann Nationaltrainer? „Alles zu seiner Zeit“, brummt Tscher­tschessow: „Ich habe keinen Plan B.“

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