Handball-Bundesliga Die Kieler Krise spitzt sich zu

Kiel · Der Handball-Bundesligist ist so schlecht in die Saison gestartet wie seit 2002 nicht mehr.

Nach der Demütigung in Wetzlar und dem schlechtesten Saisonstart seit 15 Jahren musste Alfred Gislason erst einmal ins Krankenhaus. Der von Selbstzweifeln geplagte Erfolgstrainer des THW Kiel unterzog sich am Freitag einer Operation an der Bandscheibe und fehlt dem in eine handfeste Krise gestürzten Handball-Rekordmeister an diesem Sonntag in der Champions League beim polnischen Topclub Vive Kielce. „Ich hatte gehofft, den Eingriff bis zur EM-Pause im Januar verschieben zu können. Aber es ging einfach nicht mehr“, sagte Gislason.

Der körperliche Zustand des 58 Jahre alten Isländers steht sinnbildlich für die Krise der Kieler. Routinier Christian Zeitz sprach nach der 22:30-Demontage bei der HSG Wetzlar aus, was vor vier Wochen kaum jemand für möglich gehalten hätte: „Der Zug Meisterschaft ist abgefahren. Jetzt geht es darum, die Ehre des THW zu retten.“ Nach sechs Spielen rangiert der Titelanwärter mit nur 6:6 Punkten auf Platz neun. So schlimm stand es seit 2002 nicht mehr um den 20-fachen Meister. Damals startete Kiel mit 2:10 Zählern und wurde am Ende Sechster.

Mit 9,5 Millionen Euro ist der DHB-Pokalsieger der Krösus der Bundesliga. Doch auf dem Parkett stellt das Team derzeit allenfalls Mittelmaß dar. An der Güte des Kaders kann dies kaum liegen, eher wohl an mentalen Problemen. Das zeigte sich auch in Wetzlar, wo die Kieler nach einer 17:16-Führung (37. Minute) völlig einbrachen. „Wir haben ab einem gewissen Zeitpunkt aufgegeben“, räumte Nationalspieler Rune Dahmke ein.

Gislason, der in seiner bald zehnjährigen Amtszeit mit Kiel zwei Mal die Champions League, sechs Mal die deutsche Meisterschaft und fünf Mal den DHB-Pokal gewonnen hat, schien mit seinem Latein am Ende. „Ich weiß nicht, warum die Spieler nicht an sich glauben“, sagte er und stellte sich selbst infrage: „Ich muss mich fragen, warum die Mannschaft so verunsichert ist. Das geht garantiert auf meine Kappe.“

Es stimmt derzeit nicht im Team. In Abwesenheit des verletzten Domagoj Duvnjak fehlt ein Anführer, der wechselwillige Nationaltorwart Andreas Wolff wirkt frustriert, und die Neuzugänge haben bisher nicht eingeschlagen. Zudem wächst die Unzufriedenheit bei den Fans, die in den sozialen Netzwerken den Rauswurf von Gislason und Manager Thorsten Storm fordern. Der hatte vor der Saison den Meistertitel als Ziel ausgegeben.

Die gnadenlose Terminhatz lässt den Kielern kaum Zeit zur Besinnung. Schon drei Tage nach dem Kielce-Spiel empfängt der THW in der Königsklasse den dänischen Champion Aalborg, ehe am 1. Oktober der Bundesliga-Hit bei den Rhein-Neckar Löwen ansteht. Gislason flüchtete sich in Durchhalteparolen: „Ich stehe zu meinen Spielern und zu unserer Arbeit, auch wenn die momentan nicht besonders erfolgreich ist.“ Vielleicht tut ihm die unfreiwillige Auszeit ja ganz gut.

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