Deutschland spielt in den Niederlanden Reifeprüfung, Revanche und Stimmungstest

Wolfsburg · Nach dem Stotterstart ins neue Länderspieljahr wartet am Sonntag in den Niederlanden beim Erzrivalen Niederlande eine große Aufgabe.

 Marco Reus (vorne) forderte für die Partie in den Niederlanden eine „Malocher-Mentalität“. In der Offensive wird es auf den Dortmunder und den bisher noch nicht effektiven Stürmer Leroy Sané (links) ankommen.

Marco Reus (vorne) forderte für die Partie in den Niederlanden eine „Malocher-Mentalität“. In der Offensive wird es auf den Dortmunder und den bisher noch nicht effektiven Stürmer Leroy Sané (links) ankommen.

Foto: dpa/Christian Charisius

Leroy Sané schraubte an der Karosserie, Marco Reus werkelte am Unterboden, Joshua Kimmich probierte sich in der Lackiererei. Bei ihrem Besuch im Stammwerk des neuen Premiumpartners Volkswagen tauschten die Nationalspieler am Freitag das Trikot gegen eine graue VW-Arbeiterjacke, die Fußballtreter gegen Sicherheitsschuhe und den Ball gegen Schraubenschlüssel.

„Es war beeindruckend“, sagte Leon Goretzka hinterher: „Da greifen viele Mechanismen ineinander, viele Dinge sind millimetergenau geplant.“ Von dieser Annäherung an Perfektion ist die stark verjüngte DFB-Auswahl vor dem wohl schwersten Spiel des Jahres an diesem Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Amsterdam weit entfernt. Beim Erzrivalen Niederlande geht es um mehr als nur die ersten Punkte in der EM-Qualifikation: Das Spiel ist zugleich Reifeprüfung, Revanche und ultimativer Stimmungstest.

„Wir brauchen ein schnelles Umschaltspiel, müssen kompakt stehen und eine Gier an den Tag legen, dieses Spiel unbedingt gewinnen zu wollen“, forderte Reus. Man müsse mit „der richtigen Einstellung ans Werk“ gehen und eine „Malocher-Mentalität“ zeigen, sagte der Junge aus dem Ruhrpott: „Dann haben wir auch da eine Chance.“

Bundestrainer Joachim Löw fehlte beim Werksbesuch, er „tüftele“ bereits intensiv an seinem Matchplan für das Duell gegen Oranje, hieß es vom DFB. Die Niederländer, die zum Auftakt der EM-Qualifikation am Donnerstag Weißrussland souverän durch Tore von Memphis Depay (2), Georginio Wijnaldum und Virgil van Dijk mit 4:0 besiegten, sind dem deutschen Team in Sachen Umbruch einen großen Schritt voraus. Goretzka erwartet „ein heißes Spiel“ gegen den Erzrivalen – zumal das DFB-Team etwas gutzumachen hat.

Etwas mehr als fünf Monate ist es her, dass die Nationalmannschaft an selber Stelle beim 0:3 gedemütigt worden war. Die höchste Pleite im 42. Vergleich war folgenschwer: Der stark unter Druck geratene Löw gab sein Zögern auf und leitete den Umbruch ein, den viele von ihm schon direkt nach dem blamablen WM-Vorrunden-Aus gefordert hatten. Und den er mit dem Aus der Rio-Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng auf die Spitze trieb. Nur mit einem engagierten Auftritt in Amsterdam kann Löw seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Vor dem Duell mit seinen Landsleuten warf Schalke-Trainer Huub Stevens dem Bundestrainer einen „unnötigen Radikalismus“ beim Neuaufbau vor.

Am Sonntag, das ist klar, wird Löw wieder auf mehr Erfahrung setzen. Vor allem die erste Halbzeit gegen stark ersatzgeschwächte Serben (1:1) zeigte ihm auf, dass die „jungen Wilden“ dringend gestandene Profis an ihrer Seite benötigen. Deshalb gab er Reus und dem bislang geschonten Toni Kroos eine Start­elf-Garantie. Im Tor erhält Manuel Neuer den Vorzug vor Herausforderer Marc-Andre ter Stegen. In der Abwehr dürften die erfahreneren Antonio Rüdiger und Matthias Ginter beginnen. Ungeachtet des Personals sei Deutschland gegen Oranje „nicht der Favorit“, sagte Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff. Ein Unentschieden fände Mittelfeldspieler Ilkay Gündogan daher „nicht so schlecht“. Der Spielmacher von Manchester City betonte aber auch: „Verstecken müssen wir uns auch nicht, wir haben eine tolle Mannschaft.“

Diese steht nach dem Rassismus-Vorfall beim Spiel gegen Serbien, als Gündogan und Sané von drei Männern, die sich am Freitag der Polizei in Wolfsburg stellten, beleidigt worden sein sollen, noch enger zusammen. Goretzka und Reus hielten am Freitag flammende Plädoyers. Er sei „entsetzt“, sagte Goretzka: „Fremdenfeindlichkeit hat keinen Platz im Stadion und in der Gesellschaft.“

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