Leichtathleten gehen Hoffnungsträger fliehen aus Saarbrücken

Saarbrücken · Die Rivalität zwischen Saar 05 und dem LAZ belastet die Leichtathletik in der Landeshauptstadt. Eine Fusion zerschlug sich. Jetzt gehen drei Spitzenathleten.

 Sosthene Moguenara wechselte 2017 vom LAZ zu Saar 05.

Sosthene Moguenara wechselte 2017 vom LAZ zu Saar 05.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Wäre Marcel Kirstges ein Fußballer, ganz Saarbrücken würde aufhorchen. „Bayer Leverkusen ist ein absoluter Topverein in der Leichtathletik – wie Bayern München im Fußball“, erklärt der Weitspringer. Damit versteht jeder, zu was für einem Club der 26-Jährige im Januar wechseln wird. Trotzdem sagt er: „Ich wäre sehr, sehr gerne im Saarland geblieben.“

Mit Kirstges verliert die Startgemeinschaft, die der SV Saar 05 und das LAZ Saarbrücken seit 2016 bilden, den dritten Spitzenathleten binnen kurzer Zeit. Vor ihm verabschiedeten sich der Weltklasse-Zehnkämpfer Luca Wieland zum SV Halle und die Sieben-Meter-Springerin Sosthene Moguenara, die zum TV Wattenscheid geht.

Ein Jahr ist es her, da verkündete Kirstges: „Ich bin der erste offizielle Fusions-Athlet.“ Die Leichtathleten von Saar 05 und das LAZ wollten bis 2018 miteinander verschmelzen. Um das zu untermauern, machten sie beim Vertrag mit Kirstges halbe-halbe. Doch die Vernunft-Ehe kam nicht zustande. Noch immer scheint die Nachbarn vor allem eines zu verbinden: ihre Rivalität.

„Die Fusion ist ad acta gelegt.“ Das sagt Walter Hort. Der 75-Jährige führte die Leichtathletik-Abteilung von Saar 05 seit 1986. Im Oktober übergab Hort sein Amt an Bernd Coen, den früheren Sportdirektor des 1. FC Saarbrücken. Coen erklärt: „Wir bleiben eine Startgemeinschaft, aber eine Gemeinschaft von zwei Vereinen.“ Das sei ihnen die angenehmere Variante.

Auch beim LAZ gibt es einen neuen Vorsitzenden. Robert Szopko folgte am 1. November auf Achim Hachenthal, der auf eine Fusion hingearbeitet hatte. „Die Landeshauptstadt braucht einen starken Verein“, findet Szopko. Doch die Zeit für einen Zusammenschluss sieht auch er noch nicht gekommen.

Ob die Vereine jemals zusammenfinden? Seit Oktober steht hinter ihrem Verhältnis ein viel größeres Fragezeichen. Zehnkämpfer Wieland, eine der größten Hoffnungen für die Olympischen Spiele 2020, verabschiedete sich mit kritischen Worten aus dem Saarland. „Hier arbeitet irgendwie jeder gegen jeden“, sagte er unserer Zeitung. Damit meinte der 23-Jährige Saar 05 und LAZ. Belastet die komplizierte Beziehung der Vereine den Spitzensport? Schreckt sie die besten Athleten ab?

Wer die Hintergründe verstehen will, muss zurückblicken: 2010 schufen Mitglieder von Saar 05 das LAZ. Weil sie sich gegen Hort nicht durchsetzen konnten. „Er hat in der saarländischen Leichtathletik sehr viel bewegt, gehört aber zu einer Generation, die es gewohnt ist, als Einzelkämpfer zu agieren“, sagt Hachenthal, einer der Abtrünnigen. Hort sagt über das LAZ: „Dieser Verein ist gegründet worden, weil ich zu stark war für manche.“

Längst hat sich das LAZ neben dem Traditionsclub aus dem Stadtteil St. Johann etabliert. „Es gab im Saarland keinen Verein, der in so kurzer Zeit so viele Erfolge generieren konnte“, findet Hachenthal. Das sieht Hort anders: „Die sind ja überhaupt nicht an unsere Erfolge herangekommen, bis heute nicht.“

Vor zwei Jahren bewegte sich Hachenthal auf Hort zu, die Vorsitzenden waren schnell per Du. Eine Fusion bahnte sich an. Doch: „Von unserer Seite wollten acht Personen in den neuen Vorstand, von Saar 05 nur Dr. Hort – als Ehrenpräsident“, berichtet Hachenthal: „Das ist keine Fusion, das wäre eine Übernahme.“

Hort bestätigt, dass seine Leute sich nicht engagieren wollten, „obwohl sie nicht dagegen waren“. Was er durchblicken lässt: Bei Saar 05 beobachtete man mit Skepsis, dass Hachenthal sich langsam zurückzog. Und so liefen die Wege auseinander. In einem Jahr, das mit dem Abgang der Topathleten endet.

Die Beispiele von Moguenara und Wieland zeigen, welche Chancen sich boten, gemeinsame Sache zu machen. Genutzt wurden sie letztlich nicht. Moguenara war das Gesicht der Startgemeinschaft LAZ Saar 05. 2016 gelang ihr in Weinheim mit 7,16 Metern eine Sensation, die damalige Weltbestleistung. Am Tag danach aber verletzte sie sich bei einem Werbedreh für die EM 2018 in Berlin. Zu den Olympischen Spielen in Rio schaffte sie es zwar. Aber in Form war sie nicht.

Die Weitspringerin stand beim LAZ unter Vertrag. Vielleicht hätte der Verein weiter in Topathleten investiert, wäre Moguenara das Malheur beim Werbedreh nicht passiert und sie in Brasilien auf dem Treppchen gelandet. Stattdessen trat der Verein finanziell auf die Bremse. Man kündigte der Athletin – und informierte Saar 05. Hort nahm Moguenara unter Vertrag. „Wir sind stärker, wenn wir die Kräfte bündeln“, sagte der Chef von Saar 05 nach der Verpflichtung. So blieb die 28-Jährige der Startgemeinschaft eine weitere Saison erhalten, doch ihr Jahr wurde es nicht. Verletzungsprobleme behinderten den Formaufbau, der Norm für die WM in London sprang sie vergeblich hinterher. Die Nachbarschaftshilfe trug keine Früchte. Moguenara ist nun zu ihrem Heimatverein nach Wattenscheid zurückgekehrt.

Auch Luca Wieland hat den Sommer 2017 nicht in bester Erinnerung. In der ersten Jahreshälfte knackte er in den USA zwei Mal die Norm für die WM, durfte aber nicht hin, weil die College-Wettkämpfe beim Deutschen Leichtathletik-Verband nicht als offizielle Norm-Wettkämpfe gelten. Kurz vor den deutschen Meisterschaften im Juli in Erfurt kehrte Wieland ins Saarland zurück. Unter den Augen von Saar-Sportminister Klaus Bouillon gewann er im Steigerwaldstadion Bronzemedaillen im Hoch- und Weitsprung.

Hoffnungsträger wie Wieland will Bouillon im Land halten. Was der Minister nicht weiß, ist, wie die Verhandlungen ablaufen. Am Rande eines Termins mit Bouillon setzt Wieland sich mit Walter Hort von Saar 05 zusammen. Auch Robert Szopko vom LAZ ist auf Wunsch des Sportlers dabei. Doch: Hort sieht in Wieland, der als Kind zu Saar 05 gekommen war, den Top-Mann seines Vereins. Da soll das LAZ sich nicht einmischen. „Damit hast Du nichts zu tun, Robert“, sagte er zu Szopko: „Das ist unser Athlet.“

Drei Monate später macht Wieland öffentlich, dass er nach Halle wechseln wird, in die Trainingsgruppe von Rico Freimuth, dem Vize-Weltmeister im Zehnkampf. Damit könnte alles gesagt sein. Doch die Eifersüchteleien sind bei Wieland hängen geblieben, er will sie nicht unerwähnt lassen.

Nur, wie geht es mit der Leichtathletik in Saarbrücken weiter? Marcel Kirstges sagt: „Die Infrastruktur an der Sportschule ist hervorragend, aber die Vereinsstruktur im Saarland zum Teil mangelhaft.“ Für ihn sei es keine Option gewesen, weiter für einen Verein aus der Region zu starten. Auch wenn er weiter hier wohnen will. Allgemein formuliert er einen Satz, den man als Kommentar zur Rivalität in Saarbrücken deuten könnte: „Wenn man sich immer nur untereinander vergleicht, kann man sich nicht in den Bereich entwickeln, wo man eigentlich hin will.“

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