Sportförderung Immer mehr Talente zieht es in die USA

Frankfurt · Junge Athleten wollen von der Top-Förderung der Universitäten profitieren. Luca Wieland und Benjamin Becker sind beste Beispiele.

Marathon-Mann Timo Göhler hat es getan. Zehnkampf-EM-Kandidat Luca Wieland aus Holz auch, ebenso ein deutscher Rekordhalter im Schwimmen wie Fabian Schwingenschlögl: Mit einem Stipendium in den USA haben sie ihre Karrieren vorangetrieben. Während immer mehr Athleten hierzulande über mangelnde Förderung klagen, haben diese drei wie manch anderes Talent – darunter die saarländische Mehrkämpferin Louisa Grauvogel – den Weg in die Vereinigten Staaten gewählt. Selbst für Fußballer, die nicht bedingungslos auf die Karte Profitum setzen und sich eine berufliche Perspektive schaffen wollen, ist der Weg über ein amerikanisches College mittlerweile ein Thema.

Schwingenschlögl verblüffte bei der Kurzbahn-EM im Dezember unter anderem mit drei deutschen Rekorden und Platz vier über 50 Meter Brust. „Alle, die aus Amerika kommen, bringen diesen American Spirit mit: Sie haben ein ausgeprägtes Teamgefühl. Sie machen da drüben eine hervorragende Arbeit“, schwärmt Bundestrainer Henning Lambertz über den Studenten der Universität von Missouri.

„Letztendlich war es die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können“, sagt Schwingenschlögl nach vier Jahren in den USA. „Vorteile sind aus meiner Sicht einfach die Bedingungen, mit denen wir Sportler dort arbeiten, egal ob für das Training oder die Schule. Für beides wird alles getan, damit der Sportler erfolgreich sein kann“, berichtet er: „Nachteile fallen mir so gut wie keine ein – außer vielleicht, dass es nicht für jeden etwas ist, in ein fernes Land zu gehen und dann auf sehr hohem Niveau sich mit anderen messen zu müssen.“ In Deutschland müsse man mit dem Schulabschluss schon sehr gut sein, um überhaupt halbwegs genügend Förderung zu erhalten.

Göhler kam 2016 mit zwei Master-Abschlüssen aus Portland/Oregon zurück und avancierte zum besten deutschen 10 000-Meter-Läufer des Jahres. „Ich war hier ohne Unterstützung und habe in den USA mit einem jährlichen 40 000-Dollar-Stipendium die bestmögliche Unterstützung erfahren“, sagt der Düsseldorfer.

Zehnkämpfer Wieland ist nach einem Bachelor-Abschluss an der Universität von Minnesota nach vier Jahren ins Saarland zurückgekehrt und hat sich aufgrund der besseren Entwicklungs-Chancen dem SV Halle mit Vize-Weltmeister Rico Freimuth angeschlossen. In den USA war dem 23-Jährigen der Durchbruch gelungen, 2017 machte er 8201 Punkte. Trotz erfüllter Norm durfte er nicht mit zur WM, weil er seine Topergebnisse nicht in offiziellen Normwettkämpfen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes gezeigt hatte. „Es war in der Vergangenheit fast unmöglich für mich, daran teilzunehmen, weil die College-Saison in den USA schon Anfang Juni zu Ende ist. Da ist man ausgebrannt, und hier fangen die Quali-Wettkämpfe an“, sagt Wieland. Jetzt peilt er seine EM-Teilnahme im August in Berlin an.

Aus der Vermittlung von Stipendien hat sich inzwischen ein Markt entwickelt: Agenturen wie Scholarbook, uniexperts, Sport-Scholarships und Monaco Sportstipendium knüpfen die Kontakte und bereiten die Kandidaten auf Eingangsprüfungen vor. „Man sollte sich neben der sportlichen Laufbahn auch eine berufliche aufbauen. Das ist in Deutschland schwierig“, sagt Simon Stützel. Er hat als Langstreckenläufer einst in Charlotte studiert und inzwischen als Gründer und Geschäftsführer von Scholarbook schon etwa 2000 Stipendien vermittelt – darunter auch an Göhler und Schwingenschlögl.

Bis zu 70 000 US-Dollar (rund 57 000 Euro) im Jahr seien diese wert: Wohnung, Verpflegung, Trainingslager, Betreuung, Taschengeld – alles inklusive. Der 31-Jährige aus Karlsruhe schwärmt von der „hohen Professionalität“ an den Colleges. „Die einzigen Sportler, die es sich hierzulande erlauben können, ihr Studium zu strecken, sind die mit reichen Eltern“, findet Stützel.

Sein Unternehmen kooperiert unter anderem mit dem Deutschen Schwimm-Verband und dem Olympia-Stützpunkt Hessen. Einige Verbände sehen es jedoch ungern, wenn sich ihre Talente fernab des eigenen Einflussbereichs entwickeln möchten. Sven Baumgarten, beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für duale Karrieren zuständig, tut sich auch schwer, von einem Trend zu sprechen: Es gebe keine belastbaren Zahlen, „und unter den Bundeskadern und vor allem den Topathleten sind es nur Einzelfälle“. Er könne nicht bestätigen, „dass zahlreiche Talente verloren gehen“, sagt Baumgarten, räumt aber ein: „Wir haben ein System im Aufbau, das in der Tat noch optimiert werden muss.“

Vermittler Stützel betont: „Wir wollen niemandem Talente wegnehmen, sondern der zweiten Reihe eine Chance geben.“ In Deutschland erhalten nach DOSB-Angaben etwa 400 studierende Leistungssportler ein Sporthilfe-Stipendium von 400 Euro monatlich. „Wir wissen natürlich auch, dass mehr als 120 000 College-Sportler gefördert werden“, sagt Baumgarten: „Es ist einfach ein anderes System. In den USA finden die Sportler an den Unis die besten Bedingungen vor, bei uns an den Bundesstützpunkten.“

Patrick Zimmer schrieb sogar ein Buch über Kicken und Studieren in den Staaten. Der Titel: „Zehn Schritte zu deinem Fußballstipendium in den USA.“ Der ehemalige Jugendspieler von Hannover 96 gehörte Uni-Teams in Florida und Kalifornien an. „Wenn man nach Amerika geht, kann man eine richtig geile Zeit haben. Es kann aber auch in die Hose gehen, wenn man das falsche Team und die falsche Uni wählt“, sagt er. Seine Erfahrungen klingen allerdings verlockend: „Stell dir vor, du wirst von deinen Kommilitonen und Professoren beim Fußballspiel angefeuert, bist der Star auf Collegepartys, fliegst zu Auswärts­spielen, knüpfst Freundschaften mit Menschen aus der ganzen Welt und erlebst eine Zeit, die dein komplettes Leben verändern wird“. So wirbt Zimmer für seinen Ratgeber.

Die nationale Profiliga MLS und die zweitklassige USL suchen händeringend nach Talenten, davon profitieren die Colleges: Sie scouten mittlerweile sogar in Deutschland: In Hürth bei Köln spielten kürzlich 100 Fußballer vor 20 Trainern aus den USA vor – für ein Dutzend Stipendien. Während im Männerfußball durch die professionelle Arbeit in den Nachwuchsleistungszentren – im Saarland hat die SV Elversberg ein solches – die Verlockung aber überschaubar ist, entwickelt sich im Frauenfußball geradezu ein Trend – gerade in der Leistungsspitze. MIt Laura Freigang, Dina Orschmann und Steffi Sanders spielen drei aktuelle U20-Nationalspielerinnen an Colleges in den USA.

Manche Sportler landen sogar eine Traumkarriere: der Saarländer Benjamin Becker etwa. Nur dank der ausgezeichneten Förderung in den USA schaffte es der Orscholzer, sich als Tennisprofi durchzusetzen. Der inzwischen 36-Jährige, der im September 2017 seine Karriere beendet hat, gewann einen Titel auf der ATP-Tour, kletterte bis auf Platz 35 der Weltrangliste, spielte bei allen Grand-Slam-Turnieren und auch im deutschen Davis-Cup-Team. Allem voraus ging die „geniale Zeit“ an der Baylor University in Waco/Texas. Mit den Baylor Bears triumphiert Becker bei den US-College-Meisterschaften 2004.

Auch andere hoffen auf den Durchbruch über genau diesen Weg. Das deutsche Basketball-Talent Moritz Wagner stand mit dem Team der Universität Michigan gerade im Finale der College-Liga NCAA und schrieb auch bundesweit Schlagzeilen. Der Berliner hat sich für die Talente-Auswahl der Profiliga NBA angemeldet – und will einer der künftigen Stars der Liga werden.

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