Radsport Radsport-Fundament steht noch nicht stabil

Bergen · Die deutschen Profis erleben mit Ausnahme der WM ein erfolgreiches Jahr – und hoffen auf eine „Sogwirkung“ der Deutschland-Tour.

 Tony Martin und seine Kollegen aus Deutschland können mit dem sportlichen Abschneiden im Jahr 2017 recht zufrieden sein.

Tony Martin und seine Kollegen aus Deutschland können mit dem sportlichen Abschneiden im Jahr 2017 recht zufrieden sein.

Foto: dpa/Jon Olav Nesvold

Tony Martin sucht die Ruhe bei einem kurzen Angel-Urlaub mit der Familie, einige Teamkollegen erkundeten nach Abschluss der Straßenrad-WM noch das Nachtleben in Bergen, bevor sie ihre Koffer für die Heimreise packten. Der letzte Saison-Höhepunkt hatte so manche Enttäuschung gebracht, insgesamt war die Saison 2017 für den deutschen Radsport dennoch ein weiterer Fortschritt.

Der Auftakt der Tour de France in Düsseldorf mit Millionenpublikum, die Siege von Sprintstar Marcel Kittel, die Aussicht auf die Renaissance der Deutschland-Tour im kommenden Jahr – es hat sich einiges getan. Doch ein tiefgreifender Effekt ist noch nicht zu spüren.

„Wir hatten einen Ullrich-Boom, wir hatten einen Thurau-Boom, wir hatten einen Altig-Boom, aber es ist bisher nie gelungen, eine Radsport-Kultur aufzubauen“, sagte Patrick Moster, Sportdirektor beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Anders als etwa in Großbritannien.

Die Ablehnung in der Öffentlichkeit, den Medien und bei Sponsoren schwinde zwar weiterhin, doch gewisse Akzeptanz-Probleme hat der Radsport noch immer. Es zeigt sich etwa an der fehlenden Zahl großer, internationaler Etappenrennen in Deutschland. „Es ist erschreckend, wenn man in den internationalen Kalender schaut. 2017 gab es bei den Profis gar nichts“, stellt Moster heraus. Immerhin: „Der Grand Départ in Düsseldorf hat gezeigt, wir sind auf einem sehr guten Weg. Er war ganz wichtig für eine positive Grundstimmung.“

Dieser Trend könnte auch der Deutschland-Tour helfen, die im besten Falle eine „Sogwirkung“ (Moster) entfaltet. In Kürze werden Details zur Neuauflage erwartet, von der offiziell bisher nur bekannt ist, dass sie in Stuttgart endet und vom 23. bis 26. August 2018 stattfinden soll. Merzig soll laut dem saarländischen Innen- und Sportminister Klaus Bouillon Etappenort und am nächsten Tag auch Startort werden. Mit einem Rundkurs vor dem Ziel in Merzig sollen die Radsport-Fans im Saarland auf ihre Kosten kommen. Bestätigt sind Bouillons Ankündigungen allerdings noch nicht.

Immer wieder ist in der Branche überdies zu hören, dass vor allem die Sicherheitskosten Städte abschrecken und der Rundfahrt Anlaufprobleme bereiten. Während die Auswirkungen der großen Depression nach den Jahren der hemmungslosen Jan-Ullrich-Euphorie mit Verzögerung kamen, dauert es nun umgekehrt ebenfalls lange, bis ein neues Radsport-Fundament stabil steht.

Deshalb betrachtet Moster auch eine Bewerbung für eine Straßenrad-WM, etwa für das Jahr 2022, als verfrüht, wenngleich er die Idee reizvoll findet. Die Bahnrad-EM in Berlin im Oktober und die WM in drei Jahren seien erste Schritte. „Eine WM auf der Straße wäre für uns natürlich das Größte“, sagt der 50-Jährige, zumal Bergen, zumal die Norweger ein leuchtendes Beispiel abgaben. „Wenn wir bei der Deutschland-Tour eine ähnliche Atmosphäre wie hier erleben, wäre das großartig“, meint Simon Geschke, der unlängst auch die Probleme im Nachwuchs und die fehlenden Rennen angesprochen hatte.

„Vor 15 Jahren hatten wir noch eine breitere Masse an Talenten“, sagt Moster. Umso wertvoller ist ein Hochbegabter wie der 21-jährige Lennard Kämna, sind andere Nachwuchs-Hoffnungen wie die Sprinter Phil Bauhaus und Pascal Ackermann sowie Zeitfahr-Talent Max Schachmann oder die Völklingerin Lisa Klein bei den Frauen, sind anhaltende Erfolge von Marcel Kittel und Co. Denn bis die Akzeptanz wieder ein wirklich breites Publikum erfasst, ist noch einiges an Überzeugungsarbeit nötig.

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