Leichtathletik Kampf gegen die „Testosteron-Regel“

Lausanne · Leichtathletik-Star Caster Semenya hat den Internationalen Sportgerichtshof CAS angerufen. Es beginnt ein hochemotionaler Prozess.

 Die Südafrikanerin Caster Semenya (links), amtierende Olympiasiegerin und Weltmeisterin über 800 Meter, trifft mit ihrem Anwalt Gregory Nott am Internationalen Sportschiedsgericht CAS ein.

Die Südafrikanerin Caster Semenya (links), amtierende Olympiasiegerin und Weltmeisterin über 800 Meter, trifft mit ihrem Anwalt Gregory Nott am Internationalen Sportschiedsgericht CAS ein.

Foto: dpa/Laurent Gillieron

Caster Semenya war siegesgewiss: Als die zweimalige 800-Meter-Olympiasiegerin am Montagmorgen am Internationalen Sportgerichtshof CAS eintraf, formte sie mit Zeige- und Mittelfinger das Victory-Zeichen. Ansonsten hüllte sich die 28-Jährige, die in Lausanne gegen die umstrittene „Testosteron-Regel“ des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF vorgeht, aber in Schweigen. Semenya spricht über die Debatte, die seit Jahren ihre Karriere überschattet, ohnehin sehr ungern. Nun soll es endlich Klarheit geben. Auf fünf Tage ist die Anhörung vor dem CAS angesetzt, mit einem Urteil des obersten Sportgerichtes wird Ende März gerechnet.

Es ist nicht nur eine der längsten Verhandlungen in der 35-jährigen Geschichte des CAS, sondern auch eins der komplexesten und emotional aufgeladensten Themen, mit dem sich die Sportrichter befassen mussten. Und das Urteil könnte weitreichende Folgen haben – weit über die Leichtathletik hinaus.

„Dies wird ein monumentales Urteil für die Zukunft des Frauensports. Sollte der CAS gegen uns entscheiden, hätte ich Befürchtungen für die Zukunft nicht nur einzelner Disziplinen in der Leichtathletik“, sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe: „Wie ich aus Gesprächen mit Präsidenten anderer Sportverbände weiß, warten sie mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung.“

Im Kern geht es darum, ob die IAAF für Frauen einen Grenzwert für (körpereigenes) Testosteron von fünf Nanomol pro Liter einführen darf, wenn sie auf bestimmten Strecken (400 Meter bis zu einer Meile) international starten wollen. Dies würde Athletinnen mit „Differences of Sexual Development“ (DSD) wie Hyperandrogenämie dazu nötigen, ihren Testosteronwert, der teilweise deutlich über dem Grenzwert liegt, künstlich zu senken. Dies hatte Semenya in ihrer Karriere bereits machen müssen, ehe die indische Sprinterin Dutee Chand 2015 vor dem CAS mit einem Einspruch Erfolg hatte. Daraufhin bekam der Verband zwei Jahre Zeit, wissenschaftliche Beweise zu liefern.

Die IAAF beruft sich bei ihrem zweiten Versuch auf eine 2017 veröffentlichte wissenschaftliche Studie. Diese will herausgefunden haben, dass der Vorteil von Athletinnen mit DSD auf bestimmten Strecken bei bis zu 4,5 Prozent liegen soll. Einer der Autoren der Studie war Stephane Bermon, Direktor der IAAF-Abteilung für Gesundheit und Wissenschaft.

Allerdings gibt es gegen diese Studie Vorbehalte, eigentlich sogar vernichtende Kritik. Drei Wissenschaftler untersuchten nachträglich den Datensatz und stellten eigener Aussage zufolge einen Anteil fehlerhafter Werte von bis zu 32,8 Prozent fest. So seien unter anderem Zeiten mehrfach verwendet oder Ergebnisse von später des Dopings überführter Sportlerinnen miteinbezogen worden. Auch soll es „Phantomwerte“ gegeben haben, die keiner Läuferin zuzuordnen waren.

Über die reine Wissenschaft hinaus stellen sich aber noch ganz andere, moralische Fragen. Dürfen Athletinnen dazu gezwungen werden, Medikamente einzunehmen? Was ist mit möglichen Langzeitfolgen? Haben nicht große Menschen bei Sportarten wie Basketball auch einen genetischen Vorteil? Könnte es zukünftig bereits im Kindesalter über bestimmte Strecken eine Auslese geben mit dem Ziel, Sportlerinnen mit erhöhten Testosteronwerten zu finden?

Emotional wird die Debatte ohnehin bereits geführt. Die südafrikanische Regierung sprach von einer „schwerwiegenden Verletzung“ der Menschenrechte Semenyas. Das Anwalts-Team betonte, Semenyas „genetisches Geschenk sollte gefeiert und nicht diskriminiert werden“. Die IAAF verweist immer wieder darauf, den fairen Wettbewerb im Frauensport im Blick zu haben.

Doch egal, wie das Urteil im kommenden Monat ausfallen wird, es wird ein Schlussstrich sein. „Wir können nicht und wir werden nicht ständig zum CAS laufen“, sagte Coe und sprach von einer verbindlichen Entscheidung: „Wir werden sie respektieren.“

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