Nährstoffkombination soll Demenz bremsen Hoffnungsschimmer bei Alzheimer

Homburg · Nährstoffkombination kann die Krankheit zumindest ein wenig bremsen, zeigt eine von der Saar-Uni koordinierte Studie.

 In Deutschland leben bereits heute 1,5 Millionen Demenz-Patienten. Bis 2050 könnte sich ihre Zahl verdoppeln. In einem europäischen Forschungsprojekt, das an der Saar-Universität koordiniert wird, suchen Wissenschaftler nach Wegen, wie die Krankheit wenigstens gebremst werden kann.

In Deutschland leben bereits heute 1,5 Millionen Demenz-Patienten. Bis 2050 könnte sich ihre Zahl verdoppeln. In einem europäischen Forschungsprojekt, das an der Saar-Universität koordiniert wird, suchen Wissenschaftler nach Wegen, wie die Krankheit wenigstens gebremst werden kann.

Foto: dpa/Jens Büttner

Alzheimer ist eine furchtbare Krankheit. Das gilt für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Das gilt aber auch für Ärzte, die ihren auf Hilfe hoffenden Patienten lange Zeit nichts Besseres geben konnten als eine Diagnose. Ist da nicht Schweigen die beste Lösung? Diese Interpretation lässt eine Hausarzt-Studie mit 7000 Patienten und 130 Medizinern des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (Greifswald) aus dem vergangenen Jahr zu. Sie zeigte, dass Mediziner bei einer Reihe von Patienten klare Hinweise auf frühe Demenz-Stadien übergingen. Warum? Eine mögliche Antwort lautet, dass viele Ärzte davon ausgehen, bei Alzheimer nichts ausrichten zu können. Doch das könnte ein Fehler gewesen sein.

Klar ist: Alzheimer ist bis heute nicht zu heilen. Doch eine EU-weite Studie, die an der Saar-Universität koordiniert wird, zeigt, dass der Schrumpfprozess des Gehirns und bestimmter geistiger Fähigkeiten, unter denen Alzheimer-Patienten so sehr leiden, offenbar etwas gebremst werden kann. Möglich macht das ein spezielles Nährstoffgemisch. Die Substanz Fortasyn Connect, an deren Entwicklung das europäische Forscherkonsortium LipidiDiet beteiligt war, ist ein Mix aus essentiellen Fettsäuren, Vitaminen und Nährstoffen.

Die einem Joghurt ähnelnde Trinknahrung testeten die Forscher 24 Monate an 311 Patienten aus ganz Europa. Über das Ergebnis berichten sie nun im Fachmagazin The Lancet Neurology. Die Patienten waren zu Beginn der Studie im Schnitt gut 70 Jahre alt, bei ihnen waren erste Anzeichen der Krankheit sichtbar, doch die Demenz war nicht voll ausgebrochen. Medizinisch wird dieses Vorläuferstadium als prodromaler Alzheimer bezeichnet. Am Ende der Studie zeigten übliche neuropsychologische Tests, die Lernleistungen und Gedächtnis prüfen, keine besonderen Effekte. Beim klinischen Standardtest jedoch, der auf die Bewältigung von Alltagssituationen fokussiert und mit dem die Schwere einer Demenz gemessen wird, schnitten die Testpersonen deutlich besser ab, erklärt der Koordinator der Studie und Leiter des Homburger Instituts für Demenzprävention, Professor Tobias Hartmann. Dieser weltweit genormte Test umfasst Fragen zu 77 Situationen des täglichen Lebens, die Demenzpatienten vor zunehmende Probleme stellen. Dazu gehört zum Beispiel der alltägliche Umgang mit Geld, sei es an der Kasse im Supermarkt oder bei der Kontrolle eines Kontoauszugs. Bei Untersuchungen im Kernspintomografen habe sich zudem gezeigt, dass bei Patienten, die ihre Nervennahrung regelmäßig tranken, der Abbau des Hippocampus – diese Hirnstruktur steuert das Gedächtnis – gebremst verlief. Für Tobias Hartmann lautet damit die wichtigste Erkenntnis der Studie: „Es gibt jetzt etwas für diese Patienten.“ Wirken könne die Alzheimer-Bremse – im EU-Jargon wird die Zusatznahrung in die Kategorie „Medical food“ eingestuft – nach bisherigen Erkenntnissen allerdings nur bei einer möglichst frühen Diagnose. „Das ist das klare Ergebnis unserer Untersuchung.“

Ob der Lebensweg eines Menschen in die Demenz führt, entscheidet sich in der Regel in seinen besten Jahren. Denn Alzheimer ist eine Krankheit, die schleichend das Gehirn zerstört. Der Prozess kann sich über drei bis vier Jahrzehnte hinziehen, und anfangs kann das Gehirn die Ausfälle immer kompensieren. Weil viele Patienten später ihre Probleme geschickt vertuschen, wird die Krankheit meist viel zu spät entdeckt, und dann sind die Schäden schon massiv. In der letzten Alzheimerphase ist das Hirn bis auf zwei Drittel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft, in und zwischen den Nervenzellen haben sich Ablagerungen festgesetzt, die zuerst das geistige Leistungsvermögen und am Ende die Persönlichkeit des Menschen zerstören.

Bisher ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt, was diesen Prozess in Gang setzt. Für Professor Tobias Hartmann und die Wissenschaftler des LipidiDiet-Konsortiums ist indes klar: „Alzheimer ist im Grunde eine banale Stoffwechselkrankheit.“ Die Risikofaktoren stimmten im Wesentlichen mit denen der Herz-Kreislauf-Leiden überein: Bluthochdruck, Übergewicht, schlechte Blutzucker- und Cholesterinwerte. Wer dann auch noch körperliche und geistige Anstrengung meide, sein soziales Leben vernachlässige und zu wenig schlafe, erhöhe sein Demenzrisiko zusätzlich.

Die Wissenschaftler des LipidiDiet-Projekts gehen davon aus, dass bestimmte Lipide (fettlösliche Substanzen) deren bekanntester Vertreter das Cholesterin ist, eine zentrale Rolle bei der Demenz spielen. In keinem anderen Organ ist die Cholesterin-Konzentration so hoch wie im Gehirn, denn die Substanz ist ein wichtiger Baustein der Nervenzellen. Das Lipid ist allerdings mehr als nur Baustoff, es beeinflusst auch den Stoffwechsel. In den Membranen der Nervenzellen kann Cholesterin einen Prozess verstärken, bei dem ein Protein (Amyloid-Beta) entsteht, das eine Schlüsselrolle bei der Demenz spielt.

Hier setzen die LipidiDiet-Forscher nun an. Wenn es gelingt, Cholesterin durch andere Substanzen aus den Zellmembranen zu verdrängen und die körpereigenen Reparatursysteme zu verbessern, kann der Zerfall der Nervenzellen gebremst oder gar gestoppt werden, lautet ihre Überlegung. Diesen Effekt soll die jetzt getestete medizinische Trinknahrung erzielen, deren Rezeptur mittlerweile von einem Lebensmittelkonzern unter dem Namen Souvenaid übernommen worden ist. Sie enthält eine Kombination sogenannter Omega-3-Fettsäuren, B-Vitamine, Selen und weiterer Nährstoffe. Tobias Hartmann: „Eine Heilung ist dadurch zwar nicht möglich, aber die Patienten können Lebensqualität und -zeit gewinnen.“

 Professor Tobias Hartmann

Professor Tobias Hartmann

Foto: uks/UKS

Die Erkenntnisse der europäischen Forschergruppe geben darüber hinaus einen wichtigen Fingerzeig für alle, die sich jetzt vielleicht über ihre geistige Gesundheit in ihren späten Jahren Sorgen machen. Weil sich die Hinweise verdichten, dass Herz-Kreislauf-Leiden und Alzheimer ähnliche Risikofaktoren haben, zeigt die Homburger Studie indirekt auch, wie junge Menschen ihr Demenzrisiko im Alter reduzieren können. Ein Weg dazu führt über eine gesunde Ernährung nach dem Vorbild der mediterranen Küche. Denn was gut fürs Herz ist, ist auch gut fürs Hirn.

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