Dämmung Dämmstoff Polystyrol in der Diskussion

Berlin · Nach dem Brand eines Hochhauses in London sind Wärmedämmungen aus brennbarem Material in die Kritik geraten.

 Viele Häuser werden mit Platten aus Polysterol gedämmt. Bei Wärmedämm-Verbundsystemen für die Fassade hat es einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent.

Viele Häuser werden mit Platten aus Polysterol gedämmt. Bei Wärmedämm-Verbundsystemen für die Fassade hat es einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent.

Foto: dpa-tmn/Kai Remmers

(dpa) Es ist einige Zeit vergangen, die erste Aufregung hat sich gelegt. Und doch bleibt die Unsicherheit: Nach einem verheerenden Hochhausbrand mit Dutzenden Toten in London im vergangenen Sommer steht die Frage im Raum: Wie gefährlich sind Fassadenverkleidungen? Denn das Feuer, ausgelöst durch einen defekten Kühlschrank, konnte sich über die entflammbare Fassadenverkleidung schnell ausbreiten. Gerade Wärmedämmungen mit Polystyrol sind nach diesem Brand in die Kritik geraten.

Polystyrol ist ein Kunststoff aus der Flüssigkeit Styrol. In einer chemischen Reaktion schließen sich Einzelmoleküle zu langen Ketten zusammen, und es entsteht festes Polystyrol. Wird dieses aufgeschäumt, spricht man von Expandiertem Polystyrol (EPS), auch unter dem Markennamen Styropor bekannt. Laut dem Industrieverband Hartschaum hat es unter den Dämmstoffen einen Marktanteil von 32 Prozent hinter Mineralwolle mit 54 Prozent.

Es sei leicht zu verarbeiten, dauerbeständig und habe ein günstiges Preis-Leistungsverhältnis, erklärt der Industrieverband Hartschaum auf seiner Internetseite. Ein oft kritisierter Nachteil ist die Brennbarkeit. Das gilt auch für mit Schutzmitteln versetzten Hartschaum, wie er in Deutschland verwendet wird. Die Branche bezeichnet daher Styropor als „schwer entflammbar“.

„Wo mit brennbaren Materialien gebaut wird, ist per se die Gefahr höher. Aber das heißt nicht, dass das Gebäude dann brandgefährlich ist“, stellt Peter Bachmeier klar. Er ist Vorsitzender des Arbeitskreises Vorbeugender Brandschutz des Deutschen Feuerwehrverbandes und leitender Branddirektor Münchens. „Die Frage ist, was ist vertretbar? Und für mich ist das der Fall, wenn das Material nach Zulassung verbaut wurde.“

So schreibt auch der Industrieverband Hartschaum: Fachgerecht verarbeitete und den Zulassungen entsprechende Wärmedämm-Verbundsysteme mit Expandiertem Polystyrol seien brandschutztechnisch sicher. Hans Weinreuter von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz hält das Brandrisiko von gedämmten Gebäuden für „kalkulierbar gering“, wenn die Brandschutzvorgaben der Landesbauordnungen eingehalten werden. Das bedeutet etwa, das der Putz richtig auf die Dämmung gelegt wurde.

Zunächst sollten Eigenheimbesitzer wissen: Für Gebäude, deren bewohnte Fläche bis zu einer Höhe von sieben Metern reicht, sind normal entflammbare Baustoffe zugelassen. Das sind laut Thomas Herbert, Brandschutzexperte der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, die meisten Einfamilienhäuser. Bis zu einer Höhe von 22 Metern sind dann noch „schwer entflammbare“ Baustoffe zugelassen, wozu mit Schutzmitteln bearbeitetes Polystyrol gehört.

„Man will diese Baustoffe auch nicht verbieten, denn etwa das Holzhaus gehört in Deutschland zu den traditionellen Bauweisen“, sagt Herbert. Die Abstufung aber basiere auf der Risikobetrachtung entsprechend der Gebäudehöhe, ergänzt der Sachverständige.

Fängt das Material Feuer, kann die Dämmschicht zu einer undurchdringlichen Barriere aus flüssigem heißem Material werden, die die Feuerwehr behindert. Branddirektor Bachmeier vergleicht sie mit einem Erdölfeld. Aber Feuerwehrmann Bachmeier ergänzt, dass Polystyrol nur in Brand gerät, wenn es auch direkt mit Flammen in Verbindung kommt. Unter dichtem, mängelfreiem Putz ist es grundsätzlich sicher. Hier verschmilzt das weiße Material bei hoher Wärmeeinwirkung von Temperaturen ab 180 Grad zu Brei.

Wer saniert oder neu baut, kann zusätzlichen Feuerschutz einbauen. Branddirektor und Sachverständiger Bachmeier rät zum Beispiel zu Brandriegeln aus Mineralwolle, die etwa 50 Zentimeter über dem Boden, über dem ersten Obergeschoss und am Übergang zum Dach in die Dämmung eingefügt werden. Sie stabilisieren die Putzschicht, wenn ein Hohlraum entsteht, und halten die Flammen vom Übergriff auf den darüber- oder darunterliegenden Bereich ab. Das kann einen Fassadenbrand lokal begrenzen. Die Brandriegel sind bei Mehrfamilienhäusern Pflicht, bei kleineren Häusern freiwillig.

Ludger Weidemüller vom Bauherren-Schutzbund rät bei Reihenhäusern zu einer nichtbrennbaren vertikalen Wärmedämmung zwischen den einzelnen Einheiten. Diese könne das Übergreifen eines Brandes im Nachbarhaus verhindern mindern. „Diese sogenannten Brandschottungen tragen zum Wertschutz des Gebäudes bei.“

In vielen Bundesländern ist eine Brandwand zwischen einzelnen Reihenhäusern auch Pflicht, ergänzt Weidemüller. Reimund Stewen, Vizepräsident der Verbands Privater Bauherren, empfiehlt zudem dickeren Putz von mindestens sechs Millimetern Stärke statt der üblichen ein bis zwei Millimeter.Wer eine Dämmung hat, sollte den Putz kontrollieren und Schäden reparieren lassen. Dazu rät die Bauministerkonferenz in ihrem Merkblatt „Empfehlungen zur Sicherstellung der Schutzwirkung von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) aus Polystyrol“. Hans-Joachim Riechers vom Verband für Dämmsysteme, Putz und Mörtel rät: „Immer schauen, dass die Fassade intakt ist.“

Der Sachverständige der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau Thomas Herbert ergänzt: „Laut Brandstatistiken leben wir relativ sicher. Wo es vor 20 Jahren in Deutschland noch 800 Brandtote im Jahr gab, sind es heute 400.“ Sein Rat: „Bevor man nun auf seine Fassadendämmstoffe schaut und Angst entwickelt, sollte man eher auf durchdachte Fluchtwege achten.“ Denn das seien am ehesten die Fallstricke bei einem Hausbrand.

(dpa)
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