Menschenrechte im Internet Wenn das Netz die Menschenrechte gefährdet

Berlin · Cyberangriffe bedrohen zunehmend auch Organisationen wie Amnesty International und machen digitale Selbstverteidigung zur Pflicht.

 Ein Mitarbeiter des Computernotfall-Teams des Staatsbetriebs Sächsische Informatik-Dienste simuliert einen Cyberangriff auf ein Computersystem.

Ein Mitarbeiter des Computernotfall-Teams des Staatsbetriebs Sächsische Informatik-Dienste simuliert einen Cyberangriff auf ein Computersystem.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zählt auf ihrer Internetseite genau auf, in welchen Feldern sie sich engagiert: bewaffnete Konflikte, Todesstrafe, Flucht und Migration, Folter und viele andere. Ein Thema fehlt jedoch in der Liste, obwohl es die gesamte Arbeit dieser und vieler ähnlicher Organisationen durchzieht: das Internet. Es dient nicht nur als Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu schaffen, sondern birgt auch völlig neue Bereiche und Möglichkeiten des Engagements. In Deutschland gibt es beispielsweise mehrere Projekte, die online helfen, Auskünfte von Behörden einzufordern. Doch die Verwendung des Internets schafft auch eine Angriffsfläche, die Organisationen wie Amnesty zur digitalen Selbstverteidigung zwingt.

Wo Menschen in Krisengebieten oder in autoritär geführten Staaten Aufmerksamkeit für Rechtsverstöße erregen wollen, handeln sie sich häufig Ärger ein. Dass es dabei buchstäblich um Leben und Tod gehen kann, zeigt der Fall des Journalisten Jamal Kashoggi, den die saudi-arabische Regierung ermorden ließ.

Die Kommunikation per Internet kann schnell zu einem Sicherheitsrisiko werden. Diese Erfahrung hat eine Mitarbeiterin von Amnesty International in Pakistan gemacht. Diep Saeeda sah sich mit einem Angriff konfrontiert, der über Facebook ablief und in der Fachsprache als Spearphishing (abgeleitet vom englischen Begriff für die Fischjagd mit dem Speer) beschrieben wird. Ein Opfer wird dabei persönlich per E-Mail oder über die sozialen Netzwerke angesprochen. Um Vertrauen zu erwecken, nutzen Angreifer dazu oft gefälschte Identitäten. Im Fall Saeedas gaben sie sich als Mitarbeiter der Vereinten Nationen aus. Ziel solcher Angriffe ist es meist, den Opfern Computerviren unterzujubeln, um sie und ihre Kontakte anschließend ausspionieren zu können.

Saeeda schöpfte Verdacht und wandte sich an Amnestys Spezialisten für Cybersicherheit. Diese spürten den Angreifern monatelang hinterher, indem sie die Funktionsweise der Viren analysierten. Die Urheber der Attacke konnten sie nicht ermitteln. Doch sie fanden heraus, dass mehrere pakistanische Unternehmen hinter der Entwicklung der eingesetzten Schadsoftware stehen. So beschreibt es der Bericht, den Amnesty zu diesem Vorfall angefertigt und veröffentlicht hat, einschließlich umfassender technischer Analysen der eingesetzten Schadsoftware.

Die Attacke zeige, weshalb Menschenrechtsorganisationen Abteilungen für Cybersicherheit benötigen, sagt Claudio Guarnieri. Der IT-Sicherheitsforscher untersuchte bereits die Hackerangriffe auf den Bundestag im Jahr 2015 und gründete eine Hilfsorganisation namens Security Without Borders, auf Deutsch „Sicherheit ohne Grenzen“, die andere Einrichtungen bei der digitalen Selbstverteidigung unterstützen will.

Seit einigen Jahren arbeitet Guarnieri für Amnesty International. Er und sein Team haben, neben digitaler Forensik wie bei Diep Saeedas Fall in Pakistan, noch verschiedene andere Aufgaben, erklärt ­Guarnieri. Die Experten kümmern sich einerseits um die Computersysteme der Organisation, schulen andererseits aber auch die Mitarbeiter im Umgang mit brisanten Informationen und wollen diese dazu bringen, wachsamer zu sein.

Weitere Themen für Menschenrechtsorganisationen im Zeitalter des Internets umfassen staatliche Zensur, Cybermobbing und die Verantwortung von Plattformen wie Facebook oder Twitter gegenüber ihren Nutzern.

Hierzulande sind Bürgerrechtler selten Gefahr für Leib und Seele ausgesetzt. Sie arbeiten unter den Bedingungen eines Rechts­staates. Zu diesem gehört unter anderem das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Es besagt, dass Bürger das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen haben. Die Plattform Fragdenstaat.de soll es Nutzern leicht machen, Anfragen im Sinne des IFG zu stellen. Die Seite veröffentlicht, wenn es der Nutzer will, die Antworten. Es genügt, ein Onlineformular auszufüllen und ein wenig Geduld mitzubringen. Die Bearbeitung der Anfragen dauere etwa vier Wochen, erklärt das Projekt. Ein Beispiel für Dokumente, die so ans Licht gekommen sind, ist ein Bericht über die Sicherheitslage in Afghanistan. Doch es geht auch ein paar Nummern kleiner. So lassen sich beispielsweise die Kosten und der Baubeginn einer Brücke, die auf dem eigenen Arbeitsweg liegt, erfragen.

Die gemeinnützige Open Knowledge Foundation betreibt weitere Plattformen. So ist kürzlich ein Dienst namens Frag sie Abi! gestartet, der die Herausgabe der Aufgaben vergangener Abiturprüfungen erleichtern soll. Das Angebot Topf Secret, das in Zusammenarbeit mit Foodwatch, einem Verbraucherschutzverein für Ernährungsthemen, entstand, erfragt amtliche Hygieneberichte über Restaurants, Bäcker und andere gastronomische Betriebe.

Die Internetseite Offenegesetze.de stellt seit Anfang des Jahres erstmals Bundesgesetzblätter frei zur Verfügung. In den Gesetzblättern werden alle neuen Gesetze Deutschlands offiziell verkündet. Das Urheberrecht liegt beim ehemals zum deutschen Staat gehörende, aber 2006 privatisierte Bundesanzeiger Verlag. Er macht die Texte nur eingeschränkt online zugänglich. Als Reaktion gab die Bundesregierung bekannt, eine eigene Onlineplattform zu schaffen, damit die Gesetzblätter auch von offizieller Seite frei zugänglich sind.

Mehr über die Mitglieder des Bundestags und der Länderparlamente können Besucher der Seite abgeordnetenwatch.de erfahren. Die Seite erstellt zu jedem Politiker einen Steckbrief, der etwa Alter, Herkunft und Wahlkreis aufführt. Auch lässt sich dort einsehen, wie die Abgeordneten über Gesetzesvorlagen abgestimmt haben und welche Einkünfte sie für Tätigkeiten abseits ihres Parlamentsmandats erhalten. Diese Informationen sind auch auf der Seite des Bundestags einsehbar, aber ­abgeordnetenwatch.­de stellt sie übersichtlich zusammen. Außerdem können Nutzer Fragen an die Politiker stellen. Die Antworten veröffentlicht das Portal. Einige Parlamentarier nutzen diese Möglichkeit zum Wählerkontakt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat auf der Internetseite bisher 29 der 71 an ihn gestellten Fragen beantwortet.

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