Erfahrungsbericht einer Youtuberin Leben unter den Augen der Öffentlichkeit

Hamburg · „Influencer“, also Menschen, die im Internet Werbung machen, kommen durch ihre Arbeit oft an die Belastungsgrenze.

 Mit ihren Modefotos erreicht Aylin König täglich hunderttausende Menschen. Doch dafür muss sie auch jeden Tag neue Bilder liefern.

Mit ihren Modefotos erreicht Aylin König täglich hunderttausende Menschen. Doch dafür muss sie auch jeden Tag neue Bilder liefern.

Als die 28-jährige Aylin vor vier Jahren von einer Freundin zum ersten Mal von Instagram hörte und die ersten Bilder von sich hochlud – damals noch einfache Handyfotos auf einer Wiese – waren Begriffe wie „Influencer“, „Blogger“ oder „Creator“ kaum bekannt. Doch die Nachfrage nach Aylins Bildern und Modetipps war so groß, dass die BWL-Studentin ihren eigenen Blog einrichtete. Heute zählt ihre Webseite laut dem Marktforschungsportal marketing.de zu den zehn größten deutschen Mode-Blogs. 407 000 Menschen folgen ihr mittlerweile auf Instagram, rund 300 000 klicken jeden Monat ihre Bilder auf Pinterest an. Hinzu kommen Interviews rund um Mode und eigene Beiträge auf ihrem Youtube-Kanal. Mit purem Freizeitvergnügen hat das schon längst nichts mehr zu tun. Das Leben rund um Mode und Reisen ist für Aylin König – die mittlerweile regelmäßige Partner von H&M über Westwing und Pandora bis zu Cartier hat – längst zum Beruf geworden. Und zu einem Geschäft, bei dem andere in ihrer Branche inzwischen auf der Strecke geblieben sind.

Vor allem Blogger, die sich auf das Videoportal Youtube konzentrieren, würden laut der Unterhaltungs-Plattform Polygon häufig an den Anforderungen ausbrennen und zusammenbrechen. Krank geworden von dem ewigen Zwang, ständig neue Inhalte zu produzieren und noch mehr Abonnenten an sich binden zu müssen.

Auch Aylin weiß, wie das ist. Freie Tage oder Urlaub ohne WLAN kann sie sich nicht leisten. „Seit Jahren gibt es keinen Tag, an dem ich nicht ein Bild hochgeladen habe“, gibt sie zu. „Ich versuche, täglich mindestens zwei zu schaffen.“ Denn wer in dieser Branche überleben will, muss Menschen auf seine Seite locken, um für die Partner, die Mode und Accessoires zur Verfügung stellen, attraktiv zu bleiben. „Die Konkurrenz ist stark“, sagt Aylin. „Es ist strategisch sinnvoll, regelmäßig zu liefern. Wenn man das nur jeden zweiten oder dritten Tag machen würde, wäre man schnell abgeschrieben.“ Die Plattformen machten es schwer, Aktivitäten zu reduzieren. „Dann wird man abgestraft, die Reichweite wird eingeschränkt.“

Doch die Hamburgerin hat auch erlebt, was passieren kann, wenn sich alles im Leben nur noch ums Bloggen dreht. Wie im letzten Jahr, als sie wochenlang auf internationalen Modewochen in London, New York, Mailand und Paris unterwegs war und ständig neue Fotos, Tipps und Geschichten veröffentlichte. Sie sei zu einer Menge Veranstaltungen gegangen, die parallel zur Bilderproduktion stattfanden. „Natürlich bin ich auch dankbar für das Reisen und die Einladungen“, blickt sie zurück. „Aber da war ich an einem Punkt, wo ich gesagt habe, jetzt reicht es. Ich wusste nicht mehr, was ich anziehen soll, wie ich noch inspirieren soll, wie wir die Bilder neu inszenieren sollen. Ich war einfach ausgelaugt.“

Doch zum Glück stehe ihr ein gutes Team zur Seite, das sie auffange und mit dem sie sich die Aufgaben teilen könne. Allen voran ihr langjähriger Partner Tobias Freund, der auch die professionellen Fotos von ihr macht, und Assistentin Sarah. Und nicht zuletzt spielt auch ihr Privatleben mit viel Zeit für Freunde und Familie eine große Rolle, um dem Influencer-Stress zu begegnen. „Wenn man einen privaten Ausgleich hat, ist es schöner, als immer am Handy zu hocken. Das kann manchmal wirklich anstrengend sein.“ Denn auch das gehört zum täglichen Blogger-Geschäft: Ständig im Austausch zu sein mit seinen Lesern, Facebook-Freunden und Fans.

Aylin hat es nach eigener Aussage dennoch geschafft, eine gute Balance zu erreichen. „Ich nehme mir manchmal selbst die Luft raus und poste, wenn ich nichts Neues habe, auch mal ein Bild aus vergangener Zeit“, berichtet sie. „Es ist ja nicht weniger schlecht dadurch. Bei mir wollen die Leser am Ende sehen, was ich trage – und da ist es eigentlich egal, von wo ich es poste. Ob aus Timbuktu oder Barcelona oder Hamburg.“ Mittlerweile könne sie allein auf ihrem Handy auf einen Fundus mit über 90 000 Bildern zurückgreifen.

Derweil fühlen sich jene Youtuber, die sich eher auf sozialkritische Inhalte konzentrieren, nun strengeren Richtlinien und Kontrollen auf der Plattform ausgesetzt, die ihre finanzielle Existenz gefährden können. Durch die Einstufung in „weniger anzeigenfreundliche“ Kategorien seien sie „plötzlich mit dem starken Einbruch ihrer Einnahmen konfrontiert“, sagt Jörg Sprave, der durch seine englischen Videos über selbstgebaute Schleudern bekannt wurde und mit seinem „Slingshot-Channel“ mehr als 1,5 Millionen Abonnenten hat.

Die Änderungen bei Youtube beträfen nachrichtliche Inhalte ebenso wie Videos über olympisches Luftgewehrschießen oder Biathlon. „Einige Kanäle stürzten ins Bodenlose, verloren über Nacht ihre Existenz“, so der 53-Jährige. Youtube begnüge sich dabei nicht mit der offen eingeräumten „Demonetarisierung“, sondern verwende eine Reihe von versteckten Kategorien, die für den Youtuber selbst nicht sichtbar seien, so Sprave. Jede Form der Erwähnung kontroverser Themen führe zum Verlust der Einnahmen und stelle daher eine Form der wirtschaftlichen Zensur da. Der Youtuber hat daher die „Youtubersunion“, eine Art Blogger-Gewerkschaft, gegründet, um unter anderem gegen solche Eingriffe vorzugehen und eine faire Bezahlung aller Beteiligten zu erreichen. Derzeit habe die Youtubers­union rund 16 000 Mitglieder. „Das ist ein guter Anfang“, bilanziert Sprave, „aber wir müssen weiterhin stark wachsen, um genügend Reichweite geltend zu machen.“

Derartige Probleme hat Aylin nicht. Mit ihren Fashion- und Lifestyle-Tipps sind ihre Youtube-Videos nicht von Einschränkungen betroffen. Die einzigen Grenzen, die es in ihrem Blog gibt, sind die, die sie sich selbst setzt. „Es ist menschlich, dass man auch mal schlechte Tage hat. Dann möchte man nicht unbedingt gerade sein Gesicht in die Kamera halten – aber das gehört dazu. Auch wenn es nicht immer ganz leicht ist, so viel von sich preiszugeben.“

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