Neue Untersuchungen Wenn das Internet die Psyche verändert

Berlin · Die Digitalisierung beeinflusst zunehmend unser Leben. Forscher warnen, dass sich das vor allem auf junge Menschen auswirken kann.

 Schon am Frühstückstisch gehört der Griff zum Smartphone für viele Menschen zum Alltag. Echte soziale Kontakte bleiben auf der Strecke.

Schon am Frühstückstisch gehört der Griff zum Smartphone für viele Menschen zum Alltag. Echte soziale Kontakte bleiben auf der Strecke.

Foto: dpa/Nicolas Armer

Hat jemand geschrieben? Immer wieder schweift der Blick in Richtung Bildschirm. Selbst wenn gerade niemand etwas mitzuteilen hat, verführen Smartphones stets zu Klicks. Wie wird das Wetter? Wie zeigen sich Prominente bei Instagram? Wer hat bei Facebook was geliked? Nicht nur Jugendliche verbringen viel Zeit mit dem Smartphone und der Sphäre, die sich damit erschließen lässt. Am heutigen Welttag der Seelischen Gesundheit stellt sich die Frage, wie sich die immer verfügbare Online-Welt auf die Psyche und die sozialen Kompetenzen auswirkt. Macht sie uns zum „Smombie“? Das ist die jugendsprachliche Abkürzung für Smartphone-Zombie.

Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer veröffentlichte 2015 ein Buch, dessen Titel aufhorchen ließ: „Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen.“ Das Gehirn verliere an Leistungsfähigkeit, wenn Aufgaben vermehrt von Computern übernommen würden, so Spitzer. Er warnte, dass bei Kindern unter anderem verminderte Lernfähigkeit, Abstumpfung und Depression drohten. Andere Experten plädieren für einen differenzierten Blick, sie sehen Licht und Schatten der Technologie. Negative Folgen träfen aber keineswegs nur Kinder.

Nicht nur in U-Bahnen und Zügen sind inzwischen Menschen allgegenwärtig, die mit festem Blick aufs Smartphone aus der Realität abtauchen. Wenn der Psychotherapeut Andreas Hillert von der Schön-Klinik Roseneck am Chiemsee über jugendliche Patienten spricht, die statt in die Natur lieber ständig auf den Bildschirm schauen, sieht er dahinter die Befürchtung, etwas zu verpassen, sich allein und innerlich leer zu fühlen. Das Smartphone sei ein Symbol für die illusorische Vorstellung, ständig mit allen verbunden zu sein.

Forscher haben solche Phänomene beschrieben. In Studien gehen sie etwa der „Nomophobie“ nach, kurz für „No-Mobile-Phone-Phobia“ – die Angst davor, ohne Handy zu sein. Auch die Angst, off-line zu sein, hat einen Namen: „Fobo“, für „Fear of being offline“.

Eine „Internet-Komfortzone“ sei für erhebliche Probleme mancher Patienten in Schule und Elternhaus mit verantwortlich, sagt Hillert. Die Jugendlichen seien daran gewöhnt, ihre Bedürfnisse schnell und ohne Umschweife befriedigen zu können. Erfolge in Computerspielen haben, einkaufen, Kontakte pflegen und sich selbst darstellen zum Beispiel.

„Soziale Netzwerke suggerieren, irgendwo eingebunden zu sein“, sagt Hillert. An Erfahrungen aus realen Gruppen wie dem Sportverein, wo es auch mal Reibungen gibt, mangele es aber häufig in diesen Biografien. Hillert erzählt von jungen Erwachsenen mit hohem narzisstischen Anspruch – sie wollen etwas ganz Besonderes sein – und einer sehr geringen Frustrationstoleranz. Bekommen sie im Vokabeltest eine schlechte Note, lernen sie nie wieder dafür. Letztlich blieben sie orientierungslos und frustriert zurück, schildert Hillert.

Was macht den Online-Sog aus? Von einem „immensen Kommunikations- und Selbstdarstellungsdruck“ spricht Catarina Katzer, Spezialistin für digitales Sozialverhalten. „Man kann es auch Selfie-Manie nennen.“ Das sei aber nicht grundsätzlich negativ. Im Netz die volle Kontrolle über die eigene Selbstdarstellung – meist von der Schokoladenseite – zu haben und die Reaktionen der Kontakte darauf zu sehen, sei eine Chance. „Das kann positiv für unsere Identitätsentwicklung und unser Selbstbewusstsein sein“, sagt Katzer.

Der Druck, selbst zu kommunizieren und immer Neues zu präsentieren, kann sich aus Sicht der Cyberpsychologin aber auch negativ auf die Psyche auswirken. „Es ist, als ob wir in einer Spirale stecken, die sich immer schneller dreht. Das macht atemlos, wir fühlen uns überrollt.“ Übertriebene Ich-Zentriertheit und eine regelrechte Sucht nach Reaktionen könnten Folgen sein.

Nutzer könnten auch in einer virtuellen Glücksfalle landen. Das meiste, was sich online finde, drehe sich anders als das normale Alltagsleben um freudige Ereignisse, so Katzer. „Schöne Bildchen aus dem Urlaub, glückliche Paare.“ Zwar sei ein „Chamäleoneffekt“ bekannt, demzufolge gezeigte Emotionen ansteckend auf den Betrachter wirken. Allerdings hänge die Wirkung von der Stimmung des Betrachters ab. Glücksbotschaften könnten bei guter Laune ansteckend sein. Fühle man sich jedoch gerade schlecht, könne sich das eigene Unglücklichsein verstärken und Neid hinzukommen.

Zudem gebe es neue digitale Gewaltphänomene wie Cybermobbing, Arbeitskollegen würden etwa über soziale Netzwerke schlechtgemacht. Die Folgen reichten bei Betroffenen von psychosomatischen Beschwerden bis zur Depression, so Katzer. Sie sieht eine stark zunehmende Tendenz.

Nicht einmal Liebesbeziehungen bleiben vom Digital-Verhalten verschont. „In Deutschland sind 80 Prozent der Erwachsenen auch im Bett online“, sagt Katzer. Sie betont, dass das zum Beziehungskiller werden könne. Sogar Schluss machten immer mehr Paare per Kurznachricht – um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen.

Das Internet zu verteufeln, ist nicht zielführend, da sind sich die Experten einig. Vielmehr müsse es um Bewältigungsstrategien gehen. Sich selbst darüber klar zu werden, was einem gut tue und wie man sich verändere, sei der erste Schritt, sagt Catarina Katzer. Ein Online-Logbuch zu führen, könne hilfreich sein. Man müsse aber auch ein dickes Fell entwickeln. „Wie viel Selbstkontrolle habe ich, wie stark prallt etwas an mir ab und gibt es Menschen, die mich auffangen?“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort