Smartphone-Abstinenz Wie man das Handy in Ketten legt

Saarbrücken · Spezielle Apps sollen Nutzern dabei helfen, nicht zu viel Zeit am Smartphone zu verbringen.

 Für viele Smartphone-Besitzer kann es schwer sein, das Gerät nicht ständig zu benutzen. Spezielle Apps sollen Abhilfe schaffen.

Für viele Smartphone-Besitzer kann es schwer sein, das Gerät nicht ständig zu benutzen. Spezielle Apps sollen Abhilfe schaffen.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Die meisten Neujahrsvorsätze handeln von Abstinenz. Während die einen weniger Alkohol trinken wollen, geben die anderen das Rauchen auf oder nehmen sich vor, weniger Süßigkeiten zu essen. Und dann gibt es noch das sogenannte Digital Detox, die digitale Entgiftung also. Wer sich das vornimmt, will weniger Zeit am Smartphone und im Internet verbringen.

Psychologische und neurowissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Smartphone-Nutzung suchtähnliche Züge annehmen könne, so Christian Montag vom Zentrum für Biomedizinische Forschung der Universität Ulm. Zusammen mit Forschern der Universität Bonn beobachtete Montag das Nutzungsverhalten von 60 000 Smartphone-Besitzern. Sie fanden heraus, dass Nutzer rund 88-mal pro Tag auf ihr Smartphone schauen. Im Schnitt also alle 18 Minuten.

Wer sein eigenes Smartphone-Verhalten für ungesund hält, kann auf sogenannte Detox-Apps zurückgreifen. Diese blockieren bestimmte Anwendungen auf dem Handy und zwingen den Besitzer so zu einer Auszeit vom digitalen Leben, zu einer „Appstinenz“ sozusagen. Eine App einfach mit einer anderen App lahmzulegen, klingt zunächst paradox.

Das Angebot an diesen Digital-Detox-Apps ist groß. Die meisten sind allerdings für englischsprachige Nutzer konzipiert. AppBlock, Offtime, Ubhind und AppDetox zählen zu den bekanntesten deutschsprachigen Anwendungen. Für Android-Nutzer sind diese kostenlos. Auf Apple-Geräten funktionieren nur Offtime (3,49 Euro) sowie eine englische Version von Ubhind.

Wie funktioniert eine Smartphone-Auszeit? Offtime und Ubhind beginnen mit einer Datenanalyse. Das bedeutet, sie überprüfen, welche Apps wie oft und wie lange geöffnet sind. Auf dieser Grundlage zeigen sie an, welche Anwendungen besonders häufig genutzt werden. AppBlock und AppDetox verzichten auf diese Analyse. Beide verlangen dafür aber auch weniger Zugriffsberechtigung auf die Smartphone-Daten. Offtime und Ubhind wollen beispielsweise auf Fotos der Nutzer zugreifen.

Nutzer haben bei allen vier Anwendungen die Möglichkeit, individuell zu entscheiden, welche Apps für welchen Zeitraum gesperrt sein sollen. Soziale Netzwerke können etwa während der Arbeitszeit blockiert werden. Offtime ermöglicht es, wichtige Kontakte von der Sperrung auszuschließen. So werden beispielsweise nur Anrufe oder Nachrichten von bestimmten Personen durchgestellt.

Bei AppDetox können Nutzer auch die maximale Zugriffszahl auf eine App festlegen. Ist diese erreicht, lässt sie sich nicht mehr öffnen. Außerdem können Nutzer bei dieser Anwendung einstellen, dass sie eine bestimmte Anzahl von Schritten gehen müssen, bevor sie eine App weiter verwenden können.

Laut Iris Hauth, Ärztliche Direktorin am Zentrum für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Alexianer St.-Joseph-Klinikums in Berlin, gibt es eine Smartphone-Sucht aus medizinischer Sicht noch nicht. Christian Montag erklärt, es gebe jedoch viele Dinge, die ein Smartphone für die Besitzer attraktiv machten. Für die meisten Nutzer seien das soziale Netzwerke und Messenger-Funktionen, wie Whatsapp, die sie am häufigsten zum Smartphone greifen lassen. „Oft erwartet den Nutzer beim Griff nach dem Smartphone eine Art Belohnung, etwa eine neue Nachricht“, so der Professor für molekulare Psychologie. Das sei auch der Grund, warum Menschen immer wieder zum Gerät griffen.

Wie Iris Hauth erklärt, führt übermäßige Smartphone-Nutzung zu einem erhöhten Stresslevel, was im schlimmsten Fall mit chronischem Stress enden kann. In Detox-Apps sieht sie keine Möglichkeit, das Nutzerverhalten langfristig zu ändern: „Anstelle dieser Blockierungsapps sollte man das Smartphone lieber weglegen oder in den Flugmodus schalten.“

Montag hingegen begrüßt das Aufkommen von Detox-Apps: „Einige dieser Apps sind sicherlich positiv zu bewerten. Zumindest lenken sie die Aufmerksamkeit auf das Thema Smartphone-Sucht.“

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