YouTuber außer Kontrolle Wie aus Hass im Netz reale Gewalt wird

Berlin · Videomacher auf Youtube haben viele Anhänger. Gefährlich kann es werden, wenn diese außer Kontrolle geraten.

 Nach einem Aufruf in sozialen Medien war es auf dem Berliner Alexanderplatz zu einer Massenschlägerei gekommen.

Nach einem Aufruf in sozialen Medien war es auf dem Berliner Alexanderplatz zu einer Massenschlägerei gekommen.

Foto: dpa/Monika Wendel

Drei junge Männer sitzen in einem Auto und reden von Stolz, Männlichkeit, Ehre und darüber, dass man einen anderen Menschen totschlagen müsse. Was archaisch klingt, findet offen im Netz statt. Die Szene wird gefilmt. Dieser Streit, den man auch als Sandkastenzwist zwischen zwei pubertierenden Machos abtun könnte, endet in realer Gewalt. Auf dem Berliner Alexanderplatz im Herzen der Hauptstadt kommt es am 21. März zu einer Massenschlägerei. Zuvor hatten zwei Streithähne im Internet zu einem Treffen aufgerufen.

So etwas dürfe nicht sein, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow. Für ihn sind Fälle wie dieser eine mögliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Maßnahmen der analogen Welt müssen auch in der digitalen Welt möglich sein. Wie dies umgesetzt werden könne, „sollten die politisch Verantwortlichen nun ziemlich schnell angehen, damit noch der Anschluss an die sich schnell verändernde Online-Welt gehalten werden kann“.

Doch wie war es zu der Schlägerei mitten in Berlin gekommen? Auslöser waren zwei sogenannte Youtuber. Der Begriff bezeichnet Menschen, die Videos für die Plattform Youtube erstellen und meist damit ihr Geld verdienen. Wie viel sie einnehmen, hängt direkt damit zusammen, wie viele Menschen ihre Aktivitäten im Netz verfolgen, sprich ihre Videos ansehen. Denn Youtube schaltet Werbespots, die sich Nutzer erst ansehen müssen, bevor ihnen das eigentliche Video gezeigt wird. Youtuber sind daher immer bemüht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, damit ihre Videos von möglichst vielen Menschen gesehen werden. Dazu ist so manchem jedes Mittel recht, auch wenn sie damit einen handfesten Streit vom Zaun brechen.

In den Monaten vor der Schlägerei auf dem Alexanderplatz waren die Youtuber Bahar al Amood und ThatsBekir aneinander geraten. Bekir lebt in Stuttgart und hat auf Youtube über 250 000 Abonnenten. Sein Berliner Kontrahent al Amood hat auf Youtube rund 14 000 Abonnenten. Die beiden veröffentlichen vor allem Videos, in denen sie aus ihrem Alltag berichten. Al Amood soll Bekir mit Gewalt gedroht haben, falls er in die Hauptstadt komme.

„Im Internet wird die Selbstinszenierung besonders wichtig, weil man sonst leicht im Überangebot der Informationen untergeht. Das begünstigt eine extreme Selbstdarstellung, eine Gier nach Aufmerksamkeit um fast jeden Preis“, sagt der Psychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich mit Gruppendynamik und deren Auswirkungen im Internet. „Diese Phänomene können im Netz und im nächsten Schritt in der realen Welt viel Unheil anrichten“, sagt der Fachmann.

Im März hatte Bekir in Berlin ein Treffen für seine Fans angesetzt. Eigentlich sollte es eine friedliche Zusammenkunft werden. Doch al Amood erfuhr von dem Treffen und tauchte dort mit einigen seiner eigenen Anhänger auf. Wie genau der Streit ausbrach, ist nicht klar. Auf Videos, die das Treffen zeigen, ist zu sehen, wie Bekir mit einer flachen Hand ins Gesicht geschlagen wird, dann eskaliert die Situation. Am Ende schlugen laut Polizeiangaben rund 400 junge Männer aufeinander ein. Die Polizei versuchte unter anderem mit Reizgas, sie auseinander zu bringen. Etwa 20 von ihnen sollen in einen nahen U-Bahnhof gerannt und ins Gleisbett gesprungen sein. Dort sollen sie sich mit Schottersteinen beworfen haben, hieß es von Seiten der Beamten nach dem Einsatz. Die Polizei nahm sieben Beteiligte vorübergehend fest, 13 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet.

Auch in dem Ort Emskirchen nahe Nürnberg entlud sich vergangenes Jahr virtueller Hass in realer Gewalt. Auch dort drehte sich alles um einen Youtuber. Er ist im Netz unter dem Nutzernamen Drache Offiziell, früher DrachenLord1510, bekannt. Er veröffentlicht Videos über sein Leben und provoziert dabei auch mit extremen Ansichten. In einem Video plauderte er seine genaue Adresse aus. Seitdem stehen immer wieder Nutzer, denen nicht gefällt, was der 29-Jährige im Netz macht, vor seiner Haustür. Einige haben Steine durch Fenster seines Hauses geworfen, er wurde bedroht, verletzt und beraubt. 2018 riefen größtenteils anonyme Nutzer zu einer Demonstration vor seinem Haus auf. Laut Polizei hatten sich zwischen 600 und 800 Menschen in dem fränkischen Ort versammelt. Die Beamten rückten in großer Zahl aus, damit die Lage nicht eskalierte.

Neu sind solche Phänomene laut Psychologe Walschburger nicht. „Wenn man gegen Autoritäten rebellieren will, ist man in einer Jugendkultur gut aufgehoben. Schon zu meiner Jugendzeit haben wir unglaublichen Unfug angestellt“, sagt er. Doch es gebe einen entscheidenden Unterschied. „Tendenzen, die in Gruppen zu beobachtet sind, können sich im Netz massiv verstärken“, so der Psychologe.

Es gebe zwei grundlegende gruppendynamische Prinzipien, erklärt Walschburger. Einerseits könne das Verhalten eines einzelnen Individuums die gesamte Gruppe beeinflussen. Andererseits folge eine Gruppe einem dominanten Einzelnen, dem es gelinge, das Gruppenverhalten zu kontrollieren, sagt Walschburger.

Wenn jemand mit einer so starken Medienpräsenz wie ein Youtuber seine Anhänger zu Handlungen aufrufe, habe das ein besonderes Gewicht für die Fans. Der Psychologe sieht dementsprechend die Videomacher in der Verantwortung. „Wer heutzutage Botschaften ins Internet stellt oder Aufrufe startet, weiß in der Regel, was er damit anrichten kann.“

Für Bahar al Amood und ThatsBekir hat sich die Sache zumindest in einer Hinsicht gelohnt. Die Zahl der Nutzer, die ihre Aktivitäten im Internet verfolgen, ist nach der Prügelei deutlich gestiegen. Welche rechtlichen Konsequenzen die Sache haben wird, bleibt abzuwarten.

(dpa)
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