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Marburg · Chemiker wollen in Zukunft Nahrungsmittel, Medikamente und Treibstoffe aus Algen herstellen.

 Mikroalgen gehören zu den neuen Hoffnungsträgern der Chemiebranche. Mit ihren Hilfe wollen die Wissenschaftler Substanzen für die Chemie-, Pharma und Lebensmittelindustrie herstellen. Foto: Fraunhofer IGB

Mikroalgen gehören zu den neuen Hoffnungsträgern der Chemiebranche. Mit ihren Hilfe wollen die Wissenschaftler Substanzen für die Chemie-, Pharma und Lebensmittelindustrie herstellen. Foto: Fraunhofer IGB

Foto: Fraunhofer IGB

Eine Mikroalge benötigt eigentlich nur dreierlei zum Leben: eine Dosis Sonnenlicht als Energielieferant, Kohlendioxid aus der Luft und weitere Nährstoffe und Wasser, um zu wachsen und sich auszubreiten. Wenn die Alge gedeiht, liefert sie Biomasse en masse und viele Substanzen, die für den Menschen interessant sind. Das sollte sich doch nutzen lassen. Von den geschätzt 80 000 Arten Mikroalgen werden heute erst 15 industriell kultiviert und genutzt. Doch die Bandbreite interessanter Stoffe, die sie produzieren, ist bereits riesig. Sie reicht von Fetten, Eiweißen, Mineralstoffen, Vitaminen, medizinischen Substanzen über chemische Grundelemente für Kunststoffe bis zu ökologischen Kraftstoffen. An zwei Themen arbeiten die Forscher und Entwickler. Einerseits wollen sie das Stoffspektrum vergrößern, andererseits wollen sie in die großindustrielle Algenproduktion einsteigen.

Es gibt zwei "Haustierchen" in der Mikroalgen-Szene. Das sind die auch als Nahrungsergänzungsmittel bekannten Arten Chlorella Vulgaris und Spirulina Platensis. Sie sind wegen ihres Reichtums an Proteinen, Vitaminen und Spurenelementen geschätzt. Oft sind die Inhaltsstoffe multifunktional. So verhilft die einzellige Alge Haematococcus Pluvialis mit dem Farbstoff Astaxanthin dem Lachs zu seiner roten Farbe. Er hat aber auch das Potenzial zum Nahrungsergänzungsmittel. Und blaue Gummibärchen werden mit einem blaufärbenden Eiweiß aus der Spirulina-Alge hergestellt. In der Forschung sind Kieselalgen der Art Phaeodactylum Tricornutum en vogue, die von den Biologen Uwe Maier und Franziska Hempel von der Universität Marburg untersucht werden. Die Grundlagenforscherin Hempel kultiviert eine Mikroalge, die in ihrem Zellkörper kleinste Plastikteilchen produziert. Den Forschern geht es dabei ums Grundsätzliche: "Wir können Plastik herstellen ohne den Umweg über das Erdöl", kommentiert Uwe Maier. Die Plastiksorte PHB (Poly-3-hydroxybutyrat) ist ein bekannter Kunststoff, dessen Herstellung bislang zu teuer war. Auch hat Hempel sogenannte monoklonale Antikörper mit Mikroalgen hergestellt. Sie könnten für die Krebstherapie und die medizinische Diagnostik genutzt werden. Hier ging es den Biologen erst einmal nur darum, zu zeigen, welches Potenzial in Algen steckt. "Die Alge produziert andere Antikörper als der Mensch", sagt Maier. Daher müssen die Forscher die Algen-Substanzen nach der Extraktion modifizieren.

Wenn es um Algen als Rohstoffproduzenten geht, stehen hochpreisige Sparten der Pharma- und Kosmetikindustrie im Fokus. Auch als Nahrungsergänzungsmittel kommen sie in Frage. Hier spielen Produktionskosten keine so große Rolle. Die Großproduktion von Biokraftstoffen über Algen steckt noch in den Kinderschuhen.

"Algen sind cool", erklärt der Biologe Uwe Maier. "Die brauchen nur einen Fermenter. Pflanzen hingegen benötigen den Acker." Algen können auch auf für Landwirtschaft ungeeigneten Flächen produziert werden. Solche Verfahren untersucht und entwickelt beispielsweise das Unternehmen Subitec in Stuttgart.

Ziel ist dabei, möglichst viel Licht an Algenkulturen im Wasser zu bringen. Sogenannte Photoreaktoren, in denen die Algen umgewälzt werden, haben deswegen ein spezielles Design. An der Hochschule Anhalt in Köthen entwickeln Forscher sogenannte Tannenbaum-Reaktoren. Der Name ist Konzept. Bei Subitec setzt man auf Flachbettkollektoren, die senkrecht stehen. Kohlendioxid-Gas blubbert bei diesen Reaktoren von unten nach oben. Die Algen werden in Bewegung gesetzt, sodass alle ihre Lichtdosis bekommen. Alle ein bis zwei Wochen fahren die Forscher und Entwickler die Ernte ein.

Während der Energielieferant Sonne kostenlos ist, ist das künstliche Begasen mit Kohlendioxid ein Kostenfaktor, den die Entwickler eigentlich vermeiden möchten. Geschäftsführer Peter Ripplinger von Subitec möchte die Abgase von Industrieanlagen nutzen. "Die Nutzung von Rauchgasen haben wir in mehreren Anlagen gezeigt", erklärt Ripplinger.

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