Prozess wegen Nazi-Unrecht Als Kind den Eltern geraubt: Opfer bekommt keine Entschädigung

Köln · Von den Nazis in Europa geraubte Kinder haben keinen Anspruch auf Entschädigung für ihr Leid. Es fehlt an einer entsprechenden Richtlinie der Bundesregierung. Das hat das Verwaltungsgericht Köln klargestellt.

 Eine Richterrobe an einer Garderobe. Symbolbild.

Eine Richterrobe an einer Garderobe. Symbolbild.

Foto: dpa/Christian Charisius

Es gibt Gerichtsurteile, die gehen unter die Haut. Das Verwaltungsgericht Köln hat jetzt so ein Urteil veröffentlicht. Es geht darin um einen kleinen blonden Jungen, der seiner Familie geraubt und von den Entführern bei einem Ehepaar in einem anderen Land untergebracht wird. Dort wächst das Kind mit neuem Namen, neuer Identität und neuer Nationalität auf. Seinen richtigen Namen erfährt der Junge nie. Wo er herkommt, wer seine richtigen Eltern sind und was aus ihnen geworden ist, das weiß er nicht. Aber höchstwahrscheinlich wurden seine Eltern von den Entführern umgebracht.

Als Kind von den Nazis entführt - weil er blond war

Wenn so etwas heute in Europa passieren würde, dann wäre der mediale und politische Aufschrei gigantisch und in den sozialen Netzwerken wäre die Hölle los. Völlig zu Recht. Aber die traurige Geschichte des kleinen Jungen spielt nicht heute, sondern in der Vergangenheit. Heute ist der Sechsjährige von damals 82 Jahre alt. Und das Verwaltungsgericht Köln hat entschieden, dass er keinen Anspruch auf Entschädigung hat, obwohl er in der Zeit des Nationalsozialismus von der SS als Kind verschleppt worden ist.

Ein trauriges Kapitel der Deutschen Geschichte

Zu den Hintergründen der Tat schreibt das Verwaltungsgericht: „Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten (unter anderem auch Polen) Kinder ihren Eltern von der SS weggenommen. In den sogenannten „Lebensborn-Heimen“ wurden die „geraubten Kinder“ unter Verschleierung ihrer wahren Identität untergebracht und später in deutsche Familien vermittelt. Der Kläger wurde 1942 in Polen als Kind wegen seines „arischen“ Aussehens von der SS verschleppt und über die Organisation „Lebensborn“ einem reichsdeutschen Ehepaar vermittelt.“

Als 16-Jähriger fand der Jugendliche in der Schublade einer Kommode seiner Pflegemutter die entsprechenden Unterlagen und nahm sie an sich. Seine wirkliche Herkunft kennt der Mann bis heute nicht. Mit diesem Schicksal steht er nicht allein. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 250 000 Kinder von dem Nazi-Programm betroffen sein könnten.

Entführter Junge beantragt Entschädigung - Abgelehnt

Im Zuge der rechtlichen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts beantragte der Betroffene Ende 2015 eine einmalige Beihilfe nach den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von NS-Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-Härterichtlinien). Diese Richtlinie sieht vor, dass vom Staat Leistungen erbracht werden können, wenn „eine Person wegen ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens oder wegen besonderer persönlicher Eigenschaften (z.B. geistiger Behinderungen) vom NS-Regime angefeindet wurde“. Die Bundesrepublik lehnte den Antrag ab. Unter anderem mit der Begründung ab, dass der Betroffene im konkreten Fall nicht wegen seines Verhaltens oder wegen besonderer Eigenschaften angefeindet worden sei.

Unrecht kann mangels Richtlinie nicht geahndet werden


Das Gericht musste diese Entscheidung aus rechtlichen Gründen bestätigen. Es stellte fest, dass dem Betroffenen kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Entschädigung zustehe. Insbesondere dürfe das Gericht die ablehnende Entscheidung der Behörde nur sehr eingeschränkt überprüfen. Nämlich daraufhin, ob die Behörde ihre Verwaltungspraxis gleichmäßig ausgeübt und die Richtlinie gleichmäßig angewandt habe. Dies sei der Fall gewesen, weil die Behörde in keinem Fall Leistungen an „geraubte Kinder“ erbracht habe.

Und weiter: Es sei für das Gericht zwar nicht zweifelhaft, dass dem Kläger durch seine zwangsweise „Germanisierung“ ganz erhebliches Unrecht angetan worden sei. Über die Feststellung einer Ungleichbehandlung hinaus sei es dem Gericht aber aus Rechtsgründen verwehrt, den Anwendungsbereich der Richtlinie zu Gunsten des Klägers zu erweitern. Oder mit anderen Worten: Die Justiz muss sich an die rechtlichen Regeln halten. Der Gesetzgeber könnte sie aber jederzeit ändern. Die Entscheidung aus Köln ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden, über die dann das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden wird (Az.: 8 K 2202/17).

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