Ärzte entfernen Niere von kleinem Bub: Eltern verklagen Klinik

Hamm · Keine Hektik im Krankenhaus: Eltern brauchen Zeit zum Nachdenken bei schweren Operationen ihrer Kinder. Das hat die Justiz klargestellt.

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Aufklärungs- und Mitwirkungsrechte von Eltern bei schweren Operationen ihrer Kinder gestärkt. Nach Feststellung der Richter brauchen Eltern bei schweren medizinischen Eingriffen Zeit zum Nachdenken. Und wo dies medizinisch möglich ist, müssen die Ärzte ihnen diese Zeit einräumen. Das kann dazu führen, dass eine bereits begonnene Operation abgebrochen oder unterbrochen werden muss, wenn sich eine neue Sachlage ergibt.

In konkreten Fall ging es um einen acht Jahre alten Jungen, dessen linke Niere nur noch zu 22 Prozent funktionierte. Nach Voruntersuchungen in der Klinik, einer Bedenkzeit für die Eltern und einem Aufklärungsgespräch wurde der Junge im Januar 2013 operiert. Dabei sollten die Abflussverhältnisse der linken Niere verbessert werden. Während der Operation stellte sich aber heraus, dass die geplante Rekonstruktion auf Grund nicht vorhersehbarer anatomischer Gegebenheiten nicht möglich war. Die Operation wurde unterbrochen, eine Ärztin schilderte den Kindeseltern die veränderte Situation und empfahl die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Eltern stimmten zu, die Operation wurde fortgesetzt und die Niere des Kindes entfernt.

Das Oberlandesgericht Hamm hat dem Jungen deshalb nun ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.500 Euro zugesprochen. Zur Begründung hieß es, dass die Eltern des Kindes während der Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden seien. Während der Operation habe sich eine neue Situation ergeben, die eine veränderte Behandlung erforderlich gemacht habe. Diese Situation habe eine neue Aufklärung und eine neue Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern des Klägers erfordert. Hiervon seien auch die behandelnden Ärzte ausgegangen. Sie hätten die Operation unterbrochen, um mit den Eltern das weitere Vorgehen zu besprechen. Die dann erfolgte Aufklärung sei allerdings defizitär gewesen, so das Gericht. Und zwar deshalb, weil die Ärztin die Entfernung der linken Niere als alternativlos dargestellt und die sofortige Nierenentfernung empfohlen habe.

Nach Feststellung des vom Gericht bestellten medizinischen Sachverständigen sei es aber nicht zwingend notwendig gewesen, die Niere sofort zu entfernen. Es wäre möglich gewesen, die Operation zunächst zu beenden, um danach die weitere Vorgehensweise in Ruhe mit den Eltern zu besprechen. Dabei hätte neben der Nierenentfernung auch die - wenn auch mit höheren Risiken und zweifelhaften Erfolgsaussichten verbundene - Möglichkeit bestanden, später nierenerhaltend zu operieren. Eventuell hätte so die Restfunktion der linken Niere erhalten werden können, so der Gutachter.

Fazit der Richter: Im vorliegenden Fall hätten die Eltern auf die Möglichkeit der Zeitgewinnung hingewiesen werden müssen. Sie hätten darüber aufgeklärt werden müssen, dass neben der sofortigen Entfernung der linken Niere auch der Abbruch der Operation mit einer äußeren Harnableitung für eine Übergangszeit möglich gewesen sei. In der Übergangszeit hätte eine ärztliche Aufklärung, Beratung und eine Entscheidung der Eltern in Bezug auf mögliche andere, aber riskante und schwierigere Wege der Nierenerhaltung erfolgen können. Dieses Aufklärungserfordernis habe angesichts der Tragweite und Bedeutung der Entscheidung zwischen einer Nierenentfernung und einer riskanten und schwierigeren Nierenerhaltungsoperation bestanden.

Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass sich die Eltern vor der Operation, nach Bedenkzeit und Beratung durch einen niedergelassenen Urologen, ursprünglich ausdrücklich gegen eine Nierenentfernung entschieden hätten. Deshalb sei anzunehmen, dass sich die Eltern bei korrekter Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt zwischen der sofortigen Nierenentfernung und der Möglichkeit der Übergangslösung befunden hätten. Da die gebotene Aufklärung im vorliegenden Fall aber versäumt worden sei, sei die während der laufenden Operation erteilte Einwilligung der Eltern, die Niere zu entfernen, unwirksam. Damit sei dieser medizinische Eingriff rechtswidrig gewesen und von der Klinik ein Schmerzensgeld an den Jungen zu zahlen (Az.: 3 U 122/15).

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