Kinderwunsch: Muss Jobcenter für die künstliche Befruchtung zahlen?

Berlin · Ist Kinder-Kriegen eine Frage des Geldes? Ein Ehepaar wünscht sich ein Kind. Aber der Eigenanteil für die künstliche Befruchtung beträgt mindestens 2000 Euro. Und das Jobcenter will für die Hartz- IV-Empfänger nicht zahlen.

 SymbolbildLocation:Karlsruhe

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Foto: Uli Deck/dpa

Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass das Jobcenter nicht verpflichtet ist, Hartz IV-Empfängern ein Darlehen für die Kosten einer künstlichen Befruchtung zu gewähren (Az.: S 127 AS 32141/12). Dieses vom Rechtsportal Juris kürzlich veröffentlichte Urteil wirft die Frage auf, ob Kinder-Kriegen in Deutschland eine Frage des Geldes sein kann. Es sieht ganz so aus.
Damit zu den Einzelheiten des Falles: Die 1978 geborene Klägerin und ihr 1984 geborener Ehemann aus Berlin Marzahn-Hellersdorf beziehen seit 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Ihre Krankenkasse erklärte sich bereit, 50 Prozent der Kosten für maximal drei Versuche einer künstlichen Befruchtung zu übernehmen. Die Kosten jeder einzelnen künstlichen Befruchtung betragen dabei ungefähr 4.100 Euro. Die Kläger waren nicht in der Lage, den auf sie entfallenden Kostenanteil aufzubringen. Sie beantragten deshalb im September 2012 beim Jobcenter Berlin Marzahn-Hellersdorf die Gewährung eines Darlehens in Höhe von rund 2.200 Euro. Der Antrag wurde abgelehnt. Dagegen klagte das Ehepaar im Dezember 2012.
Nach Meinung der Kläger widerspreche es dem Grundgesetz, wenn sozialleistungsberechtigte Paare keine Kinder bekommen können, nur weil sie ihren Anteil an den Kosten einer künstlichen Befruchtung nicht aufbringen können. In der freien Wirtschaft bekämen sie kein Darlehen. Sie seien deshalb auf ein Darlehen des Jobcenters angewiesen, um die gleichen Rechte zur Teilhabe an der Gesellschaft zu haben wie Nichtleistungsbezieher.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage im September 2015 abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts setzt die Gewährung eines Darlehens voraus, dass im Einzelfall ein Bedarf, der eigentlich vom Regelbedarf umfasst wird, nicht gedeckt werden kann, obwohl er unabweisbar ist. Eine künstliche Befruchtung gehöre jedoch schon nicht zum Regelbedarf im Sinne des Gesetzes. Neben Dingen wie Ernährung und Kleidung umfasse der Regelbedarf zwar auch die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Allerdings seien, anders als die Kläger meinen, für Leistungsbezieher nicht die gleichen Teilhaberechte wie für Nichtleistungsbezieher zu schaffen. Vielmehr seien die Teilhaberechte nach dem Gesetz nur "in vertretbarem Umfang" zu verwirklichen. Dieser vertretbare Umfang werde bei einer künstlichen Befruchtung angesichts der Kosten von über 4.000 Euro für eine Behandlung überschritten.
Das Sozialgericht weiter: Der konkrete Bedarf sei auch nicht unabweisbar. Es handele sich bei der künstlichen Befruchtung nicht um eine medizinisch notwendige Behandlung. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass die im Gesetz vorgesehene Beschränkung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen Grundrechte nicht verletze. Aus der im Grundgesetz verankerten staatlichen Pflicht zum Schutz von Ehe und Familie folge keine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Entstehung einer Familie durch künstliche Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Nichts anderes könne für das Jobcenter als Träger der Grundsicherungsleistungen gelten. Im Übrigen, so die Sozialrichter, sei der Bedarf auch nicht unaufschiebbar. Die Krankenkassen würden die Kosten für eine künstliche Befruchtung nämlich bis zum 40. Lebensjahr für weibliche Versicherte übernehmen. Bei der erstmaligen Antragstellung hätten die Kläger damit mehr als sechs Jahre Zeit gehabt, um die begehrten Leistungen anzusparen. Und auch heute blieben noch mehr als drei Jahre. Die Entscheidung des Gerichts ist noch nicht rechtskräftig.

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