Reisebericht Die Sardinenmänner an Portugals Atlantikküste

Peniche · Landgang bei den sturmerprobten Fischern der Welt-Wellenreiter-Hauptstadt Peniche, 100 Kilometer nördlich von Lissabon.

 An den Klippen am Ortsrand von Peniche brechen sich ununterbrochen die atlantischen Wogen.

An den Klippen am Ortsrand von Peniche brechen sich ununterbrochen die atlantischen Wogen.

Foto: Helge Sobik

Sie sitzen mal wieder an Land fest: auf viel zu kleinen Hockern, die Knie fast unterm Kinn, auf dem Pflaster am Hafen von Peniche an der portugiesischen Atlantikküste. Und inmitten riesiger Fischernetze, die dort ausgebreitet sind. Sie schweigen, flechten, flicken, schauen sich jede einzelne Masche an und sind in ihrem Tun erstaunlich fingerfertig. Mit großen Händen verwenden sie filigrane Werkzeuge, allesamt kräftige Kerle, mehr Ältere von über 50, sogar über 60 Jahren als Jüngere. In Karohemd, Jacke und Jeans, mit Drei-, Fünf- und Sieben-Tage-Bärten. Sie wirken deplatziert hier, wie unfreiwillig festgehalten. Und ein bisschen ist es auch so: viel zu viel Wind zum Herausfahren. Wieder einmal. Wie so oft in dieser Gegend.

Die Sardinenmänner von Peniche gut 100 Kilometer nördlich von Lissabon sitzen fest. Nicht mal sie trauen sich jetzt auf den Ozean hinaus: die hartgesottensten unter den Atlantik-Fischern. Die meisten von ihnen sind von Kindesbeinen an mit Booten auf dem Meer. Sie sind mit diesen gewaltigen Wogen hier aufgewachsen, die heute Wellenreiter aus aller Welt anlocken. Sie haben Peniche zur „Wave capital of the World“, zu so etwas wie der „Welthauptstadt der Wellen“ gemacht. In den Läden der Innenstadt kann man T-Shirts mit diesem Slogan kaufen. Er ist nicht einfach nur ein Werbespruch – er ist wahr.

Mit ihren Kuttern stellen sich die Sardinenmänner den riesigen Sardinenschwärmen in den Weg, die vor allem von April bis September hier durchkommen. Sie tun es westlich der vorgelagerten Berlengas-Inseln, wo das Wasser besonders kalt und tief ist. Der Fisch von dort schmeckt am besten, er hat ein besonderes Aroma. Und dort sind die Wellen am schlimmsten: ein einziges Wogen auch bei Windstille, ein unaufhörliches Auf und Ab, gegen das jede Jahrmarkt-Schiffsschaukel ein Aprilscherz ist.

Zu manchen Zeiten brauchen die Sardinenmänner des rot-weiß getünchten Fischerboots Aventureiro – „Abenteurer“ auf Deutsch – die Netze dort nur ins Wasser fallen zu lassen, um sie wenig später mit ihren leistungsstarken Seilwinden prallvoll an Bord zu hieven. Am besten gelingt es im Juni, dann sind die Sardinen groß und dick und besonders lecker.

„Der Fisch aber“, erzählt Jacinto Galego von der Aventureiro, „ist seltener geworden. Und die Schwärme nehmen oft andere Wege, kommen unserer Küste nicht mehr so nah. Es war immer ein hartes Brot. Und es ist noch härter geworden.“ Aber morgen, spätestens übermorgen, da sollen sie wieder herausfahren können. Der Sturm wird durchgezogen sein. Sagen zumindest die Meteorologen. Die Fischer lachen darüber. Sie kennen das Meer besser. „Die Wetterleute“, sagt Jacinto, „haben ihre Instrumente und ihre Satelliten. Aber sie waren nie da draußen. Sie kennen das Meer nicht. Der Sturm wird bleiben. Noch mindestens vier, fünf Tage. Wie fast immer in dieser Jahreszeit.“

Auf dem Höhepunkt der Sardinenfischerei gab es 60 Fischerboote wie die Aventureiro in Peniche, heute sind es noch 15. Auf einigen davon fahren ausschließlich Pensionäre – weil sie nicht vom Ozean lassen können, sich so an diese Wellen gewöhnt haben, diesen Kick brauchen. Und das Geld, das auch.

„Eigentlich haben wir Angst vor der See“, sagt Gonçalo Completo, der früher wie sein Vater selbst Sardinenmann war und heute nur noch im Nebenberuf Fischer ist: „Wir haben diese Angst, weil wir sie respektieren. Wem die Furcht vor der See fehlt – derjenige bringt sich in Gefahr. Zugleich lieben wir es, auf dem Ozean zu sein, ihn zu sehen und zu riechen. Aber wenn er wirklich zürnt, dann ist es klug, sich fernzuhalten.“ Und besser erstmal die Netze zu flicken.

Gonçalo ist eine Ausnahme in der Zunft. Er ist noch jung, kaum dreißig. Und er hatte eine Geschäftsidee – eine, die ihn unabhängig von den Sardinenschwärmen machen sollte und doch ebenfalls ganz und gar von Wind und Wetter abhängt: Er fährt während der Sommermonate Boots-Taxi und bietet gemeinsam mit seinem Vater Ausflugsfahrten zu den Berlengas-Inseln an. Dort gibt es ein Restaurant, ein kleines Hotel für nur wenige Übernachtungsgäste, dazu einen sehr einfachen Campingplatz. Die meisten, die hin wollen, sind Tagesbesucher. Wenn die Nachfrage zu gering ist, fährt er mit Gästen zum Hochseeangeln hinaus. Fast rund ums Jahr gibt es Anfragen. Vier Boote hat die Familie inzwischen in Betrieb, das größte für über 50 Passagiere, das kleinste für ein paar Kumpel auf Angelausflug.

„Erst“, sagt Gonçalo mit beiden Händen in den Hosentaschen seiner Jeans, „haben die Surfer Peniche entdeckt, jetzt kommen zumindest von Juni bis September auch die Strandurlauber – weil sich herumgesprochen hat, was für eine Hammer-Brandung wir hier haben. Und was für Strände dazu! Sie kommen, um die wave capital of the world zu erleben.“ Wie gut, dass Seegang dabei gar nicht stört. Das Gegenteil davon wäre sogar langweilig. Dann gäbe es später zu Hause weniger zu erzählen.

Manche der besten Wellenreiter haben sogar so etwas wie ihre eigenen Groupies dabei – mindestens dann, wenn hier die Weltcup-Rennen ausgetragen werden. Sie werden von Fans belagert, von schönen Frauen angehimmelt. Die Fischer müssen ohne Groupies auskommen. Sie machen einfach ihren Job und genießen dafür den Respekt der Leute aus Peniche.

Lucindo Verissimo Tacôa war lange nicht mehr da draußen. Mit Fisch hat er noch immer zu tun, mit diesem Geruch nach Salz und Meer, daran hat sich nichts geändert. Aber selber fischen fährt er nicht mehr: zu hart, zu viel Wellengang. Und zu alt, das ist er inzwischen auch. Er verkauft jetzt Trockenfisch in seinem kleinen Laden gleich gegenüber der alten Festung am Platz Campo da República. Jeden Morgen breitet er Wolfsbarsche, Sardinen, Schollen und sogar Rochen auf so etwas wie einem Tapeziertisch in der prallen Sonne aus – und hängt weitere an Fäden auf, die er zwischen zwei Stangen spannt. Wenn es hier nicht nach Fisch riecht, dann tut es das nirgends.

Binnen kurzer Zeit trocknen Wind und Sonne all das aus und konservieren es so. Wer etwas davon kauft und es zubereiten will, muss es „wiedererwecken“. Unter kaltem Wasser lange abspülen, dann eine Nacht in Wasser einlegen, danach wie Frischfisch verarbeiten: „Der ist viel besser, viel intensiver“, sagt er und redet sich in Rage: „Derselbe Fisch! Aber viel besser! Erst so bekommt er sein richtiges Aroma.“

 Reisegrafik Peniche in Portugal

Reisegrafik Peniche in Portugal

Foto: SZ/Steffen, Michael

Ob Jacinto Galego selber sich eigentlich als „Sardinenmann“ sieht? „Nein“, sagt er. „Ich nehme, was die See mir gibt. Alles, was sie uns ins Netz legt. Und dann sortieren wir. Aber es gibt diese Jahreszeit, wenn es fast ausschließlich Sardinen sind. Dann bin ich Sardinenmann.“ Welchen er selber am liebsten isst? „Die Makrele. Vom Grill. Mit Zitrone und wenig Knoblauch. Nur so.“ Das Sturmtief übrigens ist geblieben, noch volle vier Tage und Nächte. Die Meteorologen lagen falsch. Wieder mal. Weil sie noch nie mit hinausgefahren sind.

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