Ein Stock für den Fernseh-Doc

Lindewerra · Im Hügelland Thüringens liegt das einstige Stockmacherdorf Lindewerra. Heute pflegt dort nur noch einer das seltene Handwerk.

 Michael Geyer führt die Stockmanufaktur in fünfter Generation. Foto: Mattern

Michael Geyer führt die Stockmanufaktur in fünfter Generation. Foto: Mattern

Foto: Mattern

Irgendwo kräht ein Hahn. Ansonsten ist alles still. Nur hin und wieder trägt der Wind das Geräusch eines Autos ans nahe Werra-Ufer und korrigiert den Eindruck völliger Abgeschiedenheit, die das Dörfchen Lindewerra zu umhüllen scheint.

An der Nahtstelle von Thüringen zu Hessen, wo zu Zeiten der deutschen Teilung die Welt zu Ende war, erinnert heute nichts mehr an Grenzzäune. Pure Idylle umgibt Deutschlands legendäres Stockmacherdorf, das sich wie eine Perle zwischen die grünen, von Wald und Weide bedeckten Höhenzüge bettet. Ganz dicht am Fluss, der hier zu einem gewalti-gen Bogen ausholt.

Hier, wo schon vor über hundert Jahren das Geschäft mit dem Stöckemachen florierte und man das Image der Gehhilfe als modisches Accessoire pflegte, gibt es inzwischen nur noch einen, der das beinah vergessene Handwerk ausübt. Am Ortsrand liegt die Manufaktur von Michael Geyer, einem gelernten Tischler, der schon früh seinem Vater bei der Arbeit zur Hand ging und nun in fünfter Generation die Geschicke des Familienunternehmens lenkt.

In seiner Werkstatt produziert der Chef mit Hilfe dreier Mitarbeiter im Jahr 60 000 bis 70 000 Stöcke zum Wandern und Spazierengehen, für Kranke und die Jagd. Vorwiegend handgefertigt aus Kastanienholz, das aus Nordspanien und Südengland stammt. In den Räumen klebt angenehm der Geruch von Holzspänen, die sich zwischen Maschinen und Werkzeugen in den Ecken sammeln: Schleifmaschinen, Sägen, Messer ergänzen da das Inventar aus Dampfkessel, Trockenofen, Biegemaschine, Scheuertrommel und weiterem Gerät, das bei der Stockherstellung zum Einsatz kommt.

"32 Arbeitsgänge sind nötig, um aus einem im Wald geschlagenen Stock ein fertiges Produkt zu machen", beschreibt Michael Geyer seinen Werkstattalltag, bei dem Holz gewaschen, der Griff gebogen, der Stock gerichtet und getrocknet wird, bei dem geschliffen, auf Länge gesägt, gebeizt, geflammt und lackiert wird. Im Lager nebenan stapeln sich dann auf Regalen die Ergebnisse seiner Stockmacherkunst: Ausgefallenes und Schlichtes, Knorriges, Elegantes und Exotisches. Versehen mit Griffen aus Holz, Plastik, Leder und Metall, die vom Rothirschgeweih bis zum Totenkopf jeden Geschmack bedienen. Die Preise reichen von zehn bis 600 Euro, und wer einen speziellen Wunsch hat, bekommt auch den im Rahmen des Möglichen erfüllt. "Es gibt durchaus besondere Anfertigungen, sagt Geyer. "Einmal brachte uns ein Künstler eine Kugel aus seinem Hüftgelenk mit, aus der ein Griff werden sollte."

Dass aus Lindewerra Qualitätsware kommt, hat sich längst herumgesprochen. Zahlreiche Länder in Europa gehören zu den Abnehmern, selbst nach Amerika und Japan werden die Geyerschen Stöcke verkauft. Und auch mancher Promi besitzt einen, darunter die thüringische Ministerpräsidenten und sogar Frau Bundeskanzlerin, während sich in Übersee der beliebte TV-Serienarzt Dr. House einer Gehhilfe aus dem thüringischen Eichsfeld bedient.

Und wie ist es um die Zukunft des Holzstocks bestellt? Da soll es trotz der Konkurrenz durch modernere Alternativen Hoffnung geben. Weil nämlich der Geschmack der Leute zurück zur Natur gehe. Und die kommen gern nach Lindewerra, um dem Eichsfelder bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Um eine Straße weiter im kleinen Stockmachermuseum noch mehr über die Entwicklung des Handwerks zu erfahren. Oder einfach nur, um die wunderschöne Umgebung des 250-Seelen-Dorfs beim Wandern oder Radeln zu erleben.

Zum Thema:

 Dr. House (Hugh Laurie) mit einem Stock aus Lindewerra. Foto: SUPER RTL/Universal

Dr. House (Hugh Laurie) mit einem Stock aus Lindewerra. Foto: SUPER RTL/Universal

Foto: SUPER RTL/Universal

Ein Besuch beim Stockmacher Das Stockmachermuseum in Lindewerra ist montags bis freitags von 7 bis 16 Uhr geöffnet und kann von April bis Oktober besichtigt werden. Daneben sind auch ganzjährige Führungen nach Voranmeldung möglich. www.stockmacherei.dewww.lindewerra.dewww.thueringen-entdecken.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort