Autoindustrie Brüssel will Kartellverdacht untersuchen

Brüssel/Berlin · Das Kartellverfahren um den Verdacht, dass sich deutsche Autobauer jahrelang abgesprochen haben sollen, will die EU an sich ziehen.

 Die Automobilindustrie ist eine der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Hierzulande wurden im vergangenen Jahr rund 5,7 Millionen Pkw produziert. Unser Bild zeigt neue Autos bei VW in Wolfsburg.

Die Automobilindustrie ist eine der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Hierzulande wurden im vergangenen Jahr rund 5,7 Millionen Pkw produziert. Unser Bild zeigt neue Autos bei VW in Wolfsburg.

Foto: dpa/Silas Stein

(grb/dpa) Die EU-Kommission reagiert in gereiztem Unterton auf den Kartellverdacht gegen die fünf deutschen Autohersteller. Zwei Jahre nach Beginn des Dieselskandals, sagte ein Kommissionssprecher, sei es nun wichtig, dass alle, also die Regierungen, Verbraucher und die Industrie, „endlich“ ihren Job erledigten. Und dann kam eine Formulierung, die wie eine Drohung klang: Die EU-Kommission werde die einzelnen Puzzleteile so zusammen, dass es höhere Standards im Verbraucherschutz gebe. Die Nachricht eines möglichen Kartells in der Autoindustrie war auch in Brüssel wie eine Bombe eingeschlagen. Ohnehin ist die Verärgerung groß, weil der Dieselskandal kein Ende zu nehmen scheint und immer wieder neue unappetitliche Häppchen auftauchen. „Das Schlimme ist, dass die volle Dimension des Dieselskandals bis heute schwer einzuschätzen ist“, sagt ein hoher EU-Beamter. Auch EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska verliert zunehmend die Geduld mit der deutschen Schlüsselindustrie. Der Eindruck hat sich verfestigt, dass die Bundesregierung im Zweifel mit der deutschen Autoindustrie paktiert und einer schärferen Regulierung im Weg steht.

Zum Kartellfall an sich zeichnet sich ab, dass die Fäden bei der Aufklärung der Vorwürfe bei EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zusammen laufen. Das Bundeskartellamt ist auch involviert, aber die „EU-Kommission hat den Lead“, wie in Brüssel zu hören ist. Die Beamten von Vestager hüllen sich in Schweigen. Sie bestätigen noch nicht einmal, seit wann sie die Akten auf dem Tisch haben und ermitteln. Dies bedeutet, die Ermittler haben noch nicht Gewissheit, ob an den Vorwürfen etwas dran ist. Grundsätzlich informiert die Behörde die Öffentlichkeit über kartellrechtliche Ermittlungen erst in dem Augenblick, wenn die Beamten eine Klageschrift erstellt haben. Ein falscher Verdacht kann ein Unternehmen wirtschaftlich ruinieren. Daher geht die Behörde nur dann damit an die Öffentlichkeit, wenn sie Hinweise auf einen „hinreichenden Beweis“ hat. Offensichtlich ist dies im Fall der Vorwürfe von VW, Daimler, BMW, Porsche und Audi eben nicht oder noch nicht so. Durch Medienberichte über das Wochenende, wonach Beteiligte an dem Kartell eine „Art Selbstanzeige“ erstattet hätten, wuchs der Druck auf die Kommission, zumindest die Ermittlungen in der Sache zu bestätigen. Eine Bestätigung, dass erst VW und womöglich später Daimler eine förmliche Selbstanzeige erstattet haben, gibt es indes ebenfalls nicht.

Unterdessen schlagen in Deutschland weiterhin die Wellen hoch. Jörg Hofmann, Chef der Gewerkschaft IG Metall, forderte „eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären“, sagte der Gewerkschaftschef, der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats ist, in der „Welt“.

Unionsfraktionschef Volker Kauder rief die Autokonzerne auf, „reinen Tisch“ zu machen. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, „muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie“, sagte der CDU-Politiker im ARD-„Morgenmagazin“.

Daimler hatte von „Spekulationen“, VW-Chef Matthias Müller in der „Rheinischen Post“ von „Sachverhaltsvermutungen“ gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvorwurf, stellte aber klar: „Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück.“

Der BMW-Betriebsrat erklärte am Montag, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidungen an Recht und Gesetz gehalten haben. Der Betriebsrat erwarte aber eine umfassende Information. Auch die Betriebsräte von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. „Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung“, sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht.

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