Saar-Stahlindustrie „2019 geht es ums Überleben“

Völklingen/Dillingen · Wie Tim Hartmann als neuer Chef der Dillinger Hütte und von Saarstahl nach 100 Tagen im Amt die Stahl-Standorte absichern will.

 Tim Hartmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stahl-Holding-Saar sowie Vorstandsvorsitzender von Dillinger Hütte und Saarstahl.

Tim Hartmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stahl-Holding-Saar sowie Vorstandsvorsitzender von Dillinger Hütte und Saarstahl.

Foto: Oliver Dietze

„Offen, verbindlich, berechenbar.“ So beschreibt der neue Vorstandsvorsitzende der Dillinger Hütte und von Saarstahl, Tim Hartmann, seinen Führungsstil. So will er gesehen, so will er erlebt werden, sowohl von Führungskräften als auch der gesamten Mannschaft. „Ich bin ein Teamplayer“, sagt er über sich selbst. Nach 100 Tagen im Amt lässt sich zumindest eines schon eindeutig über ihn sagen: Dieser Manager schaut genau hin. Seine Analyse über den aktuellen Zustand der Stahlindustrie fällt messerscharf aus. Seine Schlussfolgerungen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „2019 geht es um die Wurst. Da kommt es zum Schwur. Da geht es ums Überleben.“

Letztendlich entscheiden darüber wohl die Kräfteverhältnisse. Auf der einen Seite stehen notwendige Millionen-Investitionen, etwa in neue Technologie oder die künftige Neuaufstellung von Hochöfen an der Saar. Auf der anderen Seite eröffnen Polit-Jongleure an der Spitze der EU in Brüssel massive Störfeuer auf die Stahlindustrie, weil sie in der Industrie generell eher ein Auslaufmodell sehen statt einen Hoffnungsträger für Wohlstand und Arbeitsplätze. Die Argumente einzelner Spitzenpolitiker, die jetzt sogar schon ein Abwandern energieintensiver Unternehmen aus Europa in Kauf nehmen, „erschrecken mich massiv“, stellt Hartmann fest. Das Gleiche gilt offensichtlich auch für Worthülsen und wohlmeinende Worte von Politikern auf Stahlgipfeln und bei anderen Gelegenheiten. Hartmann drückt das direkt aus: „Die saarländischen Bundespolitiker bekennen sich zur Stahlindustrie, aber Erfolg erkennt man an Taten.“ Die saarländische Stahlindustrie schaffe längst selbst Fakten, um möglichst zukunftsfähig zu sein. So verweist Hartmann auf erst jüngst im Herbst von den Aufsichtsräten der Stahl-Holding sowie den beiden Hütten freigegebene Investitionen in einer Gesamthöhe von 90 Millionen Euro. Davon dienten alleine 48 Millionen Euro der Verbesserung des Umweltschutzes.

Auch Hartmann selbst will Pflöcke für eine Überlebensstrategie einschlagen. Spannend wird sein, wie weit ihm hier die Belegschaften der Dillinger Hütte und von Saarstahl folgen. Denn er fordert von allen Beschäftigten einen „Kulturwandel“. Ein so großes Umdenken im eigenen Verhalten, wie es das bisher in der Geschichte der beiden Unternehmen noch nicht gegeben habe. Denn alle Mitarbeiter auf allen Ebenen, ob in Dillingen oder Völklingen, sollen nur noch als ein Unternehmen denken. Doppelstrukturen, auch in der Organisation, sollen der Vergangenheit angehören, neue Wege in der Zusammenarbeit eingeschlagen werden. Zu dieser neuen Denke sieht Hartmann keinerlei Alternative. Die Fakten würden bestimmt von weltweiten Stahl-Überkapazitäten, einer massiven Abschottungspolitik gegen europäische Erzeugnisse durch US-Präsident Donald Trump sowie verschärften Umweltauflagen der Europäischen Union in Brüssel. „Unsere Marken und unser Stolz sollen auch künftig bleiben“, sagt der Chef. Die Veränderungen sollen intern greifen. Das Denken als ein gemeinsames Stahl-Unternehmen soll nicht automatisch einen Abbau von Arbeitsplätzen nach sich ziehen. Vom Auszubildenden bis zur höchsten Ebene könne jeder Vorschläge einbringen, die zur Umsetzung einer wettbewerbsfähigen Strategie nützlich sind.

Zugleich stellt Hartmann auch in seiner Eigenschaft als Chef der Stahl-Holding-Saar (SHS) klar, dass das in den Stahlunternehmen erwirtschaftete Geld auch künftig im Saarland bleibt und investiert werden kann. Mit seinen Posten als Vorstandschef beider Hütten sowie als Chef der SHS hält Tim Hartmann so viel Macht in Händen wie kein Stahl-Manager vor ihm. Er sieht keine Bestrebungen von größeren Playern am Markt, womöglich die saarländischen Hütten aufkaufen zu wollen.

Die Herausforderung bleibe, weitere Nischen und Märkte zu suchen, um dort mit Spitzenstählen neue Kunden zu gewinnen. „Da bin ich zuversichtlich“, sagt Hartmann wiederum mit Blick auf die Belegschaft. „Die Power, die ich hier in der Stahlindustrie vorgefunden habe, hätte ich so nicht erwartet. Die Kolleginnen und Kollegen machen einen tollen Job. Deren Motivation spornt auch mich jeden Tag an.“ Und so hofft Hartmann, dass er eine erfolgreiche Koalition aus Mitarbeitern, Arbeitnehmervertretern und Saar-Politikern schmieden kann, die die wichtigsten Ziele mittragen: weiteres Wachstum, eine Ertragssteigerung, die Fortsetzung der Internationalisierung sowie eine Digitalisierung in allen Unternehmensbereichen.

Auch die persönliche Strategie ist langfristig angelegt. Nach elf Jahren des beruflichen Pendelns mit seiner französischen Frau und schulpflichtigen Kindern will Hartmann dort sesshaft werden, wo er zu Zeiten seines Vorstandsjobs bei der VSE schon einmal war: an der Saar. „Uns gefällt es hier.“ Und so wünschte Hartmann bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach Jahren zu Beginn ein „Re-Bonjour“.

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