Sterneküche Saarland „Wir sind ganz normale Menschen“

Saarbrücken · Was einer der besten Köche der Welt über das Saarland und die fehlende Wertschätzung durch die Gesellschaft denkt.

 Drei-Sterne-Koch Klaus Erfort.

Drei-Sterne-Koch Klaus Erfort.

Foto: BeckerBredel

Seit über 15 Jahren betreibt Klaus Erfort (45) in der Mainzer Straße in Saarbrücken sein Gästehaus Erfort. Vor zehn Jahren wurde dem Restaurant der dritte Michelin-Stern verliehen. Zuvor hatte Erfort der Orangerie im Parkhotel Gengenbach in Völklingen sowie dem Restaurant Imperial im Schlosshotel Bühlerhöhe bei Baden-Baden jeweils einen Stern erkocht. Aber Sterne sind kein Garant für Erfolg. Viele Kunden haben gerade bei dieser Hochleistungs-Küche Berührungsängste. Erfort wünscht sich ein gesellschaftliches Umdenken.

Herr Erfort, bei Sterne-Küche denken viele an sehr teures und exklusives Essen. Gibt es im Saarland genug Feinschmecker, um mit einem Sterne-Restaurant zu überleben?

ERFORT Im Saarland leben glücklicherweise noch viele Menschen, die auch bereit sind, Geld für gutes Essen und Trinken auszugeben. Ich würde auch sagen mehr als in jedem anderen Bundesland. Das liegt auch daran, dass wir stark von Frankreich und Luxemburg geprägt sind.

Ist das Saarland also ein guter Standort für Drei-Sterne-Küche?

ERFORT Ja und nein. Wir leben insofern in einem gesegneten Landstrich, weil wir zwei Nachbarländer haben, in denen noch gerne gut gegessen wird. Davon profitieren wir absolut. Ansonsten hat das Saarland aber auch viele Standortnachteile.

Und zwar welche?

ERFORT Schauen Sie sich alleine mal unseren Flughafen an. Da landen mittlerweile mehr private Flugzeuge als reguläre Maschinen. Das ist doch lächerlich. Versuchen Sie mal aus einer anderen Stadt in Deutschland oder sogar aus Europa ins Saarland zu kommen. Oder nehmen Sie die Diskussion um den Museumsneubau. Statt zu diskutieren, wer schuld an den Baufehlern ist, sollte man schnellstens schauen, dass sich die Türen öffnen und wir mit tollen Ausstellungen eine neue Attraktion hier ins Saarland bekommen. Es ist einfach das Problem, dass wir hier überhaupt nicht ausreichend schätzen, was wir haben, sei es der Vierte Pavillon, sei es das Max-Ophüls-Festival oder eben auch die Spitzenküche.

Ihnen fehlt es also an Wertschätzung?

ERFORT Sehen Sie es doch mal so: Man wirbt mit uns Drei-Sterne-Köchen auf Plakaten – aber die Politiker kommen nicht zu uns. Und es wird immer das Geld als Argument angeführt. Aber da wird mit zweierlei Maß gemessen. Wenn Politiker hochwertige Autos fahren, ist das gut, weil es der heimischen Autoindustrie hilft. Bei hochwertigem Essen gilt das nicht. Wenn ich beispielsweise einen Mitarbeiter im Service habe, der sich nicht für Essen und Trinken interessiert, dann gehört er nicht da hin. Ein Politiker, der für Tourismus und gutes Essen im Saarland wirbt, sich aber selbst nicht wirklich dafür begeistern kann, ist auch fehl am Platz.

Das liegt aber auch an den Regeln, die es Ministerien und auch großen Firmen verbieten, in Sterne-Restaurants zu essen.

ERFORT Das halte ich auch für sehr schädlich. Durch diese Compliance-Regeln bekommen wir ein richtig schlechtes Image, nach dem Prinzip: „Da geht man nicht hin.“ Das ist doch verrückt. Was ist negativ an einem Stern? Doch nur das, was die Gesellschaft daraus macht. In anderen Ländern werden die Top-Restaurants hofiert. Und bei uns bekommen sie noch einen negativen Stempel aufgedrückt.

Würden Sie stattdessen lieber ein Restaurant auf der anderen Seite der Grenze in Frankreich führen?

ERFORT Auf jeden Fall wäre die Akzeptanz da deutlich höher. Ich würde mir etwas mehr Lockerheit wünschen. Die Deutschen sind, was die Sterne-Küche angeht, schon ein bisschen spießig und verkorkst. Letztens war ich in Prag im einzigen Sterne-Restaurant des Landes. Das ist voll mit jungen Leuten. Die trinken auch mal nur einen Eistee. Aber sie gehen unverkrampft da hin. Und es ist nichts Schlimmes. Das würde ich mir auch ein wenig mehr hier wünschen. Wenn man sich anschaut, auf welchem Niveau in der Sterne-Küche in Deutschland gekocht wird, da brauchen wir uns nicht zu verstecken. Das Problem ist einfach, dass wir hier kein gutes Image haben.

Es klingt absurd, aber man könnte Drei-Sterne-Küche ja auch als Kunst bezeichnen, die wie Museen oder Theater bezuschusst werden könnte.

ERFORT Das ist gar nicht so absurd. Schauen Sie sich die Spanier an. In Spanien werden die Sterne-Köche subventioniert. Das ist auch verständlich. Spanien ist ein Agrarland und braucht die Sterne-Köche, weil sie heimische Produkte bekannt machen. Da steht das Land dahinter. Wer hat vor wenigen Jahren noch von spanischer Küche gehört?

Aber in Deutschland gibt es aktuell doch eigentlich auch eine ganze Menge Marketing für gute Küche. Die Kochshows boomen. Hilft das nicht?

ERFORT Ehrlich gesagt, sehe ich nur sehr wenig fern und kenne diese Kochshows kaum. Sicher hat sich die Einstellung zum Essen auch dadurch etwas geändert. Aber ich fürchte, das verpufft wieder. Ich glaube nicht, dass das nachhaltig ist.

Drei Sterne – das ist auch mit erheblichem Druck verbunden. Der französische Koch Bernard Loiseau hat sich angeblich umgebracht, weil er einen Stern zu verlieren drohte? Wie ist das auszuhalten?

ERFORT Es ist natürlich die Frage, ob das wirklich der Grund war. Das werden wir nie erfahren. Ich denke aber, solange der Job Spaß macht, ist es auch kein Problem. Es ist aber richtig, dass mit den Sternen auch Druck von außen verbunden ist. Hier in Deutschland erwarten die Gäste beispielsweise, dass der Chef auch an den Tisch kommt. Das halte ich für Unsinn. Kritik werden die Gäste nicht äußern, und meine Aufgabe ist ja nicht Entertainment, sondern gut zu kochen. Das ist in Frankreich anders. Da ist der Chef häufig gar nicht im Haus. Solche Erwartungen erzeugen Druck, die den Job belasten.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Gibt es nicht viele, die bei Ihnen arbeiten wollen?

ERFORT Das ist sicherlich das größte Problem. Nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Gastronomie – gute Leute zu finden. Es geht dabei gar nicht um gut ausgebildete Mitarbeiter, sondern überhaupt um Mitarbeiter. Die müssen wir dann halt anlernen. Zum Glück sind wir aktuell voll besetzt, aber es ist nicht leicht.

Aber ist es nicht eine Auszeichnung, wenn man in einem Drei-Sterne-Restaurant arbeitet?

ERFORT Das ist nicht mehr der primäre Punkt. Die jungen Leute legen heute mehr Wert darauf, in München, Frankfurt oder Berlin zu sein als im Saarland. Da haben wir wieder einen extremen Standortnachteil. Und den kann man auch nicht mit Geld wettmachen.

Schrecken auch die Arbeitszeiten mögliche Mitarbeiter ab?

ERFORT Die sind ein Handicap. Und das gilt für die gesamte Gastronomie. Bei uns ist das sogar noch gut, weil wir sonntags und an Feiertagen geschlossen haben. Und auch Betriebsferien machen. Da versuchen wir, unseren Mitarbeitern ihre Arbeit möglichst human zu gestalten.

Was ist wichtig, um die eigenen Mitarbeiter zu halten?

ERFORT Vor allem Wertschätzung. Und zwar nicht nur von uns, sondern auch von den Gästen. Wenn sich Gäste bei mir über den schlechten Service in einem anderen Restaurant auslassen, finde ich das sogar gut. Denn dann merken sie, dass man guten Service auch wertschätzen muss. Und dass er auch etwas kostet.

Die Spitzenküche zeichnet sich auch durch immer neue Moden aus: Mal gibt es ganz kleine Portionen auf großen Tellern, mal halbgares Gemüse, dann wird mit Stickstoff gekocht. Muss es immer wieder etwas Neues geben?

ERFORT Das hängt natürlich vom jeweiligen Koch ab. Aber es hat auch mit den Medien zu tun. Man macht so etwas ja auch, um in der Berichterstattung zu sein. Gastronomie ist längst auch Marketing. Und nicht immer hat die Popularität mit Qualität zu tun, sondern damit, besonders laut zu trommeln.

Wäre es dann nicht sinnvoll, als Koch eine PR-Agentur zu beschäftigen und auch auf Facebook aktiv zu sein?

ERFORT Eine PR-Agentur ist natürlich von Vorteil, wenn man sich das erlauben kann. Facebook halte ich nicht für geeignet, um beispielsweise neue Gäste zu bekommen. Aber für die Mitarbeiter-Werbung ist Face­book eine sehr gute Sache. Wzenn sich ein junger Koch mit mir befreunden will, nehme ich die Anfrage natürlich an. Denn vielleicht kommt er dann irgendwann ja auch mal zu uns.

Was halten Sie von all den neuen Ernährungs-Trends – vegetarisch, vegan, glutenfrei?

ERFORT Ich sage mal so: Vegetarisch ist bei uns ja schon längst Standard. Und wir haben bei unseren Menüs auch immer einen Gemüsegang im Angebot. Aber wenn es dann beispielsweise auch noch laktose- und glutenfrei sein soll, wird es in der Drei-Sterne-Küche bald eng. Aber es ist schon so: Unsere Kunden kommen, wollen sich wohlfühlen und wollen sich auch bewusst ernähren. Und darauf müssen wir uns einstellen und dann beispielsweise auch mal auf Sonderwunsch ein Gericht ohne Kohlehydrate servieren.

Aber sie müssen ja auch bei jedem Gericht die Allergene auf der Karte ausweisen. Ist das kein Problem?

ERFORT So wie wir kochen, können wir das ehrlich gesagt überhaupt nicht erfüllen. Wir kochen ja nach Geschmack, nicht nach Standard. Wenn eine Soße zu dick oder zu dünn ist, müssen wir reagieren. Und dann kommt vielleicht mit dem Hühnerfonds auch Sellerie an die Soße. Dieses Essen ist so individuell in der Entstehung, da kann ich nicht alle Allergene konsequent nachverfolgen. Bei einem Burger, der eine Million Mal immer gleich produziert wird, ist das etwas ganz anderes.

Und wenn nun ein Gast bestimmte Allergien hat?

ERFORT Dann wird er das auch entsprechend zum Ausdruck bringen, und dann können wir das genau mit dem jeweiligen Gast besprechen.

Sie haben vorhin das schlechte Image angesprochen. Sie hatten ja auch mit ungewöhnlichen Projekten, beispielsweise einem Event-Restaurant im Eurobahnhof, neue Wege betreten, um für gehobene Küche zu werben. Funktioniert das?

ERFORT Die Nachfrage ist auf jeden Fall da. Wir müssen den jungen Leuten Berührungspunkte geben, wo sie lernen können, dass Sterne-Küche ganz anders ist, als sie sich das vorstellen. Nicht steif und verklemmt. Wir sind doch ganz normale Menschen. und bei uns kann man einfach gut essen. Was mich ärgert ist, dass Menschen über uns Geschichten verbreiten, die nie auf die Idee kämen, bei uns zu essen. Nehmen Sie die Geschichte mit dem Zettel, den Gäste angeblich in die Hand gedrückt bekommen, weil sie sich schlecht benommen hätten. Mit der Aufforderung, nie wiederzukommen. Das ist Blödsinn. Aber das Gerücht hält sich. Ich wäre doch verrückt, solche Zettel zu verteilen. Dann könnte ich auch gleich zumachen.

Einige Ihrer Kollegen haben ihre Sterne zurückgegeben, weil sie einfach mal wieder „normal“ kochen wollen. Jens Jakob beispielsweise mit seinen zwei Sternen vom Le Noir in Saarbrücken.

ERFORT Ja, aber trotzdem sagt er auch immer wieder, dass er doch noch einmal Sterne-Küche machen möchte.

Oder Ihr Kollege Karl Ederer aus München, der seinen Stern abgegeben hat und jetzt auf „Heimat Food“ setzt.

ERFORT Und trotzdem eine Flasche Wein für 500 Euro dazu verkauft. Wie schon gesagt, das ist auch eine Frage des Marketings. Und natürlich auch der persönlichen Entwicklung.

Eine Frage zum Abschluss: Wie schafft man es, in diesem Job Privatleben zu haben?

ERFORT Das geht nur mit guter Organisation. Ich glaube, man muss sich in diesem Job seine Freiheiten nehmen und nicht immer da sein. Meine Jungs in der Küche kochen genauso gut wie ich. Aber es ist natürlich auch so, dass der Job extrem dicht getaktet ist. Das habe ich im Februar gemerkt, als ich bei einem Krankenhaus-Besuch zwei Tage Auszeit hatte. Da kommt man dann schon ins Nachdenken, wenn man nach der OP gleich wieder einen Termin hat. Und natürlich braucht man eine Familie, die extrem flexibel ist. Aber dann kann es klappen.

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