Berlin/Kiel/Saarbrücken Wenn der Straßenbau zur Existenzfrage wird

Berlin/Kiel/Saarbrücken · Immer mehr Bundesländer wollen Straßenausbaugebühren abschaffen. Das Saarland will die Belastung für Hausbesitzer nur mildern.

 Wenn eine Straße ausgebaut wird, werden oft Grundstückseigentümer zur Kasse gebeten. In Schleswig-Holstein sollte eine Familie sogar 217 000 Euro zahlen. Dagegen wehren sie sich vor Gericht.

Wenn eine Straße ausgebaut wird, werden oft Grundstückseigentümer zur Kasse gebeten. In Schleswig-Holstein sollte eine Familie sogar 217 000 Euro zahlen. Dagegen wehren sie sich vor Gericht.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Es ist ein sperriges Wort, das für Hausbesitzer existenzgefährdend werden kann: „Straßenausbaubeitrag“. Landwirt Ulrich Albert und seine Frau in Lütjenburg in Schleswig-Holstein traf es in ganz Deutschland wohl am härtesten. 217 000 Euro sollten sie zahlen. Das war 2012. Das Verwaltungsgericht minderte die Summe 2017 auf 189 000 Euro. Auch dagegen wehrt sich das Paar. Über die Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig noch nicht entschieden, geschweige denn in der Sache.

„Es passiert seitdem nichts“, sagt Birgit Albert. „Für uns ist das eine große Belastung.“ Das Geld haben sie sich von der Bank geliehen und die geforderte Summe vorläufig gezahlt. „Wir müssten sonst sechs Prozent Zinsen zahlen, die Bankzinsen sind niedriger.“ Das ist kein Einzelfall, sondern ein Problem, das viele Wohnungs- und Hauseigentümer in Deutschland treffen kann. Wird eine Straße verbreitert oder erhält sie einen Bürgersteig mit Beleuchtung, können den Anliegern „Straßenausbaubeiträge“ (SAB) drohen.

Beim Bundesverband Haus & Grund ist bundesweit keine höhere Einzelforderung bekannt als die 189 000 Euro aus Lütjenburg. „Sechsstellige Beträge sind nicht die Regel, aber Abgaben, die höher als 10 000 Euro sind, auch keine Ausnahme“, sagt Schleswig-Holsteins Verbands-Geschäftsführer Alexander Blažek. Das sei für junge Familien, die bereits bis zum Hals verschuldet sind oder alleinstehende, ältere Menschen mit kleiner Rente oft existenzbedrohend. Mangels Mitsprache und Informationen über den Straßenausbau bildeten sie meist keine Rücklagen hierfür. „Der Schock sitzt dann oft tief, wenn der Bescheid ins Haus flattert.“

In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung. Ob Wohnungs- oder Hauseigentümer Straßenausbaubeiträge zahlen müssen, hängt vom Bundesland oder der jeweiligen Gemeinde ab. In den 16 Ländern geht einer Umfrage zufolge der Trend dahin, die umstrittenen Beiträge abzuschaffen, zu deckeln oder durch wiederkehrende Beiträge deren Höhe zumindest geringer zu halten. Bürgerinitiativen fordern die Rote Karte für die Abgabe.

Keine SAB erheben Hamburg, Bayern, Berlin und Baden-Württemberg sowie die Stadt Bremen (im Gegensatz zu Bremerhaven). Drei Länder wollen sie rückwirkend abschaffen: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen. Vier Länder überlassen eine Erhebung – teils unter Vorgaben – den Kommunen: Schleswig-Holstein, Sachsen, Hessen und das Saarland.
Im Saarland müssen Städte und Gemeinden seit dem Jahr 2001 diese Beiträge nicht mehr erheben, etwa die Hälfte der 52 Saar-Kommunen tut es aber noch. Die Freien Wähler wollen das ändern. Sie fordern eine vollständige Abschaffung der Gebühren und wollen über eine Volksinitiative erreichen, dass sich der Landtag mit dem Thema befasst. Rund 3500 Unterschriften haben die Freien Wähler nach Worten von Landeschef Uwe A. Kammer bereits gesammelt, 5000 brauchen sie, damit der Landtag über ihr Anliegen debattiert. Um die fehlenden 1500 Unterstützer für die Aktion zusammenzubringen, plant Kammer in den kommenden Wochen „Flyer-Aktionen“ in saarländischen Kommunen. Straßenausbaubeiträge seien ungerecht – und für manche Bürger eine unerträgliche Belastung, findet der Landeschef der Freien Wähler. Ihm seien Fälle bekannt, in denen etwa Rentner bis zu 50 000 Euro für den Ausbau der Straße vor ihrem Haus hätten zahlen müssen. Er bezeichnet die Beiträge denn auch als „Relikt aus der alten Zeit“.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen unterstützten 423 000 Unterzeichner eine Initiative zur Abschaffung der Beiträge. Die CDU/FDP-Koalition in Düsseldorf möchte die Bürger entlasten, es soll keine Extremfälle mehr geben. Die Beiträge sollen „gedeckelt“ werden. Die Landesregierung will in den nächsten Wochen Eckpunkte vorlegen; das Kommunalabgabengesetz soll noch in diesem Jahr novelliert werden.

Rheinland-Pfalz will an SAB festhalten, aber Härten mildern. In Sachsen-Anhalt liegt das Thema auf Eis: Nach langem Streit konnte sich die Koalition von CDU, SPD und Grünen nicht auf einen Kompromiss zur Abschaffung einigen. In Niedersachsen will die SPD/CDU-Koalition Ende 2019 eine gemeinsame Position finden.

Im Saarland arbeitet das Innenministerium zurzeit an einem Entwurf für ein Gesetz, das es Kommunen künftig erleichtern soll, wiederkehrende Beiträge für den Straßenausbau einzuführen. „Wir begrüßen das sehr und fordern das schon lange“, sagt die Geschäftsführerin des saarländischen Städte- und Gemeindetags, Barbara Beckmann-Roh. Mit solchen Gebühren, die jährlich bei allen Grundstückseigentümern in einem bestimmten Gebiet erhoben werden, könnten finanzielle Härten, die oft bei einmaligen Ausbaubeiträgen entstünden, merklich abgemildert werden, findet Beckmann-Roh. Ganz auf Beiträge verzichten, wie die Freien Wähler das fordern, könnten die finanziell klammen Städte und Gemeinde nicht. „Wo soll das Geld denn dann herkommen?“, fragt Beckmann-Roh. Vom ebenfalls unter einer erdrückenden Schuldenlast leidenden Land jedenfalls nicht.

Trotzdem fordert Haus & Grund die vollständige Abschaffung. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum für gemeindliche Straßen lediglich die anliegenden Grundstückseigentümer herangezogen werden sollen, wenn doch allen Bürgern die Benutzung dieser Straßen als Infrastruktur offen steht“, sagt Verbands-Präsident Kai Warnecke.

Landesgeschäftsführer Blažek meint: „Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert – nur bei Anliegerstraßen werden die Eigentümer zur Kasse gebeten, das ist dem Bürger nicht mehr vermittelbar.“ Anlieger hätten ihre Straßen zudem bereits mit den sogenannten Erschließungsbeiträgen bezahlt.

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