Kommentar Ein erbärmliches Bild

Theresa May ist nicht nur bekannt für Dauerwortschleifen, mit denen sie seit Jahren durch ihre Amtszeit taumelt. „Brexit heißt Brexit“ oder „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal“ gehören zu den absoluten Klassikern der Vergangenheit.

Kommentar zu Verhandlungen zum Brexit : "Ein erbärmliches Bild"
Foto: SZ/Robby Lorenz

Die Premierministerin hat außerdem eine Schwäche für Kehrtwenden, wie sie gestern wieder einmal gezeigt hat. Nachdem May unentwegt betont hatte, dass ihr mit Brüssel ausgehandeltes Abkommen „der beste und einzige Deal“ auf dem Tisch sei, kündigte sie nun an, das Vertragspaket noch einmal aufschnüren zu wollen. Jener Kompromiss also, um den sich unzählige Beamte und Politiker aus London und Brüssel jahrelang bemüht haben, dem die EU-Mitgliedstaaten zugestimmt haben wie auch die britische Regierung. Zwei Monate vor dem offiziellen Austritt aus der Gemeinschaft ist Mays Ansage nichts anderes als ein blanker Wahnsinn – abgesehen davon, dass es zeitlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, bis Ende März grundlegende Änderungen zu erreichen, die dann noch von allen Partnern ratifiziert werden müssen, hat die Union auch stets betont, Nachverhandlungen seien ausgeschlossen. Worte von der anderen Seite des Kanals aber werden konsequent von Westminster ignoriert. Vielmehr darf die gestrige Debatte im Unterhaus nicht nur als völlig surreal bezeichnet werden, sondern auch als peinliches Schauspiel. Stundenlang diskutierten die Abgeordneten über eine Option, die von Brüssel aus gutem Grund längst abgelehnt wurde. Der auf der Insel so ungeliebte Backstop sollte tatsächlich nicht aus dem Abkommen entfernt werden, solange May auf ihren roten Linien beharrt. Die Garantieklausel ist dringend notwendig, um im Notfall eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zu vermeiden. Auf der Londoner Prioritätenliste scheint die Provinz aber weit unten zu stehen. Die fragile Situation in Nordirland wird von zu vielen Politikern geradezu verharmlost. Das verstört und bestürzt, beweist aber auch, dass der britischen Regierung kein Vertrauen geschenkt werden sollte, wenn es um den nördlichen Landesteil geht. Umso mehr kommt es nun darauf an, dass Brüssel im Interesse der Menschen auf der irischen Insel auf die Rückversicherung besteht. Die Grenze darf nicht verhandelbar sein, schon gar nicht für parteipolitische Manöver der Premierministerin.

Die britische Politik hält derzeit das restliche Europa zum Narren und es bleibt zu hoffen, dass die EU jene Arroganz und Ignoranz in London nicht belohnt, indem die Gemeinschaft doch noch Zugeständnisse beim Backstop macht und damit den europaskeptischen Hardlinern und verblendeten Ideologen entgegenkommen würde. Es war die britische Regierung, die Artikel 50 und damit den Austrittsprozess ausgelöst hat, ohne einen Plan zu haben. Es waren die Konservativen, die sich in den vergangenen Jahren lieber zerfleischten als konstruktiv die Herkulesaufgabe anzugehen. Und es war Theresa May, die Hinterzimmer-Politik betrieb anstatt nach einem Konsens im Parlament zu suchen. Dass sie nicht parteiübergreifend die Brexit-Verhandlungen mit den Abgeordneten kommuniziert hat, rächt sich jetzt. Doch sich eigene Versäumnisse einzugestehen oder gar neue Wege aus der Sackgasse zu suchen, das scheint Mays Sache nicht. Ihre gestrige Ankündigung muss vielmehr so interpretiert werden, dass sie am Ende die EU als Schuldigen für das Scheitern der Gespräche ausmachen will, sollte das Land ohne Deal aus der Gemeinschaft scheiden. Denn natürlich weiß sie, was in Brüssel möglich, was unmöglich ist. Die Politik im Königreich gibt ein erbärmliches Bild ab, nur leider sieht das kaum noch jemand in der egozentrischen Welt, in der sich einige Volksvertreter in Westminster derzeit bewegen.

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