Ehrenamt im Rentenalter Engagiert bis ins hohe Alter

Saarbrücken · Ehrenamt ist nicht nur etwas für junge Menschen. Immer mehr Ältere engagieren sich – Monika Petry ist eine von ihnen.

 Die 70-jährige Monika Petry (links) engagiert sich ehrenamtlich beim Seniorenbesuchsdienst „Klingelzeichen“ und begleitet die 98-jährige Katharina Kremer regelmäßig zum Einkaufen.

Die 70-jährige Monika Petry (links) engagiert sich ehrenamtlich beim Seniorenbesuchsdienst „Klingelzeichen“ und begleitet die 98-jährige Katharina Kremer regelmäßig zum Einkaufen.

Foto: Nina Drokur

Auf einem türkisfarbenen kleinen Notiz-Zettel hat die Seniorin Katharina Kremer notiert, was sie für die kommende Woche alles braucht. Gurken, Pfirsiche – Bananen dürfen auf keinen Fall fehlen. „Die kauft sie jedes Mal“, erzählt Monika Petry, während sie nach einer Schale Erdbeeren greift. Petry ist ehrenamtlich beim Seniorenbesuchsdienst „Klingelzeichen“ engagiert und trifft sich mehrmals wöchentlich mit der 98-jährigen Kremer aus Burbach. Gemeinsam gehen sie zum Arzt, zum Mittagessen oder, wie heute, zum Einkaufen. Das Besondere? Monika Petry gehört ebenfalls schon zur älteren Generation. 70 Jahre alt ist sie in diesem Jahr geworden.

Die hochbetagte Kremer ist zwar eigentlich noch ganz fit, ihr stolzes Alter macht sich dennoch bemerkbar. Alleine einkaufen gehen? Das traut sie sich nicht. Zu groß ist die Angst zu stürzen. Die Hausfrau ist froh, dass sie regelmäßig von Petry begleitet wird, sich an ihr abstützen kann und weiß, dass sie nicht alleine ist. Zwar mag man ihren Beinen die fast 100 Jahre, die sie schon tragen, anmerken, „aber es ist erstaunlich, was sie sich alles merken kann“, sagt Petry. „Ihr Gedächtnis ist besser als meines.“ Die Seniorinnen ergänzen sich gut. Die Eigenständigkeit bewahren, das sei das Größte, meint Kremer. Außerdem sind sie nach all den Jahren richtige Freundinnen geworden, beteuern beide, als sie eingehakt weiter Richtung Kühlregal gehen.

Fast jeder zweite Deutsche engagiert sich nach dem neuesten „Freiwilligensurvey“ des Bundesfamilienministeriums ehrenamtlich. Eine Studie des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg aus dem Jahre 2014 hat überdies ergeben, dass das Engagement auch im hohen Alter weitergeht. „Die Überzeugung, aktiver Teil der Gesellschaft zu sein, das eigene Wissen weiterzugeben und somit in nachfolgenden Generationen fortleben zu können, ist für Hochaltrige existenziell“, sagt Institutionschef Andreas Kruse.

„Man selbst lernt am meisten“, sagt Petry über ihre Nebentätigkeit. Kremer habe so viele Kochtricks auf Lager, sagt die Betreuerin bewundernd. Ihre Steaks seien „einfach perfekt“. Und obwohl Petry selbst schon 70 Jahre auf den Schultern trägt und, wie sie sagt, „ein buntes Leben“ führt – mit einer schwerkranken Schwester im Heim, vielen Neffen und Nichten, um die sie sich kümmert, und zwei Hunden – bewundert sie die Lebenserfahrung der fast 30 Jahre älteren Dame. „Fünf Kinder hat sie groß gezogen, zwei Mal wurde sie während des Krieges evakuiert. Ihr Mann diente an der Front. Ihr Haus ist zwei Mal völlig abgebrannt. Und trotz allem ist sie so ein positiver Mensch“, zeigt sich Petry sichtlich beeindruckt. „Auch heute trotz aller Altersbeschwerden würde sie nie jammern. Da kann man sich ein Beispiel nehmen.“ Handarbeit war das große Hobby von Katharina Kremer, als es mit den Händen noch ging. Und ihre Leidenschaft war ansteckend: „Selbst mein Mann hat mitgestickt.“ Heute liest sie viel: Chroniken oder historische Romane über Nepal und Australien. Vielleicht das Geheimnis, wieso sie mit 98 Jahren noch so fit ist. Petrys Geheimnis ist das Wandern. Zusammen mit einem ihrer Hunde, „Paloma, der kleine Flitzer“ – der andere ist schon zu alt –, erkundet sie oft die Wanderwege der Region.

Warum sich die Menschen im Rentenalter noch ehrenamtlich engagieren? In der Untersuchung der Universität Heidelberg gaben drei von vier Hochbetagten an, Freude und Erfüllung in tiefgehenden Begegnungen mit anderen Menschen zu finden. 44 Prozent sind davon überzeugt, dass ihre Lebenserfahrung eine Hilfe für nachfolgende Generationen bedeuten kann.

Und Monika Petrys Motivation? „Ich wollte einfach was für die Gesellschaft tun“, sagt die Rentnerin. Deshalb ist „Klingelzeichen“ auch nicht das einzige freiwillige Engagement der 70-Jährigen. Angefangen hat sie vor über zehn Jahren. Sie war gerade frisch in Frührente. Davor hat sie als Sozialarbeiterin gearbeitet. „Wenn man ein Mal in dem sozialen Tun drin ist, kommt man da nicht mehr raus“, lacht sie. Deshalb hat sie den Kontakt zur Ehrenamtsbörse gesucht und in der Bahnhofsmission eine Aufgabe gefunden. Parallel kam „Klingelzeichen“ ins Spiel. Nach ihrem Bekunden war sie damals mit eine der Ersten, die als Betreuerinnen tätig wurden. Und sogleich wurde sie auch die Betreuerin von Katharina Kremer. „Monika war mir gleich sympathisch“, sagt sie. Ihre Schwiegertochter habe sich um die Vermittlung gekümmert, die aus dem Internet von der Seniorenbetreuung erfahren hatte.

Die Arbeit bei der Bahnhofsmission hat sie erst vor Kurzem aufgegeben. „Ich könnte es noch weiter machen. Wenn ich jetzt also aufhöre, ist es eine freie Entscheidung, keine erzwungene.“ Ihren ehrenamtlichen Aufgaben will sie so lange nachgehen, wie sie ihr Spaß machen, sagt sie. Dazu gehören auch noch das Engagement im Krankenhaus, in einer Gewerkschaft und im Seniorenverband. Langweilig wird der Rentnerin also nie.

Bevor Monika Petry und Katharina Kremer den Wocheneinkauf zur Kasse bringen, legen sie noch einen letzten Stopp am Blumenregal ein. „Die Blumen sind ihre große Leidenschaft“, verrät Petry. In ihrem Garten kann die Seniorin nicht mehr werkeln. Dafür blüht die bunte Pracht jetzt in den vier Wänden ihres Eigenheims. Ein strahlend pinkfarbenes Topfpflänzchen und ein paar bunte Rosen kommen heute noch zu der Sammlung hinzu. Die beiden Seniorinnen bezahlen ihre Einkäufe. Anschließend haben sie es sich zum Ritual gemacht, noch einen Kaffee zu trinken. Nach zehn gemeinsamen Jahren ist eben eine richtige Freundschaft entstanden.

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